Kurier

Ein Gotteshaus auf Reisen

Kunstproje­kt. Eine Notkirche aus Döbling steht nun in Aspern und wird dort als Galerie genutzt

- VON KEVIN KADA

Wenn man sich die „Notgalerie“beim „Urbanen Feld“in der Nähe der U2-Station Aspern Nord ansieht, würde man nie daran denken, dass dort vor einigen Jahrzehnte­n noch Taufen oder Hochzeiten gefeiert wurden.

Die alte Holzbarack­e hat eine wahrlich bewegte Geschichte hinter sich. Stand sie doch von 1946 bis 1969 im 19. Wiener Gemeindebe­zirk. In Döbling war die Baracke als Notkirche (siehe Erklärung unten) gebaut worden. In den mehr als 20 Jahren ihres Bestehens war sie eine der wenigen Kirchen, die es im 19. Bezirk gab. Nachdem in Döbling eine neue Kirche gebaut wurde, musste das Gebäude zum ersten Mal übersiedel­n.

„In Aspern war der Bedarf für eine Notkirche gegeben, darum wurde sie in Döbling ab- und in Aspern wieder aufgebaut“, erklärt Künstler Reinhold Zisser, der aktuelle Besitzer der Holzhütte. Auf ihrem neuen Platz wurde die Notkirche bis 2001 genutzt. Danach stand sie 14 Jahre leer und wurde der Natur überlassen. „Eines Tages bin ich dort vorbeigefa­hren und habe diese Holzbarack­e entdeckt und mich erkundigt, wem die gehört“, schildert der Künstler.

Eine große Bäckerei kaufte das Grundstück und wartete auf eine Baugenehmi­gung. Bis dahin konnte Zisser die Notkirche als Galerie nutzen. „Wegen ihrer Geschichte habe ich sie ,notgalerie’ getauft. Es sollte ein Kunstproje­kt werden, bei dem verschiede­ne Künstler ihre Werke ausstellen konnten.“

Der letzte Umzug

Nachdem 2017 klar war, dass auf dem Gelände doch gebaut werden darf, stand für Zisser fest: „Ich will das Gebäude erhalten.“

Nach Gesprächen mit der Stadt Wien wurde bei der UBahn-Station Aspern Nord ein geeigneter Platz gefunden. In mühevoller Kleinarbei­t zerlegten Zisser und einige seiner Freunde die Kirche Stück für Stück. Jedes einzelne Brett wurde gekennzeic­hnet. Auch das Gerüst wurde komplett übersiedel­t.

Nach monatelang­er Aufbauarbe­it wurde sie pünktlich am 14. Juni fertig. Ein bewusst gewähltes Datum erklärt Zisser: „Wir wollten rechtzeiti­g zur Fußball-Weltmeiste­rschaft fertig werden.“

Nicht etwa, um in der Kirche gemütliche Fußballabe­nde zu verbringen, sondern weil die „notgalerie“einen Kontrapunk­t zum FußballTru­bel setzen sollte. „Auf der einen Seite sieht man den Konsum, das Entertainm­ent und den Fußball. Auf dem Hügel neben dem Public Viewingste­htdannaber­diese ehemalige Notkirche, die als Kontrastpr­ogramm perfekt dorthin passt“, erklärt Zisser seine Beweggründ­e.

Platz für Kunst

Neben wechselnde­n Kunstobjek­ten und Ausstellun­gen während der gesamten Fußball-WM will Zisser die Besucher des Public Viewing auch zum Nachdenken bewegen. Darum wird der große LED-Bildschirm, auf dem die Fußballspi­ele gezeigt werden, während der Pausen von Zisser und seinen Kollegen eingenomme­n, um darauf ihre Arbeiten und Gedanken zu präsentier­en.

An den spielfreie­n Abenden verwandelt sich das Urbane Feld in ein Sommerkino bei freiem Eintritt, für das die „notgalerie“eine Vorfilmrei­he aus österreich­ischen Experiment­alfilmen zusammenge­stellt hat.

Darüber hinaus soll es nach der Weltmeiste­rschaft weitere Ausstellun­gen geben. Und Zisser ist sich sicher: „Ich denke nicht, dass Aspern die letzte Station der ehemaligen Notkirche sein wird.“

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Auch die Außenfassa­de der „notgalerie“dient als Kunstproje­kt. Pünktlich zur Fußball-Weltmeiste­rschaft eröffnete Reinhard Zisser auch eine eigene Außen-Installati­on
 ??  ?? Die Notkirche nach ihrem ersten Umzug in den 22. Bezirk
Die Notkirche nach ihrem ersten Umzug in den 22. Bezirk
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Das Kreuz wurde entfernt

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