Dem Moderaten läuft die Zeit davon
Iran. Kommende Woche besucht Präsident Rohani Wien – Visite in einer schwierigen Phase
Wenn Irans Präsident Hassan Rohani am Mittwoch nach Wien kommt, wird da ein Staatsmann zu Gast sein, der sowohl auf diplomatischem Parkett als auch in seiner Heimat schwer in Bedrängnis ist: Der Atomdeal (unterzeichnet von den UNVetomächten China, Frankreich, Großbritannien, Russland und den USA plus Deutschland) steht an der Kippe, die USA fahren ihr Sanktionsregime gegen Teheran hoch, und daheim steht der moderate Präsident zunehmend in der Kritik von allen Seiten. Hardlinern ist er zu weich, Moderaten zu lahm, und dieUS-Sanktionenbeginnendieiranische Wirtschaft hart zu treffen – was erste Proteste zur Folge hat .
Rohanis Visite – vor Österreich ist er in der Schweiz – ist dabei aber eine bei Freunden. In Wien war das Abkommen vorverhandelt worden. Es sind die Europäer, die dieses am Leben erhalten möchten, während die USA es aufgekündigt haben. Und das hat im Iran eine Situation geschaffen, in der alles wackelt.
Oliver Ernst, Iran-Experte bei der Konrad Adenauer Stiftung mit Sitz in Berlin, sieht da eine ganze Reihe möglicher Szenarien – bis hin zu einem möglichen Putsch des Militärs. Ein Verzweiflungsbesuch also? So weit will Ernst nicht gehen. Rohani versuche in erster Linie einmal, sich nicht die „politischen Karten aus der Hand schlagen zu lassen“. Ernst fügt aber doch an: „Die Spielräume, die Rohani heute hat, sind kleiner als vor einem Jahr.“Mit dem Besuch versuche er, „die Nischen zu nutzen, die es im europäisch-iranischen Verhältnis noch gibt“.
Zwischen den Stühlen
Rohanis Besuch ist dabei auch eine Reise auf einen Erdteil, der selbst derzeit zwischen den Stühlen sitzt: Die USA machen Druck auf Europa, aus dem Iran-Deal auszusteigen und alle Handelsbeziehungen zum Iran abzubrechen. Wobei es, so Ernst, den USA im Konflikt mit dem Iran weniger um dessen nukleare Aktivitäten gehe als um Teherans Politik in der Region.
Für den Iran hat die Aufrechterhaltung des Deals jedenfalls höchste Priorität: „Alle profitieren davon“, so Ernst. Er meint damit vor allem die Aufhebung der Sanktionen, die für den Iran große Auswirkungen hatte. Man habe auf eine langfristige Entwicklung gesetzt, sagt Ernst. Teheran benötige dringend langfristige wirtschaftliche Stabilisierung. War es doch aus Sicht der allermeisten Iraner vor allem das Ende der Sanktionen, das sie feierten – und das eine Wiederwahl Rohanis im vergangenen Jahr ermöglicht hat. „Das Abkommen hat seine Wirkung aber noch gar nicht entfalten können“, so Ernst.
Das gilt auch für das derzeit wieder hochfahrende US-Sanktionsregime. In vollem Umfang greifen wird es laut Ernst mit den Dollarsanktionen ab August und den Ölsanktionen im kommenden November. Zu erwarten sind Preissteigerungen, Währungsverfall, steigende Arbeitslosigkeit. Und in Folge: Unmut, der sich auf der Straße Luft machen wird, wie Ernst meint.
Dann aber drohe eine Spirale in Gang zu kommen, die schwer zu stoppen sein dürfte. „Zu befürchten ist“, so sagt Ernst, „dass es zu ganz massiven Unruhen kommt, die selbst unter dem moderaten Präsidenten Rohani mit Gewalt niedergeschlagen würden.“
Die Ironie an der Sache: AngestachelthattendiejüngstenProteste im Land ursprünglich die Konservativen, um gegen die magere Wirtschaftsbilanz der Regierung Rohani Stimmung zu machen. Nur, dass die Dynamik den Klerikern bald entglitt und der Protest teilweise zu einem gegen das Regime im Allgemeinen ausuferte. Wobei Rohanis Regierung dabei letztlich weit weniger für die Verschärfung der Lage verantwortlich gemacht wurde als der Klerus. Aus einem Grund: Rohani hat sein Eintreten für das Abkommen – und damit für die Aufhebung der Sanktionen, dem Hauptanliegen der iranischen Mehrheitsbevölkerung – glaubhaft verkauft.
Nichtsdestotrotz könnte er zum Hauptverlierer im gegenwärtigen Ringen werden, wie Ernst sagt. „Wenn Rohani stabil im Amt bleibt und es schafft, die internationalen Vertragspartner auf seiner Seite zu halten, dann ist das das positive Szenario.“Die Risiken: „Eine Konfrontation zwischen dem konservativen Religionsführer Chamenei und Präsident Rohani.“
Zu retten sei das Atomabkommen mit dem Iran nur – „wenn man geschlossen agiert“. Sprich: Sich die Europäer mit Russland und China zusammentäten, um die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Iran aufrechtzuerhalten. Das entscheidende Momentum aber liege dabei nichtinBrüssel,sonderninTeheran. „Dort ist man sich nicht einig, ob ein Verbleib im Abkommen sinnvoll ist. Sanktionen nehmen jetzt erst richtig Fahrt auf, Bilanz wird man ziehen können im November.“