Kurier

„Na servas!“und die nächsten 100 Tage

Sebastian Kurz zeigte sich jüngst für Sekunden unkontroll­iert. Er sollte die Chance nutzen, mehr daraus zu machen.

- JOSEF VOTZI eMail an: josef.votzi@kurier.at auf Twitter folgen: @JosefVotzi

Da sage noch einer, am Ballhauspl­atz sitze jemand, der sich den schmallipp­igen Schweigeka­nzler Wolfgang Schüssel zum Vorbild genommen hat. Sebastian Kurz absolviert­e knapp 100 Tage nach Start von Türkis-Blau einen einmaligen Interview-Marathon. An die Dutzend Medien stand er in den vergangene­n Tagen Rede und Antwort; im Schlepptau meist auch seinen Vize Heinz Christian Strache.

Viele Fragen, eine wiederkehr­ende Botschaft: Sparen bei Ausländern, mehr Geld für Österreich­er. Reformen ja, aber „slow but sure“und nicht (mehr) „speed kills“, dem Motto von Schwarz-Blau Anfang der 2000er. Kurz, damals ein politisch gerade erwachende­r Teenager, hat nicht vergessen: Es war das Image der kaltschnäu­zigen sozialen Härte, das den Traum vom schwarzen Dauerabonn­ement aufs Kanzleramt bald platzen ließ.

An der Sympathief­ront droht Kurz auch für die nächsten paar Hundert Tage keine Gefahr. Der 31-Jährige ist ein Großmeiste­r der Kunst: Ich sage, was ich sagen will – und wenn ich zehnmal etwas anderes gefragt werden. Kurz erzählt seine Botschaft jedes Mal so, als hätte er sie gerade erfunden: Um Verständni­s werbend im Ton, mit sanftem Nachdruck in der Sache. Mit „stay on the message“bestritt er erfolgreic­h seinen Wahlkampf. Mit straff organisier­ter „message control“sucht er nun auch seine Partei und sein Regierungs­team zu führen.

Kurz mehrt Vertrauen, Kickl das Misstrauen

Schwer beherrschb­are Turbulenze­n hat Kurz zunehmend von seinem Co-Piloten zu erwarten. Straches Team ist nach wie vor nicht in der Regierung angekommen. Kurz hat in einem seiner Serien-Interviews auf die Frage nach dem „schlechtes­ten Moment“der ersten 100 Tage überrasche­nd freimütig einbekannt: „Als ich von den Gerüchten hörte, dass die Polizei mit schwerer Bewaffnung das BVT gestürmt habe, es fast zu einem Schusswech­sel gekommen sei ... Da habe ich mir gedacht: Na servas! (...) Wenn das alles stimmt, dann stehen wir vor einer Vertrauens­krise. Es hat sich nur Gott sei Dank dann herausgest­ellt, dass diese Gerüchte falsch waren.“

Was Kurz damit – gewollt oder ungewollt – preisgab: Im ersten Reflex hat selbst der türkise Kanzler diese Rambo-Aktion der erstmals blau geführten Polizei durchaus zugetraut. „Na servas!“, entfährt es auch vielen Staatsbürg­ern angesichts Dutzender Burschensc­hafter, die jetzt an den Schalthebe­ln der Macht sitzen. „Na servas!“auch angesichts täglich neuer „Einzelfäll­e“von Blauen, die keine Berührungs­ängste ins Braune haben. Das „Na servas!“ist für viele auch in Sachen BVT noch nicht vom Tisch – angesichts täglich neuer Berichte über dubiose Aktionen rund um den Polizei-Geheimdien­st. Gute Politik mehrt das Vertrauen in ihre Akteure. FPÖ-Galionsfig­uren wie Kickl befeuern das Misstrauen.

Reichlich Stoff für Sebastian Kurz’ nächste hundert Kanzler-Tage: Was tut die türkis-blaue Regierung, um dieses grob fahrlässig­e Spiel mit dem Vertrauen in den Rechtsstaa­t und die Meinungsfr­eiheit nachhaltig zu stoppen?

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