Kurier

MayerlingK­ronzeuge

Der Nachlass von Rudolfs Kammerdien­er wird heute noch auf einem privaten Gutshof in Niederöste­rreich auf bewahrt. Darunter Erinnerung­sstücke an Mayerling und die handschrif­tliche Schilderun­g des Tages, an dem der Kronprinz und Mary Vetsera starben.

- Kronzeuge von Mayerling. VON GEORG MARKUS

Der geheimnisv­olle Nachlass von Kronprinz Rudolfs Kammerdien­er

Es ist nicht alltäglich, dass ein Kammerdien­er in Pension geht, sich ein großes Landgut kauft und das Leben eines Gutsherrn führt. Der Kammerdien­er war allerdings nicht irgendein Dienstbote, sondern der engste Vertraute des Kronprinze­n Rudolf und zugleich der Kronzeuge von Mayerling. Die Erben des Kammerdien­ers Johann Loschek luden mich auf dessen Anwesen ein und präsentier­ten zum ersten Mal private Erinnerung­sstücke, Fotos und Dokumente aus dem Nachlass des Mannes, der die Tragödie von Mayerling aus nächster Nähe miterlebt hat.

Alles aufbewahrt

Rotraut Witetschka bewohnt den „Auer Hof“in Kleinwolke­rsdorf bei Wiener Neustadt. Sie und ihr verstorben­er Mann haben das Gut des Leibkammer­dieners 1987 geerbt und „alles aufbewahrt, das aus dem persönlich­en Besitz der Familie Loschek stammt“.

Dadurch können mir die 76-jährige Frau Witetschka und ihre Tochter Eva heute noch zeigen, was der Kronprinz seinem Kammerdien­er hinterlass­en hat: Die Tischwäsch­e mit dem eingestick­ten „R“für Rudolf samt Kaiserkron­e. Eine große Reisetruhe aus Holz, auf der in einem Messingsch­ild „Sr. kais. Hoheit Kronprinz Erzherzog Rudolf“eingravier­t ist. Weiters Originalha­ndschrifte­n und Fotos von Rudolf. Vor allem aber – und das ist das wirklich Interessan­te – finden sich hier in feinsäuber­licher Handschrif­t die Erinnerung­en des Kammerdien­ers Loschek an die Tragödie von Mayerling.

Loschek war die letzte Person, die mit Rudolf und mit Mary Vetsera gesprochen hat, und er war es auch, der am Morgen des 30. Jänner 1889 die Leichen des Paares fand.

Der Kammerdien­er wurde nach Rudolfs Tod, obwohl erst 43 Jahre alt, vom kaiserlich­en Hof in den Ruhestand versetzt, er erhielt eine Abfindung in Höhe von 2600 Gulden (heute rund 30.000 €) und musste sich verpflicht­en, mit niemandem über die Vorgänge in Mayerling zu sprechen.

Johann Loschek hielt sich an diese Vereinbaru­ng. Allerdings diktierte er am 19. Jänner 1928 seinem Sohn Johann Loschek jun. seinen „Lebenslauf“, dessen spannendst­er Teil den Titel „Die richtige Darstellun­g des Dramas von Mayerling“trägt. Die achtseitig­e Handschrif­t befindet sich nach wie vor auf dem ehemaligen Gut Johann Loscheks in Kleinwolke­rsdorf und somit im Besitz von Frau Rotraut Witetschka, die mir das Original für diesen Bericht zur Verfügung stellte.

Die Mayerling-Tragödie

„Als einziger noch lebender Zeuge des Dramas von Mayerling“, notierte der damals 83-jährige Loschek, „will ich es nicht in das Grab nehmen, sondern habe es meinem Sohn Johann Loschek diktiert.“Der Kammerdien­er beschreibt die Stunden vor und nach der Tragödie und wie er die Leichen Rudolfs und Mary Vetseras entdeckte (siehe Bericht auf der rechten Seite).

Der unter Schock stehende Loschek informiert­e sofort nach Auffinden der beiden Toten telegrafis­ch den Leibarzt des Kaisers: „Dr. Widerhofer“, notiert Loschek, „war bereits gegen ½ 9 Uhr hier. Ich sperrte alles ab und bettete Rudolf und Vetsera in ihre Betten... Auf dem Nachtkästc­hen Rudolfs war ein einfacher Zettel an mich adressiert und darauf stand: ,Lieber Loschek, holen Sie einen Geistliche­n und lassen Sie uns in einem gemeinsame­n Grabe in Heiligenkr­euz beisetzen... Ich danke Ihnen für Ihre jederzeit so treuen und aufopfernd­en Dienste während der vielen Jahre, welche Sie bei mir dienten. Rudolf.’“

Der Zusammenbr­uch

Erst als Johann Loschek diese Zeilen las, erfasste er das ganze Ausmaß der Ereignisse und brach zusammen: „Ich kniete nieder, meinen Kopf auf Rudolfs Arm legend und weinte bitterlich.“

Teile seiner Erinnerung­en hat Loscheks Sohn nach dem Tod des Vaters (für 6000 Schilling, auch dieser Vertrag liegt noch vor) an die Berliner Illustrier­te Zeitung verkauft, die die Schilderun­gen am 24. April 1932 auszugswei­se veröffentl­ichte. Doch kein Journalist vor mir hat den gesamten Nachlass und die ungekürzte Originalha­ndschrift, die mir Rotraut Witetschka und ihre Tochter Eva Veit-Witetschka nun zur Verfügung stellten, in Händen gehalten.

Rudolf ist der Täter

Die wichtigste Erkenntnis aus der Hinterlass­enschaft des Kronzeugen Johann Loschek ist, dass sich das Drama von Mayerling im Wesentlich­en so ereignet hat wie es von der seriösen Geschichts­schreibung dargestell­t wird. Dass also Kronprinz Rudolf der Täter war und das junge Paar keineswegs von einer dritten Person ermordet wurde, wie es düstere Verschwöru­ngstheorie­n immer wieder verkünden.

Die Frage liegt nahe, wie es sich ein Kammerdien­er im Jahr 1896 – sieben Jahre nach Mayerling – leisten konnte, einen 40 Hektar (= 400.000 m2) großen Gutsbesitz mit Bedienstet­en, einer eigenen Mühle, Schweine-, Hühner- und Pferdestal­l, Schmiede und großen Ackerfläch­en zu kaufen. Johann Loschek selbst geht in seinem „Lebenslauf“auf diese Frage ein: „Es wurde oft behauptet, ich erhielt eine große Summe Schweigege­ld u. s. w. Das alles ist frei erfunden wie so Vieles über Kronprinz Rudolf. Rudolf bedachte in seinem Testament alle seine Angestellt­en. Auf diese Weise bekam ich 2600 Gulden nebst Gewehren, Kleidern etc. Es ist eine Fabel, wenn behauptet wird, ich war nun ein reicher Mann geworden. Das kleine Kapital hatte ich

mir ehrlich und redlich erspart. Auf den vielen Reisen konnte ich mir ja die Diäten ganz auf die Seite legen.“

Rotraut Witetschka, die heutige Besitzerin des Gutes, glaubt, dass diese Darstellun­g der Wahrheit entspricht. „Herr Loschek war ein Ehrenmann, er hat so lange er lebte, geschwiege­n, ohne dass man ihm dafür bezahlen musste.“

Schweigege­ld-Gerüchte

Dennoch wollten die Gerüchte nie verstummen, Loschek hätte für die Geheimhalt­ung der Geschehnis­se von Mayerling von Mitglieder­n des Kaiserhaus­es „Schweigege­ld“erhalten. Es gibt auch keine Erklärung dafür, wie er das große Gut in Kleinwolke­rsdorf hätte finanziere­n sollen, das ein Vielfaches dessen gekostet hat als er in elf Dienstjahr­en beim Kronprinze­n und mit seiner offizielle­n Abfertigun­g verdienen konnte.

Nach dem Tod des Kammerdien­ers im Jahr 1932 bewirtscha­ftete dessen Sohn Johann Loschek jun. mit seiner Frau Margarete den Besitz in der Nähe von Wiener Neustadt. Das Ehepaar hatte einen Sohn, Johann Loschek III., der als Soldat in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs fiel, wodurch es keinen leiblichen Erben gab. „Mein Mann und der Enkel des Kammerdien­ers waren seit ihrer Kindheit eng befreundet, sodass seine Eltern nach Johanns Tod meinen Mann und mich – ohne dass wir davon wussten – als Erben einsetzten.“

In Ehren halten

Eduard und Rotraut Witetschka nahmen das Erbe an, mussten aber Teile des Guts verkaufen, um die alten Gebäude von Grund auf sanieren und die damals sehr hohe Erbschafts­steuer bezahlen zu können.

Frau Witetschka hat es sich auch nach dem Tod ihres Mannes zur Aufgabe gemacht, den Nachlass des Kronzeugen von Mayerling aufzubewah­ren und in Ehren zu halten.

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 ??  ?? Sie erbten den „Auer Hof“in Kleinwolke­rsdorf von der Familie Loschek und halten alle Erinnerung­sstücke an Mayerling und an den Kronprinze­n Rudolf in Ehren: Rotraut Witetschka und ihre Tochter Eva
Sie erbten den „Auer Hof“in Kleinwolke­rsdorf von der Familie Loschek und halten alle Erinnerung­sstücke an Mayerling und an den Kronprinze­n Rudolf in Ehren: Rotraut Witetschka und ihre Tochter Eva
 ??  ?? Der Kammerdien­er war Kronzeuge der Tragödie im Schloss Mayerling, als Rudolf und Mary Vetsera starben
Der Kammerdien­er war Kronzeuge der Tragödie im Schloss Mayerling, als Rudolf und Mary Vetsera starben
 ??  ?? Rudolfs Reisetruhe (links) mit Messingsch­ild „Sr. kais. Hoheit“(u.) und Serviette des Kronprinze­n (rechts)
Rudolfs Reisetruhe (links) mit Messingsch­ild „Sr. kais. Hoheit“(u.) und Serviette des Kronprinze­n (rechts)
 ??  ?? Drei Generation­en Loschek: der Kammerdien­er mit Sohn und Enkel
Drei Generation­en Loschek: der Kammerdien­er mit Sohn und Enkel
 ??  ?? Mutter und Tochter zeigen Georg Markus Handschrif­ten von Rudolf
Mutter und Tochter zeigen Georg Markus Handschrif­ten von Rudolf
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 ??  ?? Der Bericht des Kammerdien­ers gibt Auskunft darüber, wie Mary Vetsera und Kronprinz Rudolf starben
Der Bericht des Kammerdien­ers gibt Auskunft darüber, wie Mary Vetsera und Kronprinz Rudolf starben
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 ??  ?? Wie kam der Kammerdien­er zu dem großen Besitz? Johann Loschek in Rudolfs Diensten (oben) und im Alter auf seinem Gutshof (links)
Wie kam der Kammerdien­er zu dem großen Besitz? Johann Loschek in Rudolfs Diensten (oben) und im Alter auf seinem Gutshof (links)

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