Kurier

Auftakt zum neuen Kräftemess­en im deutschen Bundestag

Regierungs­erklärung. Angela Merkel räumt Fehler ein und will mehr für den Zusammenha­lt im Land tun. Dieser schwindet scheinbar auch in der Union.

- AUS BERLIN SANDRA LUMETSBERG­ER

Fast ein halbes Jahr hat es gedauert, gestern kam die neue Regierung im Parlament an. Und dort warteten neben FDP, Grüne und Linke schon 92 AfD-Abgeordnet­e, zehn davon sind Frauen, deren Anführer am Wahlabend schwor: Sie wollen Merkel jagen. Nun sitzt Alexander Gauland auf seinem violetten Stuhl, rollte vor und zurück. Um 13.02 Uhr betritt Angela Merkel das Podium, um die Pläne für ihre vierte Kanzlersch­aft zu erklären.

Und macht etwas, dass viele überrascht: Sie räumt zuerst Fehler ein. „Wir haben zu lange weggesehen“, sagte Merkel. Die EU und andere Institutio­nen hätten zu spät auf die Fluchtbewe­gungen reagiert. „Die bei uns ankommende­n Menschen konnten in der übergroßen Mehrheit nichts dafür, dass die internatio­nale Gemeinscha­ft sie vergessen hatte“, so Merkel. „Wir haben sie als Menschen in der Not aufgenomme­n.“

Aber ihr sei auch klar, dass das Land damit überforder­t war und gespalten sei, selbst ihr Satz „Wir schaffen das“, den sie zuvor schon häufig gesagt habe, ist im Herbst 2015 zum Kristallis­ationspunk­t der Debatte geworden.

Was sich durch ihre Rede zieht: die Sorge um den schwindend­en Zusammenha­lt der Gesellscha­ft, den sie bekämpfen will. Von der AfD kommen dazu nur Geraune und Zwischenru­fe. Die Abgeordnet­en verbieten sich jeglichen Applaus. Selbst als Merkel die Arbeit der Sicherheit­skräfte im Zuge der Flüchtling­skrise lobt und viele Abgeordnet­e applaudier­en. Erst als Gauland das Wort ergreift und Richtung Merkel giftet, klatschen die AfDler eifrig. Als Führer der größten Opposition­sfraktion durfte er als erster die Regierungs­erklärung kommentier­en.

Etwas verhalten reagierten gestern allerdings auch einige Abgeordnet­e der Union. Bei Passagen zur Flüchtling­spolitik rühren sie keine Hand, ebenso als Merkel über den Islam spricht. Mit Blick auf die von der CSU entfachte Debatte, stellt sie klar, dass sie sich den Takt nicht vorgeben lässt. Die christlich­e und jüdische Prägung des Landes stehe für sie außer Frage, dennoch istesricht­ig,„dassmitden­4,5 Millionen bei uns lebenden Muslimen ihre Religion, der Islam, inzwischen ein Teil Deutschlan­ds geworden ist.“Bei diesem Satz dreht sich CSU-Chef Seehofer weg, Landesgrup­penchef Dobrindt widerspric­ht der Kanzlerin später. Schwindend­en Zusammenha­lt gibt es scheinbar auch in der eigenen Fraktion.

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Alexander Gauland von der AfD hatte nach Merkels Rede das Wort

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