Es geht ohne Pestizide
Schädlich. Ein Ökologe hält Grenzwerte für problematisch und würde Gifte im Privatbereich sofort verbieten
„Wir versprühen Tausende Tonnen Substanzen in unsere Umwelt, über die wir erschreckend wenig wissen“, sagt Johann G. Zaller. Von manchen weiß der Ökologe an der Universität für Bodenkultur Erschreckendes. In seinem Buch „Unser täglich Gift. Pestizide – die unterschätzte Gefahr“(Deuticke Verlag, 240 Seiten, 20,60 €) beschreibt er das Lobbying der Agrochemiekonzerne und die Faulheit kontaminierter Regenwürmer. Lösungsvorschläge inklusive.
KURIER: Ein Apfel ist durchschnittlich 31-mal mit Pestiziden behandelt. An den vielen Blättern des Salats sammeln sich Rückstände besonders gut an. Was können wir noch guten Gewissens essen?
Johann G. Zaller:
Mit gutem Gewissen kann man am ehesten das essen, was im eigenen Garten wächst, oder das, was biologisch produziert ist. Dem vertraue ich schon noch, da wird strikt kontrolliert. Bei den vielen Betrügereien, die in den letzten Jahren bekannt wurden, istVertrauenaufeinefunktionierende Kontrolle wichtig.
Von den Gletschern bis ins Meer lassen sich Pestizide nachweisen. Wie sauber kann da BioLandwirtschaft sein?
Das ist ein großes, wenig thematisiertes Problem. Eigentlich müsste man Bio-Regionen ausweisen; zum Beispiel ganze Talschaften. Aber man kann den Leuten nicht vorschreiben, was sie tun sollen.
Wem schaden die Pestizide am meisten?
Ich mache mir Sorgen um die Landwirte, die das Zeug ausbringen. In manchenLänderntragendieFeldarbeiter keine Schutzkleidung, sie können den Beipackzettel nicht lesen oder es gibt gar keinen. Das ist zum Teil menschenverachtend.
Wie steht es um Konsumenten, Kinder oder chronisch Kranke?
Grenzwerte werden für durchschnittliche Erwachsene berechnet. Wir wissen von Medikamenten z.B., dass sie bei Frauen anders wirken als bei Männern; dass wir unterschiedlich auf Umwelteinflüsse reagieren, wenn wir gestresst oder pumperlgesund sind. Sogenannte Sicherheitsfaktorenwerdenbei den Grenzwerten zwar eingerechnet, aber wirklich getestet wird das an den Leuten nicht. Natürlich ist es extrem schwierig, eine Erkrankung kausal auf die Pestizide zurückzuführen. Aber wenn Parkinson eine anerkannte Berufskrankheit bei französischen Weinbauern ist, kann ich doch nicht weitermachen wie bisher.
Verlassen wir uns auf unseriöse Grenzwerte?
Grenzwerte sagen nur etwas darüber aus, ob alles rechtlich in Ordnung ist. Sie sagen wenig über gesundheitliche Auswirkungen aus. Sie werden auch immer nur für Einzelstoffe festgelegt, aber nicht für die Vielzahl an Stoffen, die gleichzeitig eingesetzt werden. Problematisch ist zudem, dass Grenzwerte wissenschaftlich überhaupt nicht belegt, sondern willkürlich festgelegt sind. Außerdem gibt es eben auch Wissenschafter, die sich von der Industrie kaufen lassen. Dafür gibt es gerichtskundige Beweise.
Ist ein kompletter Pestizid-Ausstieg nach 50 Jahren intensiver Nutzung möglich?
Pestizide sind nicht alternativenlos. Die Alternativen werden nur zu wenig ausprobiert – auch weil die chemische Keule so günstig und einfach ist. Wenn ich Landwirt bin und weiß, da gibt es Pestizide, wenn etwas schief geht, muss ich mir keine Fruchtfolgen überlegen oder Grünstreifen anlegen etc. Das, was in den letzten 50 Jahren an Intensivierung gemacht wurde, hat eine Pestizid-Tretmühle in Gang gebracht. Aber der Öko-Landbau funktioniert ja auch – mit Bio-Pestiziden, die viel besser abbaubar sind und sparsam eingesetzt werden.
Können Verbraucher mithelfen, Pestizide zu reduzieren?
Hände weg von InsektensteckerundAmeisenfalle,der Rasen muss kein Golfrasen sein. Wenn ich Gesetzgeber wäre, würde ich Gifte im Privatbereich sofort verbieten.
Apropos. Sehen Sie politischen Willen zur Veränderung?
Es gibt durchaus Anzeichen – und praxiserprobte Konzepte. In andern Ländern gibt es Pestizidsteuern und wirkungsvolle Reduktionsprogramme. In Österreich bräuchte es klare Ziele – z.B. eine Pestizid-Verringerung um 30 Prozent in drei Jahren. Der Ausstieg aus der Pestizid-Tretmühle wäre nicht die Katastrophe, wir müssten uns nur umstellen.