„Widerstand mit allen Mitteln“
Großdemo in Wien. 80.000 protestierten gegen den 12-Stunden-Tag
Ein weißer Kreis, rot umrandet, und mittendrin eine fett durchgestrichene Zwölf: Wer Samstagnachmittag am Wiener Heldenplatz unterwegs war, dem begegnete das Symbol des Widerstandes bei jedem Schritt.
Parallel zur Planai-Wanderung der Regierung (siehe Artikel links) lud der Gewerkschaftsbund ÖGB in Wien zu einer Protestveranstaltung. Und die Sticker mit dem Nein zum 12-Stunden-Tag sind Zeichen der Sympathisanten. 100.000 waren es laut ÖGB, 80.000 laut Polizei. Und mit Schildern und Pfeifen zogen sie durch die Stadt.
Der Protest war – sowohl was den Ton als auch was die Inhalte anging – bisweilen unterschiedlich, im Publikum wie auf der Bühne.
Susanne Hofer etwa, die Chefin der Gewerkschaftsjugend, bemüht sich angesichts der geplanten Änderungen nicht groß um Diplomatie. Stattdessen schleudert sie der Regierung entgegen: „Wir lassen uns nicht auf den Schädel scheißen!“
Postgewerkschafter Helmut Köstinger ruft gar zum Sturz der Regierung auf – und sorgt so kurzfristig für interne Irritationen. Immerhin sind alle Fraktionen des ÖGB vertreten, auch die Christgewerkschafter. Deren Chef Norbert Schnedl stellt also klar: Man will nicht Türkis-Blau stürzen, sondern die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer verbessern.
Bis auf Köstingers rhetorischen Ausritt gibt man sich aber einig: Die Regierung muss die geplanten Änderungen im Arbeitszeitgesetz überdenken, oder besser: ganz zurücknehmen.
Professionell
Die Art und Weise, wie der Gewerkschaftsbund den Protest organisiert, ist zweifelsohne professionell: Da werden Vertreter aller Teilgewerkschaften auf die Bühne gebeten, um anhand ihres Alltags zu erklären, warum ein 12-Stunden-Tag mit dem Arbeitsleben nicht vereinbar ist.
„Wer holt die Kinder aus dem Kindergarten ab, wenn mein Mann und ich zwölf Stunden arbeiten?“, fragt eine Büroarbeiterin.
Die Chefin der Angestelltengewerkschaft, Barbara Teiber, nimmt die ÖVP-Wirtschaftsministerin zur Hilfe: „Wenn selbst die Wirtschaftsministerin an die Arbeitgeber appelliert, das geplante Gesetz nicht auszunützen, müssen bei allen die Alarmglocken schrillen!“.
Wieder und wieder wird an diesem Samstag daran erinnert, dass jetzt die Maßnahmen beschlossen werden, die die Großspender von Sebastian Kurz und der ÖVP im Wahlkampf gefordert hätten.
Die Industriellenvereinigung bestellt, die Regierung liefert: Das ist die Erzählung, die der ÖGB unter die Menschen bringen will.
Und damit sie im Gedächtnis bleibt, werden mehrfach TV-Auftritte von IV-Boss Georg Kapsch eingespielt. Apropos Fernsehen: Prominent zu sehen ist bei der ÖGB-Demo auch FPÖChef und Vizekanzler HeinzChristian Strache – auf dem Bildschirm. Es gibt einen Fernsehauftritt von ihm, in dem er einer besorgten Frau erklärt, wie sie sich gegen einen 12-Stunden-Tag wehren kann: „Sie sagen einfach zum Chef: ,Ich habe Kinder zu versorgen‘.“
Genau die Szene wird auf der ÖGB-Bühne gezeigt. Was folgt: Pfiffe, Schreie, Buh-Rufe. Hier glaubt niemand, die Angestellte könne einfach Nein sagen, wenn der Chef sich Überstunden wünscht.
Aber vielleicht muss es nicht dazu kommen. Denn geht’s nach ÖGB-Chef Wolfgang Katzian, gibt es ein Volksvotum über den 12Stunden-Tag. „Fragt das Volk!“, sagt er zur Regierung. Und wenn nicht? „Dann leisten wir jeden nur möglichen Widerstand.“