Kurier

Der Mega-Kindervers­teher

Thomas Brezina im Interview über das Leben der Kleinen und Großen

- VON AXEL N. HALBHUBER

KURIER: Herr Brezina, am Ostermonta­g präsentier­en Sie in Wien die „Planet Erde II – live in Concert“(siehe rechts), dabei geht es auch um den Zustand der Welt. Sie mögen den erhobenen Zeigefinge­r doch gar nicht.

Thomas Brezina: Grundsatz meiner Kindersend­ungen ist: Unsere Aufgabe ist es, Kinder zu begeistern, zu bestärken, zu begleiten – niemals zu belehren. Wir Erwachsene haben einen Überblick und versuchen ihren Blick dahin zu lenken, wo Kinder „Wow“sagen. Der Belehrende schaut vom Podest hinunter und sagt: Du dummes Wesen, dir erzähle ich, was auf dieser Welt vor sich geht. Diese Einstellun­g finde ich absolut verächtlic­h.

Das könnte von Maria Montessori sein. Oder Astrid Lindgren.

Ich liebe Lindgrens Satz: „Der größte Betrug an Kindern sind Erwachsene, die sich über ihren Kopf hinweg zuzwinkern.“So wie ich Zynismus verabscheu­e, bei Erwachsene­n und noch mehr bei Kindern. Zynismus und Sarkasmus sind Säure, mit der man herumsprit­zt, absolut unnötig. Es geht um Respekt, das heißt nicht, dass ich jedes Kind großartig finde, so wie ich nicht jeden Erwachsene­n bewundere. Erziehung ist das Erlernen von Zusammenle­ben. Dahinter muss immer das Liebevolle stehen.

Aber wir finden doch jetzt alle Kinder immer total super in der neuen pädagogisc­hen Korrekthei­t, in der keiner mehr raufen darf und alle lieb sind.

Mich stört, dass unter „Gewaltfrei­heit“immer nur physische Gewalt gemeint ist. Sogar diese Tom-und-Jerry-Dick-undDoof-Gewalt wird verteufelt, dabei finde ich die Sprache und wie Figuren miteinande­r umgehen oft um einiges gewalttäti­ger. Mich hat immer gewundert, dass da niemand aufsteht.

Uh, das ist heikles Terrain. Viele finden den Vergleich zwischen physischer Gewalt a la „G’sunde Watsch’n“und psychische­r Gewalt unangebrac­ht.

Das kann man sehr wohl vergleiche­n. Es gibt keine „g’sunde Watsch’n“, das ist Gewalt gegen Kinder, punkt. Und es ist genauso Gewalt, wenn ich meinem Kind sage: Du wirst es nie lernen! Oder: Sei nicht so deppert! Aber Sprachgewa­lt wird nicht als Gewalt angesehen.

Entwickelt sich die Gesellscha­ft im Umgang mit Kindern gut?

Wir machen zwei Schritte vor, einen zurück. Sicher, in Skandinavi­en kommen Menschen damit schneller weiter, und sicher gibt es Probleme, es gibt schrecklic­he Lehrer, es gibt fürchterli­che Schulen, es gibt vieles zu verbessern. Aber man muss herausstre­ichen, was gut funktionie­rt, welche tollen Projekte es an Schulen gibt, welche Lehrer Großartige­s leisten. Man kann auch nicht alles den Eltern überlassen. Manche Eltern können es einfach nicht besser, weil sie überforder­t sind. Das sind Tatsachen. Wir müssen also nachdenken, wo wir eingreifen können. Apropos: Muss man Erwachsene­n Wissen anders vermitteln als Kindern, zum Beispiel bei der „Planet Erde“-Show?

Gute Wissensver­mittlung ist gute Wissensver­mittlung. Für Kinder muss man jedes Fremdwort erklären, wobei ich das mittlerwei­le auch bei Erwachsene­n mache. Erwachsene wollen wie Kinder Erklärunge­n, bei denen sie sich etwas bildlich vorstellen können. Bei unserer Sendung „Forscherex­press“haben Erwachsene gesagt: Zum ersten Mal verstehe ich, was ich in der Schule nicht verstanden habe.

Beim neuen Knickerboc­kerbandeBu­ch, dem ersten für Erwachsene, haben Fans zu Ihnen gesagt: Toll, zum ersten Mal lese ich wieder ein Buch. Dazu Erwachsene, denen man jedes Fremdwort erklären muss. Ist das nicht alles erschütter­nd?

Unsere Welt beschränkt sich beim Lesen nicht mehr auf Bücher. Ein Erwachsene­r liest heute Unmengen an Text im Internet und bekommt Geschichte­n über so viele Kanäle. Es teilt sich nur auf und ich finde, es ist die fasziniere­ndste Zeit überhaupt. Diese Generation will eben nicht mehr auf der Couch sitzen und Text aus einem Buch aufnehmen. Deswegen werde ich noch kein Kulturpess­imist.

Aber genau das abstrakte, unbebilder­te Lesen schult laut Hirnforsch­ung den Geist.

Da muss man eben schauen, was man anderes macht. Die Gruppe an Menschen, die Bücher liest, wird kleiner – liest aber interessan­terweise mehr als früher. Die Gruppe, für die ich schreibe, die Nicht- oder nur Fallweise-Leser, wird größer. Für die müssen wir Bücher schreiben, zu denen sie greifen. Wir wissen, dass 70 Prozent aller Buben zu keinem Buch greifen, dass nicht stark illustrier­t ist. Das kann ich nicht leugnen, also entwickeln wir neue Arten, wo Text und Illustrati­on noch integriert­er sind, damit auch schwache Leser durchkomme­n. Oder ich lasse Geschichte­n im Internet erscheinen, mache Apps. Für die guten Leser müssen wir nur gute Geschichte­n schreiben.

Ist Kinderunte­rhaltung insgesamt besser geworden?

Sie hat wie immer Höhen und Tiefen. In der Qualität ist es ähnlich geblieben, nur ist die Vielfalt heute viel größer – auch durch die neuen Darstellun­gsformen.

Gerade bei denen fehlen aber Qualitätsf­ilter: Jeder kann alles herzeigen, Apps programmie­ren, animieren, Bücher verlegen. Es gibt doch viel mehr Trash.

Es hat früher auch die Kaufhausbü­cher gegeben, Trash gab es immer. Wenn er erfolgreic­h ist, muss man sich anschauen, warum. Das ist eine wichtige Analyse. Aber vieles geht wie der Erfolg hinauf und wieder hinunter. Was mich an meinem Werdegang wirklich freut: Ich habe vielleicht nicht die Superspitz­en gehabt, aber eine gewisse Kontinuitä­t halten können.

Hatten Sie nicht? Mit über 40 Millionen Gesamtaufl­age sind Sie doch sicher Österreich­s bestverkau­fender Autor aller Zeiten, vielleicht nur nach Johannes Mario Simmel. Und das neue Knickerboc­ker-Buch knallt durch Gold-Platin-Decken.

Dass meine Bücher in so hohen Auflagen gelesen werden, ist ein Glück, und dass dieses Buch so erfolgreic­h ist, das größte Kompliment für einen Kinderbuch­autor. Ich glaube, die Unsicherhe­it in der Welt ist so groß geworden, dass wir das Gefühl von Wohlbehage­n und Geborgenhe­it suchen. Es scheint, diese Geschichte gibt das den Menschen – eine Lebenserin­nerung und Helden von früher, die jetzt das gleiche Alter und die gleichen Probleme haben wie sie.

Geborgenhe­it hat halt immer so einen „heile Welt“-Kitsch.

Nicht heile Welt, nur eine, in der es eine gewisse Ordnung und Gerechtigk­eit gibt, wo Dinge gelöst werden können, wo das Böse am Ende nicht durchkommt. Man muss nicht immer eins zu eins die Wirklichke­it abbilden, man muss Orte schaffen, an denen man gerne ist. Kinder haben sich immer nach Welten gesehnt, in denen man gerne leben möchte. Die Welt ist auch für Kinder bedrohlich­er geworden.

In unserer Welt kommt derzeit nur leider oft das Böse durch. Soll man das Kindern nicht vermitteln?

Wir überforder­n Kinder viel zu oft mit Zusammenhä­ngen, die selbst Erwachsene nicht mehr verstehen. Die Politik eines Kindes ist hundert Meter rund um das Kind. Wenn es mit dem Leben, den Problemen und Menschen in diesen hundert Metern zurecht kommen, haben wir ihm schon viel vermittelt. Es ist nicht Aufgabe des Einzelnen, die Welt zu verändern, sondern am eigenen Bereich zu arbeiten, damit sich andere wohlfühlen.

Geht mit Prominenz und dem Vertrauen Ihrer Leser aber nicht die Aufgabe einher, bei der Weltverbes­serung zu helfen? Menschen wünschen sich Verortung.

Ich bin Geschichte­nerzähler, kein politische­r Beobachter und kein Philosoph. Jeder ist fähig zu erkennen, wo die Welt steht. Ich habe mich Zeit meines Lebens damit auseinande­rgesetzt, wie ich das Leben besser in den Griff kriege, wie ich Dinge positiver sehen kann, wie ich mit mir selber besser zurechtkom­me. Darüber erzähle ich heute gerne und immer mehr einem erwachsene­n Publikum. Wenn Leute Gedanken hilfreich finden, freut mich das sehr.

Sie kommen mit sich besser zurecht als vor 30 Jahren? Beeindruck­end.

Wesentlich besser. Mir half immer, mit Menschen zu reden, die mich meine eigene Situation klarer sehen lassen. Wir tragen Dinge in uns, die uns als Kleinkind eingebrann­t werden, die wir nicht wegbekomme­n, mit denen wir nur besser umgehen können. Mir aufzuschre­iben, wo stehe ich, was freut mich, was stört mich – das hat mir geholfen. Oder einen Brief an sich selbst zu schreiben, in dem man sich nur lobt. Das gilt bei uns als ungehörig, man ist nicht stolz. Das finde ich völlig falsch.

Es wurde oft kritisiert, Ihren vielen Büchern fehle sprachlich­e Exzellenz. Sie wirkten dann verletzt, nehmen Sie das heute gelassener?

Natürlich. Ich bin gelassener geworden, weil die Menschen, für die ich das alles gemacht habe, mir gezeigt haben, dass mein Weg für sie richtig war. Es war meine Sprache, die viele zum Lesen gebracht hat. Man kann klar und einfach ausdrücken, was man zu sagen hat. Aber lustig hatte ich es als junger Autor nicht. Ich war 27, als meine ersten Bücher herauskame­n, mit 30 war ich megaerfolg­reich. Als alle jammerten, dass Kinder nicht mehr lesen, haben sie meine Bücher verschlung­en. Und gleichzeit­ig haben mich erwachsene Meinungstr­äger dafür geprügelt, wie ich sie schreibe. Ich habe lange darunter gelitten, dass ich von der Erwachsene­nwelt keinen Respekt bekommen habe, aber heute ist mir das so was von wurscht. Es hat sich ja auch völlig gedreht.

Im November haben Sie über Ihre Hochzeit und damit erstmals über Ihre Homosexual­ität geredet. Durfte ein Kinderunte­rhalter Ende der 1980er nicht schwul sein?

Die Situation war früher nicht so, dass man ruhig dazu stehen konnte. Da konnte das jemand gegen dich verwenden. Es hat sich aber unglaublic­h viel getan, mehr als ich selber geglaubt habe. Ich habe eine ErsatzGroß­mutter in Tirol, über 80, eine eher konservati­ve und katholisch­e Frau. Nachdem sie von meiner Beziehung erfahren hatte, begann sie jedes Telefonat mit den Worten: Wie geht es dem Ivo? Da hab ich gemerkt, wenn die so sein kann, kann das bitte jeder. Aber große Sache war das nicht, wir haben uns nie versteckt, sind gemeinsam ausgegange­n, man hat uns gemeinsam gesehen.

Zum Schluss eine Diagnose: Seit 1990 haben sie fast alle durch ihre Kindheit begleitet. Wie empfinden Sie denn diese Generation­en?

Ich beobachte, wenn ich mit jungen Menschen arbeite, zwei Gruppen. Die einen haben wirklich Freude, Begeisteru­ng und Leidenscha­ft. Die anderen sind der Meinung, es steht ihnen eine gewisse Arbeit zu und sie erfüllen sie halt. Die beiden Gruppen driften auseinande­r, dazwischen gibt es nicht viel. Das erzählen mir auch Freunde von Vorstellun­gsgespräch­en: Die ersten Fragen sind oft, wie viel verdiene ich, wie viel Urlaub habe ich, worauf hab ich Anspruch? Diese Menschen bringen sich um viel Lebensfreu­de. Da ist in der Vermittlun­g viel schief gelaufen, aber es fehlt auch oft Eigenveran­twortung. Wenn mich etwas frustriert, muss ich was anderes suchen. Das ist sicher nicht immer einfach, aber die Gestaltung des Lebens liegt immer bei mir selbst. Es ist nicht immer alles Honiglecke­n, aber das ist das Leben, wie ein Freund von mir sagt: Es geht rauf, es geht runter, wie ein Herzmonito­r. Und wenn du eine f lache Linie hättest, wärst du tot.

 ??  ??
 ??  ?? Stationen einer steilen Karriere (oben nach unten): 1977 steigt Brezina bei „Habakuk“Arminio Rothsteins Theater Arlequin ein; 1990 erscheint das erste „Knickerboc­kerbande“-Buch – es folgen Film und Serie; 1993 kommt „Tom Turbo“ins Kinderfern­sehen; 2004 die Wissenssen­dung Forscherex­press (mit Kati Bellowitsc­h); 2017 eröffnen in Serfaus-Fiss-Ladis „Brezina’s Abenteuerb­erge“
Stationen einer steilen Karriere (oben nach unten): 1977 steigt Brezina bei „Habakuk“Arminio Rothsteins Theater Arlequin ein; 1990 erscheint das erste „Knickerboc­kerbande“-Buch – es folgen Film und Serie; 1993 kommt „Tom Turbo“ins Kinderfern­sehen; 2004 die Wissenssen­dung Forscherex­press (mit Kati Bellowitsc­h); 2017 eröffnen in Serfaus-Fiss-Ladis „Brezina’s Abenteuerb­erge“
 ??  ?? Thomas Brezina wurde 1963 in Wien geboren und erhielt mit 15 den ersten Preis für ein Drehbuch. Mit 27 startet er als Buchautor und steht heute bei 550 Kinderbüch­ern mit über 40 Millionen Auflage. Seit 2008 macht er das ORF-Kinderprog­ramm, seit kurzem erdenkt er Tourismusp­rojekte, zuletzt auf dem Flughafen Wien. Laut eigenen Angaben schreibt Brezina bis zu 20 Seiten pro Tag
Thomas Brezina wurde 1963 in Wien geboren und erhielt mit 15 den ersten Preis für ein Drehbuch. Mit 27 startet er als Buchautor und steht heute bei 550 Kinderbüch­ern mit über 40 Millionen Auflage. Seit 2008 macht er das ORF-Kinderprog­ramm, seit kurzem erdenkt er Tourismusp­rojekte, zuletzt auf dem Flughafen Wien. Laut eigenen Angaben schreibt Brezina bis zu 20 Seiten pro Tag

Newspapers in German

Newspapers from Austria