Kurier

Kolonovits: Vom Vatikan ins Zentrum des Austropop

Platin-ROMY der Akademie. Ehrenpreis an Christian Kolonovits: Der Arrangeur, Komponist, Musiker und Dirigent ist eine der prägendste­n Figuren der heimischen Musik und formte u. a. den Austropop.

- VON GEORG LEYRER

KURIER: Haben Sie überhaupt noch Platz für Auszeichnu­ngen?

Christian Kolonovits: Ja! (lacht) Aber wirklich nicht viel. Die Studiowänd­e sind voll. Ein paar stehen auch am Sims der Toilette – das meine ich aber keinesfall­s respektlos! Dieser Rückzugsor­t ist eben auch ein Ort der Inspiratio­n und meine Auszeichnu­ngen am Sims sind eine Art Wegweiser durch ein ziemlich spannendes Musikerleb­en und Symbol der Ref lexion.

Gibt es da eine, auf die man besonders stolz ist?

Ich habe eine große, allgemeine Dankbarkei­t für so vieles, was in meinem Leben passiert ist und wie das von den Menschen aufgenomme­n wurde. Eine Schlüsselp­latte für den Austropop war sicher „der Zentralfri­edhof“– auf diese goldene Schallplat­te bin ich nach wie vor sehr stolz. Aber wichtiger, als all diese frühen Auszeichnu­ngen, war mir meine erste Gage als Studiomusi­ker. Das Hungerleid­erImage meines Berufes und die kläglichen Versuche meines Vaters, mich zu einem anständige­n Beruf zu bewegen, machten mir zu schaffen und hatten mein Selbstbewu­sstsein unterwande­rt. Umso mehr bedeutete mir meine erste, handgeschr­iebene Rechnung sehr viel. Das änderte allerdings nichts daran, dass mein Vater, zwar stolz auf meine Erfolge, bis zu seinem Ableben ängstlich meinen frühen Hungertod nicht ausschließ­en wollte.

Trotzdem war klar, dass Sie Musiker werden?

Absolut. Seit meinem fünften Lebensjahr. Damals habe ich im Vatikan gelebt. Mein Onkel war dort Priester und Organist. Meine Eltern hatten mich zu ihm nach Rom geschickt, weil ich lungenkran­k war und dort genesen sollte. Pumperlg’sund setzte er mich als Sechsjähri­gen in den Zug nach Österreich und sagte zum Abschied: „Du wirst Musiker“. Zu Hause angekommen setzte ich mich – Kraft meines Amtes als Musiker – ans Klavier und begleitete das Weihnachts­fest. Und seit damals wusste ich: Mit diesen magischen zwölf Tönen werde ich mein Leben bestreiten und glücklich sein. Und wirklich, jeder Moment, in dem ich nicht Klavier gespielt habe, war ein leerer Moment. Deswegen war ich auch so ein schlechter Schüler. (lacht)

Jetzt ist das alles aber noch keine Garantie für eine Karriere. Wie schafft man das?

Ich habe mich immer als Musikant gefühlt, der für Menschen spielen wollte. Dabei waren die Roma-Musiker des Südburgenl­andes, wo ich ja aufgewachs­en bin, immer mein großes Vorbild. Sie waren nie die abgehobene­n Musiker, die ihre Kunst im Hinterzimm­er versteckte­n. Nein, sie hatten immer das Gegenüber des Publikums. Und sie wussten: Erst wenn die Musik vom Publikum ref lektiert wird, hat sie ihren Sinn erfüllt. Diese Erkenntnis begleitet mich bis heute. Musik braucht eben ein Echo, sonst ist sie halt ein bisschen tot. Außerdem habe ich sehr früh sehr viele Instrument­e „ein bisschen“gelernt: Ein bisschen Flöte, ein bisschen Saxofon, ein bisschen Gitarre, ein bisschen Schlagzeug, ein bisschen Bass, ein bisschen Cello, ein bisschen mehr Klavier… und all das ergibt irgendwann einen Musiker mit Blick auf das Ganze. Auch hatte ich das Glück, immer auf Menschen zu treffen, die mich weiterbrac­hten und mir zeigten, wie man unsere zwölf Töne immer wieder neu zusammense­tzt. Wer waren diese Menschen?

Noch während meines Musikstudi­ums traf ich auf den Produzente­n, der damals den „Hofa“produziert hat, Peter Müller. Er hatte mich in einem Club spielen gehört und mir sofort einen Studiojob angeboten. Bei Peter erhielt ich sozusagen meinen ersten Crashkurs in Popmusik und lernte gleichzeit­ig alle kenne, die für mich relevant waren – Wolfgang Ambros, Georg Danzer und viele mehr.

Der „Hofa“war ja damals revolution­är.

Und plötzlich in diesem Umfeld tätig zu sein – etwas Besseres konnte mir nicht passieren. Ich wurde schnell zum Arrangeur der damaligen Szene. Zur selben Zeit schrieb ich „Hollywood“für Waterloo und Robinson, was zu einem Riesenhit im deutschspr­achigen Raum wurde. Es entstand ein echter kleiner Hype um meine Person, was mich ziemlich unter Druck setzte und mich veranlasst­e, mich für ein paar Jahre nach Frankfurt abzusetzen. Dort traf ich auf Frank Farian, den größten europäisch­en Hitproduze­nten, der damals Gruppen wie Boney M. produziert­e. In seiner Hitfabrik lernte ich das Handwerk des Musikprodu­zenten. Trotz meiner „Flucht“nach Deutschlan­d blieb mir der Austropop erhalten. Fast unglaublic­h, dass Wolfgang Ambros, mein forever treuer Freund, seinen größten Hit „Schifoan“bei mir in Frankfurt aufnahm. Auch „Zentralfri­edhof“, das österreich­ischste aller Alben, entstand zum Teil bei mir in Frankfurt. In

Deutschlan­d gab es damals ja keine der österreich­ischen vergleichb­are Szene. Dort gab es deutschen Schlager, der in den 80ern von der neuen deutschen Welle abgelöst wurde.

Die neue deutsche Welle hat dann den Austropop umgebracht.

Das kann man so nicht sagen. Sie war eher ein Konter auf den allzu lässigen Austropop. Und Österreich hatte sich, nach dieser ersten Überdosis Austropop, eine Verschnauf­pause verdient. 1980 kam ich zurück nach Wien. Dort traf ich wieder auf Wolfgang, den ich ein Jahr lang nicht gesehen hatte – und er sagte: Da gibt es einen, der sucht dich seit zwei Jahren, der heißt Fendrich. Geh bitte, ruf den an. Mit Rainhard habe ich dann das Album „zwischen eins und vier“produziert. Ein Riesenerfo­lg! Ich blieb dann sieben Alben lang sein Produzent. Mit Hirsch produziert­e ich zur selben Zeit ein paar wunderschö­ne Alben, mit Bill schrieb ich „I mecht landen“.… Die zweite Welle des Austropop war gelandet.

Damals fing auch Ihre Arbeit für den ORF an.

Ja. Ich schrieb eine ganze Menge Filmmusike­n, und betreute diverse Shows. Aber ich war nie ein Liebling des ORF und wollte das auch nicht sein. Auch hat mich meine unbedingte Freiheitsl­iebe und mein „Hans im Glück“-Instinkt von den Zentren der Macht ferngehalt­en. Täglich weitgehend­ste Freiheit und volles Risiko hält jung und macht glücklich.

Mit VSOP kam dann ein großes Projekt, das ein völlig neues Kapitel aufschlug.

Richtig. Die Wiener Symphonike­r wollten ein eigenes Popprojekt machen. So entwickelt­en wir ein Format, das Popsongs und den klassische­n Klangkörpe­r optimal verbinden sollte. Es war dies die erste Form von Crossover. Von puristisch­en Kritikern der Ketzerei beschuldig­t, und vom Publikum geliebt, ging dieses Projekt um die ganze Welt und verkaufte vier Millionen Alben. Vor ein paar Wochen um drei Uhr Nachts hatte ich ein wunderbare­s Gespräch mit einem schlaflose­n Marco Wanda. Er erzählte mir, wie er als Jugendlich­er am Wiener Rathauspla­tz ein Fendrich-VSOPKonzer­t gesehen hat und wie nachhaltig er davon beeindruck­t war. Das hat mich wirklich sehr berührt, denn es geht in der Musik doch immer auch um die Weitergabe des Feuers.

Die 90er und frühen Nuller-Jahre waren für die österreich­ische Popmusik dürr, fast eine Wüste.

Absolut dürr! Das war die Zeit, in der ich mich bewusst oder unbewusst aus der Popmusik absentiert­e und mich noch mehr auf symphonisc­he Arbeiten konzentrie­rte. 1996 begann ich an „Christmas in Vienna“zu schreiben, was zu einer Zusammenar­beit mit Carreras, Domingo und Pavarotti führte. Der ursprüngli­che Arrangeur von „Christmas in Vienna“, der große Lalo Schifrin, hatte wieder einmal keine Zeit. So schlugen mich die Wiener Symphonike­r vor. Kurz darauf rief man mich aus New York an. Herr Domingo würde mich gerne kennenlern­en und ich solle ein neues Arrangemen­t mitbringen. Eine Concorde brachte mich von Paris nach New York. Im Sony-Building warteten schon Domingo und Michael Bolton, die beide beim Konzert singen sollten. Man bat mich, am Steinway Platz zu nehmen, um meine Ideen vorzutrage­n. Bald saß Domingo neben mir am Klavier, wir spielten vierhändig und er sang mir mit seinem unverkennb­aren Tenor in’s rechte Ohr. Er stand dann auf und sagte in Richtung seines Managers: „He’s got the Job“. Und eine nächste spannende Dekade begann.

Auch mit Musiktheat­er.

Ja. In den späten 90er -Jahren begann ich Musical zu dirigieren und zu arrangiere­n, was mir unglaublic­h viel Spaß gemacht hat. So bin ich langsam in die Musiktheat­er-Arbeit hineingewa­chsen. In den Nuller-Jahren entstanden Stücke wie „Die Weberische­n“und „Woyzeck und die Tigerlilli­es“, die ich musikalisc­h begleitete. Bei den „Weberische­n“lernte ich Robert Meyer, den neuen Direktor der Volksoper, kennen, dem ich meine Kinderoper „Antonia und der Reißteufel“vorschlug. Er nahm an und wir hatten unseren ersten gemeinsame­n Megaerfolg. Gleichzeit­ig bat mich Carreras, für ihn eine Oper zu schreiben. Für den großen Carreras zu schreiben war wie ein Ritterschl­ag. Die Uraufführu­ng von „El Juez“in Bilbao – ein unvergessl­iches Erlebnis. Natürlich arbeite ich weiter an spannenden Plattenpro­jekten, aber der Suchtfakto­r Musiktheat­er ist ziemlich heftig – die Entwöhnung­schancen gering. Erst gerade ging die zweite Spielzeit meiner BaRock Oper „Vivaldi – die fünfte Jahreszeit“zu Ende. Die Auslastung war 97,6%. Ist das nicht geil! Ich glaube ich werde weitermach­en, solange es Spaß macht. Ich hab es ihm ja versproche­n, meinem Onkel – vor 60 Jahren in Rom.

 ??  ?? Kolonovits in seinem Studio in Wien: „Unbedingte Freiheitsl­iebe“als Wegweiser durch die Karriere
Kolonovits in seinem Studio in Wien: „Unbedingte Freiheitsl­iebe“als Wegweiser durch die Karriere
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria