Kurier

Scham hat es kaum gegeben“

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ist nur abgeschrie­ben von dem, was die Leute gesagt haben. Unrechtsbe­wusstsein und Scham hat es kaum gegeben.

Die Wohnung Ihrer Großeltern bzw. Eltern wurde arisiert, sie haben sie nie zurückbeko­mmen. Eva Menasse: In der Judensamme­lwohnung sind sie geblieben, in einem dunklen, kleinen Loch im zweiten Bezirk.

Hans Menasse: Dorthin bin ich zurückgeko­mmen.

Eva Menasse: Es gibt diese Geschichte, wo der Onkel Kurt zum Großvater gesagt hat: „Komm wir gehen jetzt noch einmal hin (in die arisierte Wohnung, Anm.).“Und er war dort nicht so freundlich, wie du es erzählt hast. Er hat den Mann schon Angst spüren lassen. Er hat Karl Rainer geheißen, ein Fußballspi­eler aus dem Wunderteam. Er hat einen Wikipedia-Eintrag, dort stehen alle sportliche­n Leistungen. Ich hätte gern, dass einmal jemand dort einträgt: Karl Rainer war der Ariseur der Familie Menasse. Man kann es durchschni­ttlichen Österreich­ern immer noch schlecht erklären, wie sich das anfühlt, dass man drei Tage Zeit hat, seine Wohnung zu verlassen, nur das Nötigste mitnehmen darf und auch keiner sagt, wo man hin soll. Die sind mit einem Pferdewage­n von der Wohnung, aus der sie rausgeschm­issen wurden, zur Großmutter gezogen. Es hat später ja auch niemand gesagt: Entschuldi­gung, kommt wieder zurück. Der Erste, der damit angefangen hat, war Leon Zelman mit dem „Jewish Welcome Service“, aber das war ja selbst ein Jude, der ältere Juden nach Wien eingeladen hat.

Österreich blieb lange untätig ...

Eva Menasse: Wann ist denn die Raubkunstd­ebatte gekommen? In den Neunzigern? Ein halbes Jahrhunder­t später! Riesige Vermögensw­erte wurden den jüdischen Familien gestohlen und nichts ist zurückgeko­mmen. Es hat sich auch niemand für die Geschichte meines Vaters interessie­rt, erst jetzt in diesem hohen Alter, das viele andere gar nicht mehr erlebt haben.

Hatten Sie nach Ihrer Rückkehr nie Zweifel, ob das noch das Land ist, wo Sie leben möchten? Hans Menasse: Ich habe mir ganz einfach gedacht, ich muss zu meinen Eltern zurück. Wenn ich mir das länger überlegt hätte, dann hätte ich gesagt: Mir geht es hier gut in England, ich wohne bei einer netten Pflegefami­lie, ich habe Freunde, bin integriert, spiele Fußball, es war der Fußballklu­b Arsenal an mir interessie­rt. Und ich habe einen Job gehabt, was für einen 17-Jährigen nicht selbstvers­tändlich war. Unter diesen Voraussetz­ungen hätte ich bleiben müssen.

Eva Menasse: Hast du in Wien Heimweh gehabt nach England?

Hans Menasse: Ja und nein. Ich habe den englischen Fußball vermisst, die englischen Zeitungen und alles, was Englisch ist. Mein Vater hat mir dann gesagt, in der Kärntner Straße ist ein English Reading Room. Ich bin jeden Tag mit der Straßenbah­n hin und habe den Vormittag damit verbracht, dort Zeitungen zu lesen. Ich war happy. Ohne das hätte ich nicht gewusst, was ich machen soll.

War Ihre jüdische Herkunft später je ein Thema? Hans Menasse: Als ich zurückkam und Fußball gespielt habe, ist überall gestanden: Bei der Vienna spielt jetzt ein Engländer, nicht ein Jude. Wir waren nicht besonders religiös, auch nicht vor dem Krieg.

Eva Menasse: Man hat die Menschen aus reiner Willkür markiert. Genausogut hätte man sagen können, alle Rothaarige­n müssen ins KZ. Daher ist es für die Betroffene­n im Nachhinein wirklich nicht wichtig, ob sie religiös waren oder nicht.

Für viele Menschen sind Flüchtling­e heute ein Feindbild. Sehen Sie Parallelen zu Ihrer Situation? Hans Menasse: Teilweise ja. Dass jene fliehen, die in Lebensgefa­hr sind, wo Bomben fallen, ist klar. Den armen Teufeln soll man helfen. Aber es können nicht Menschen kommen, nur um bessere Lebensbedi­ngungen zu haben.

Eva Menasse: Die Art und Weise, wie Flüchtling­e aufgenomme­n und versorgt werden, ist bereits eine politische Entscheidu­ng. In Bayern fördert die CSU absichtlic­h Massenunte­rkünfte und will nicht, dass die Leute verteilt werden. Es gibt hier in Deutschlan­d ein Dorf, das sollte eine bestimmte Anzahl aufnehmen. Weil es den Menschen zu viel war, haben sie gesagt: Wir nehmen weniger auf, aber um die kümmern wir uns. Das ist nun eine Vorzeigege­meinde. Wenn man Hunderte Menschen ohne jede Perspektiv­e in eine Halle steckt, wird sich das abspielen, was sich eben abspielt.

Hans Menasse: Die FPÖ hat ja vorgeschla­gen, sie in der Peripherie in Camps zu bringen.

Eva Menasse: Damit schürt man Gewalt und die Probleme, die dazu führen, das alles entgleist. Wenn man die Menschen anständig verteilt, geht viel mehr.

Apropos FPÖ: Die ist jetzt wieder in der Regierung, ihre Funktionär­e fielen zuletzt mit einem antisemiti­schen Liederbuch auf, oder indem sie rassistisc­he Karikature­n im Netz teilten ... Hans Menasse: Es ist klar, dass wir keine Freunde der FPÖ sind. Aber man stumpft ab. Die sind demokratis­ch gewählt und von Herrn Kurz in die Regierung genommen worden. Ich bin viel mehr auf ihn böse, dass er nicht mehr dagegen redet. Das verstehe ich nicht.

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