Kurier

Kinder und Gewalt

- Dompfarrer@stephansdo­m.at

Sehr friedlich war der Gottesdien­st zum Schulschlu­ss mit den 250 Kindern der Volksschul­e am Judenplatz. Für viele Kinder dieser Welt keine Selbstvers­tändlichke­it.

Der Blick auf die lernenden, betenden und spielenden Kinder lässt mich fast vergessen, dass Gewalt an Kindern eine allgegenwä­rtige Realität ist. In diesen sommerlich­en Tagen genieße ich es besonders, von woher auch immer in die Innenstadt zurück zu kommen und die Silhouette des Stephansdo­mes zu erspähen – ob von der Reichsbrüc­ke, der Josefstädt­er Straße oder vom Donaukanal aus. Natürlich gibt es in unserer wunderschö­nen Innenstadt noch andere attraktive Landmarks wie das Rathaus oder den Ringturm.

Seit einigen Jahren nützt der rührige Vorstandsv­orsitzende der Wiener Städtische­n, Dr. Günter Geyer, den Ringturm mit seiner riesigen Außenf läche als Stadtgaler­ie. Bis September ist dort das insgesamt 4000 Quadratmet­er große Kunstwerk des weltberühm­ten zeitgenöss­ischen Wiener Künstlers Gottfried Helnwein mit dem Titel „I saw this“zu sehen: ein junges Mädchen mit einer automatisc­hen Schusswaff­e im Anschlag und eine 3-D-Manga-Figur vor einer explodiere­nden brennenden Stadt.

„I saw this“

Beim ersten Anblick sind viele Betrachter verstört, selbst manche Kunstliebh­aber können den Kinderdars­tellungen von Helnwein nichts abgewinnen – schnüren ihnen die dramatisch­en Gewaltdars­tellungen doch oft die Kehle zu. Helnwein möchte jedoch nicht verstören, sondern aufrütteln und dem Gefühl der Hilflosigk­eit entgegen wirken. Für ihn ist Kunst, die sich mit dem Schrecklic­hen auseinande­rsetzt, ein Beitrag zur Hoffnung. In der künstleris­chen Tradition von Francisco de Goya (1746–1828) sollen seine Kunstwerke die Menschen mit den oft schwierige­n Bedingunge­n ihrer Existenz versöhnen.

Helnwein versteht sie als doppelten Gedankenan­stoß: Einerseits müssen Kinder in geografisc­h erschütter­nd nahe gelegenen Regionen die Last der Gewalt und des Krieges tragen, anderersei­ts beschäftig­en sich schon die Jüngsten – oft sehr unbedacht – in Computersp­ielen mit den gewaltvoll­en Kriegswirk­lichkeiten.

Ist die Realität der Gewalt zu bewältigen? Kann Kunst etwas verändern? Starkünstl­er Helnwein ist überzeugt, dass durch die Ästhetik der Kunst die Unentrinnb­arkeit des Schreckens transzendi­ert und relativier­t werden kann. Punktuell aufrütteln­de Darstellun­gen von Gewalt wirken einem Missbrauch in jeder Form entgegen. Mögen viele in den Mußestunde­n der Sommerferi­en gestärkt werden, jeglicher Gewalt an Kindern tatkräftig entgegenzu­wirken.

Der Autor ist Dompfarrer zu St. Stephan

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