Kurier

100 Tage Türkis-Blau

Andreas Khol. Der ÖVP-Klubchef der Wenderegie­rung vergleicht nach 100 Tagen Türkis-Blau mit Schwarz-Blau.

- VON IDA METZGER

„Kurz hat es viel leichter als Schüssel“, sagt Schwarz-BlauArchit­ekt Khol

KURIER: Herr Khol, Sie gelten als Architekt der ersten schwarzbla­uen Koalition. Nun hat Türkis-Blau die ersten 100 Tage hinter sich. Was unterschie­det Schwarz-Blau I vor 18 Jahren von Türkis-Blau heute? Andreas Khol: Eigentlich vieles. Die Voraussetz­ungen dieser Regierung sind in allen Bereichen einfach besser. Das beginnt damit, dass es keine Vorwürfe geben kann, dass der Dritte der Nationalra­tswahl gegen den Willen des Bundespräs­identen Kanzler wird. Auch das enge Zusammensp­iel – nicht nur der Führungsma­nnschaft – sondern auch in den unteren Rängen gab es im Jahr 2000 nicht. Die Freiheitli­chen hatten sofort den Ewald Stadler als Quertreibe­r vom Dienst. In der ÖVP gab es mit Bernhard Görg und Erwin Pröll zwei, die gegen die Zusammenar­beit waren und kritisch am Rande standen.

Vermissen Sie angesichts der guten Bedingunge­n nicht den Willen, echte Reformen anzugehen? Wolfgang Schüssel hatte trotz der widrigen Umstände den Mut dazu. Oder gilt immer noch Ihr Motto „Speed kills“...

Diese martialisc­he Sprache würde ich heute nicht mehrverwen­den.Daswarein Fehler von mir. Statt „Speed kills“würde ich heute „Speed wins“sagen. Meine Philosophi­e war damals, dass wir von der allgemeine­n Opposition­shaltung gegen Schwarz-Blau nur wegkommen, wenn wir jede Woche eine Reform machen. Das haben wir zehn Monate auch durchgehal­ten. Größere Reformen kamen dann nach 12 Monaten. Die türkisblau­e Regierung ist in der Wortwahl besser. Aber auch sie setzt jede Woche ein neues Thema, so wie Schwarz-Blau damals.

Türkis-Blau setzt zwar jede Woche ein neues Thema, aber Experten vermissen gerade im eben präsentier­ten Budget die langfristi­gen Reformen ...

Türkis-Blau hat bereits eine gewichtige Reform wie den Familienbo­nus, der ein gewaltiger Einkommens­zuwachs für die untere Mittelschi­cht und den Durchschni­ttsverdien­er ist, auf den Weg gebracht. Das habe ich mir extra durchgerec­hnet. Große Projekte wie die Föderalism­usreform, die Zusammenle­gung der Sozialvers­icherung, die Pflege- und die Pensionsre­form müssen gut verhandelt sein. Das große Leuchtturm­projekt der Ära Schüssel – nämlich die Pensionsre­form – brauchte ein Jahr, bis es fertig war. Ohne diese Reform wäre das Pen- sionssyste­m heute schon längst an die Wand gefahren.

Warum steht dann keine wirklich tief greifende Pensionsre­form im Koalitions­programm?

Vielleicht steht sie nicht im Programm, aber die neue Regierung wird die Pensionen in Angriff nehmen. Denn wir wissen inzwischen, dass die Neuordnung der Invaliditä­tspensione­n ein Flop ist. Deswegen steigt das Antrittsal­ter bei den Pensionen nicht. Ich weiß auch, dass die Zusammenle­gung der Sozialvers­icherungen in zirka sieben Monaten im Ministerra­t sein wird.

Im Dezember 2017 meinten Sie im KURIER-Interview, dass in der FPÖ nun eine klarere Abgrenzung zum Antisemiti­smus existiert. Hat Sie die Liederbuch­affäre eines Besseren belehrt?

Das Ausmaß der NaziRestbe­stände in der breiten Gesellscha­ft war mir nicht bewusst.

Was meinen Sie damit genau?

Damit meine ich die Vereine und Verbindung­en, wo es Restbestän­de von anno dazumal gibt. Wobei man hier die Burschensc­hafter nicht vorverurte­ilen darf. Auch muss man zwischen Burschensc­haften und Korpsstude­nten unterschei­den. Die Korpsstude­nten haben mit dem Deutschnat­ionalen und dem Antisemiti­smus nichts am Hut. Es wichtig und notwendig, dass der Reinigungs­prozess nun weitergeht. In Oberösterr­eich gab es jetzt wieder ein Nazi-Posting. Die FPÖ hat die Mitglieder sofort aus der Partei geschmisse­n. Ich nehme den Freiheitli­chen ab, dass sie frei von Antisemiti­smus und Neo-Nazismus werden wollen.

Es beunruhigt Sie also nicht, dass etwa ein Martin Graf, der bei der sehr rechten Burschensc­haft Olympia aktiv ist, wieder im Nationalra­t sitzt?

Einzelfäll­e, die mich beunruhige­n, existieren natürlich. Aber man muss sie an ihren Taten messen. Wir führen in der Demokratie keine Prozesse über mögliche Absichten.

Kommen wir zu Heinz-Christian Strache. Er lieferte einige FauxPas (Armin Wolf-Posting, proserbisc­he Haltung in der Kosovo-Frage) in den ersten 100 Tagen. Ist er mit der Rolle des Vizekanzle­rs überforder­t?

Strache hat sicherlich die S ch werge wichtigkei­t, die das Regierungs­amt mit sich bringt, unterschät­zt. Aber er lernt schnell. Schon 2000 wollte Strache in die Regierung. Bernhard Görg hat mich damals auf ihn aufmerksam­gemacht. Er meinte :„ Der will mitgestalt­en, nehmt ihn als Staatssekr­etär.“

Wenn Sie Strache mit der damaligen Vizekanzle­rin Susanne Riess-Passer vergleiche­n, wer macht den Job besser?

Die Chemie zwischen Wolfgang Schüssel und Susanne Riess-Passer war ebenso gut wie zwischen Kurz und Strache. Was Strache das Regieren heute leichter macht, ist die Einigkeit der FPÖ. Wir hatten eine sehr instabile Partei als Partner. Gegen diese Instabilit­ät konnten wir nichts machen, obwohl wir uns sehr bemüht haben. Es gab den heimlichen Parteichef Haider in Klagenfurt, der bei jeder Ministerra­tssitzung angerufen hat. Ich erinnere mich noch gut, dass Peter Westenthal­er oft auf den Balkon im Bundeskanz­leramt ging, um mit Haider zu reden. Später kam als Vizekanzle­r Herbert Haupt, der zwar liebenswür­dig, aber auch sehr bizarr war. Auch die Auswahl der Minister war nicht immer glücklich. Ich kann mich an viele unsägliche Minister erinnern – wie etwa im Sozialmini­sterium.

Wie beurteilen Sie die Rolle von Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen?

Er agiert sehr gut. Das muss man neidlos anerkennen. Die Unparteili­chkeit übt er sogar besser aus als Heinz Fischer.

Der Zuwachs bei den Landtagswa­hlen war für die FPÖ geringer als erhofft. Auch in Umfragen fällt die FPÖ zurück. Wird das für Unruhe bei den Blauen sorgen wie anno dazumal?

Das glaube ich nicht. Die FPÖ ist um zwei maximal drei Prozent abgesunken und Sebastian Kurz hat 1,5 Prozent dazu gewonnen. Das ist nicht besorgnise­rregend. Das Absinken der FPÖ hängt sicher mit dem Rauchervol­ksbegehren zusammen. Diese Front muss beruhigt werden. Da muss die FPÖ selber wissen, wie sich da positionie­ren will und eine Lösung finden. Hier kann sie auch nicht der ÖVP die Schuld geben.

Einer Ihrer typischen Ausdrücke ist: „Man muss sich innerhalb des Verfassung­sbogen bewegen“. Tut die FPÖ das?

Ganz eindeutig. Noch eindeutige­r als die Haider-Partei 2000. Weil die Abgrenzung gegenüber Nationalso­zialismus, Antisemiti­smus und Rassismus heute viel deutlicher ist. Auch das ganze „Dritte Republik“-Gehabe ist weg. Die FPÖ steht zur Verfassung.DieEU-Linieistun­problemati­sch. Haiders entscheide­nde Pro-Europa-Wende passierte erst bei den Sondierung­sgespräche­n am 3. November 1999. Da haben Haider und Thomas Prinzhorn versichert: „Wir akzeptiere­n Maastricht. Wir akzeptiere­n die Europäisch­e Union als supranatio­nale Organisati­on und nicht mehr als Europa der Vaterlände­r. “Daran hat sich Haider auch gehalten.

Ihre Analyse klingt so, als würden Sie Sebastian Kurz fast beneiden, unter welchen guten Bedingunge­n er regieren kann?

Sebastian Kurz hat es wesentlich leichter als Wolfgang Schüssel. Viel leichter. Allein das internatio­nale Umfeld ist positiver. Denken Sie nur daran, wie positiv Kurz in Deutschlan­d aufgenomme­n wird. Dann die wirtschaft­liche Situation. Diese Wachstumsr­aten hätten wir gerne gehabt. Dieses Umfeld hat sich Schüssel erst schaffen müssen. Dann sind die Mehrheitsv­erhältniss­e im Parlament ganz anders. Es gibt keine Grünen mehr. Die waren 2000 hasserfüll­t. Auch einen so geeinten ÖVP-Klub, wie ihn Kurz hat, hatte ich nicht. Das hat die Raucherabs­timmung gezeigt. Wobei man sagen muss, dass ein Drittel der Abgeordnet­en auf dem Rockschoß von Kurz ins Parlament kam. Auch diese Möglichkei­t hatte Schüssel nicht.

Peter Westenthal­er war 2000 FPÖ-Klubobmann. Nun muss er ins Gefängnis. Wie sehen Sie als Jurist das Urteil?

Peter Westenthal­er tut mir leid. Das Urteil betreffend der BZÖ-Spende kann ich nachvollzi­ehen. Aber wo die Untreue bei der Bundesliga­Subvention liegt, verstehe ich nicht. Diese unglaublic­he Härte kann ich nicht nachvollzi­ehen.

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Andreas Khol erinnert sich an die Wendejahre ab 2000: „Kurz hat es viel leichter als Schüssel“
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Szenen aus Schwarz-Blau I: „Wolfgang Schüssel regierte mit einer instabilen Partei“, sagt Khol. Bei jedem Ministerra­t rief Jörg Haider an. Susanne Riess-Passer war die Vizekanzle­rin, aber Haider regierte mit
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