Kurier

Rauch-Debatte: „Sie entscheide­n sich bewusst fürs Sterben“

Parlament. Die Opposition­sparteien zerpflückt­en die Aufhebung des Rauchverbo­ts in Lokalen nach Kräften. Vergeblich. Die Koalitions­allianz hielt

- – CHRISTIAN BÖHMER

Hat er das jetzt wirklich getan? Hat er auf das Rednerpult im Parlament gedroschen? Mit der Faust?

Ums kurz zu machen: Ja, er hat. Matthias Strolz konnte oder wollte nicht anders, man weiß es nicht genau.

Der ohnehin meist ziemlich emotionale Klubobmann der Neos steigert an diesem Donnerstag Puls und Timbre und brüllt die ganze Wut hinaus. „Sie handeln wider besseres Wissen und ohne Gewissen! Sie entscheide­n sich bewusst fürs Sterben!“

Nun, über den Ausbruch des pinken Klubchefs wird noch zu reden sein. Insbesonde­re ÖVP-Generalsek­retär Karl Nehammer hat hierzu einiges zu sagen, der Wutausglei­chsweise bruch galt ja ihm und seinen Fraktionsk­ollegen von der ÖVP. Doch zunächst muss geklärt werden: Was überhaupt hat in Strolz diesen biblischen Zorn entfacht?

Die Antwort ist vergleichs­weise unspektaku­lär: Es ist die Debatte ums Rauchen – und das, was ÖVP und FPÖ an diesem Donnerstag vorhaben.

Auf Wunsch der Freiheitli­chen soll das absolute Rauchverbo­t in Lokalen fallen. Und auch wenn damit ein stärkerer Schutz von Kindern und Jugendlich­en einhergehe­n soll (Rauchverbo­t in Autos, in denen Unter-18-Jährige mitfahren, Verkaufsve­rbot für Zigaretten an Unter-18-Jährige) finden die Opposition­sparteien ver- viele Argumente, um insbesonde­re die ÖVP zu zerpflücke­n.

Da ist zunächst der Umstand, dass es keinen ernstzuneh­menden Grund mehr dafür gibt, Rauchen für klug oder unbedenkli­ch zu halten.

„Sie verraten die Gesundheit unserer Kinder“, wettert die frühere Gesundheit­sministeri­n und nunmehrige SPÖ-Mandatarin Pamela Rendi-Wagner.

In dem Punkt – also bei der Medizin – versuchen ÖVP und FPÖ erst gar nicht groß zu widersprec­hen.

Ihr Argument ist ein anderes, es heißt „Wahlfreihe­it“. Und außerdem, und damit sind wir bei Karl Nehammers Replik auf Matthias Strolz, sei es „ schäbig, das Leid von Todkranken für die politische Agitation zu missbrauch­en“.

Tatsächlic­h hat Strolz Briefe von Todkranken am Pult vorgelesen. Ein Grenzgang, wie so oft. Aber das gilt für die gesamte Debatte.

Strategisc­h bitter ist für die Volksparte­i, dass 28 ihrer Mandatare in der vergangene­n Legislatur­periode für ein absolutes Rauchverbo­t gestimmt haben – und nun exakt das Gegenteil tun sollten.

„Wendehälse“ist ein Wort, das immer wieder fällt.

Am Ende ändert das aber alles nichts mehr: ÖVP und FPÖ heben das Rauchverbo­t in der Gastronomi­e wieder auf und verschärfe­n die Schutzbest­immungen bei Unter-18-Jährigen. „Manchmal ist es mutig gegen die eigene Überzeugun­g zu handeln“, sagt Carmen JeitlerCin­celli. Es ist erst die zweite Parlaments­rede der ÖVPMandata­rin. Niemand weiß so recht, warum ausgerechn­et ihr der undankbare Part zufällt zu erklären, dass die Loyalität zum Koalitions­partner bisweilen mehr gilt als eigene Überzeugun­gen.

Der Auftritt ist jedenfalls ein dankbares Fressen für Neos-Mann Gerald Loacker. „Um achteinhal­btausend Euro sollten Sie sich ihre Meinung nicht abkaufen lassen!“, wirft er der neuen Mandatarin entgegen. Und vielleicht hat sie in dem Moment kurz an Josef Smolle gedacht.

Der frühere Rektor der Grazer Uni ist jetzt ÖVP-Mandatar und hat von Beginn an kein Hehl daraus gemacht, dass er mit der Aufhebung des Rauchverbo­ts in Lokalen so gar keine Freude hat. Wie sollte er auch, Smolle ist Arzt.

Klublinie und Sprachrege­lung brachten ihn deshalb in den vergangene­n Tagen und Wochen zunehmend in Bedrängnis – was soll man schon sagen, wenn man weiß, dass die eigene Meinung so gar nicht zu der des Koalitions­partners passt?

Doktor Smolle löste das Dilemma gestern auf seine Weise: Er ging nach Hause – und dort einmal mehr vor peinlichen Fragen in Deckung.

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