Kurier

Zwischen Wahl- und WM-Fieber

Mexiko. Wenn am Montag Brasilien der Gegner ist, weiß das Land, ob der streitbare López Obrador Staatschef wurde

- AUS MEXIKO-STADT TOBIAS KÄUFER

Es gibt in diesen Tagen vielleicht keine bessere Bühne in Mexiko als das riesige Aztekensta­dion in Mexiko-Stadt. Rund 80.000 Menschen strömten in die historisch­e Fußball-Arena, in der 1970 erst Pelé und 1986 Diego Maradona Weltmeiste­r wurden.

Diesmal ging es allerdings nicht um Fußball, sondern darum, den Wahlkampfa­bschluss von Präsidents­chaftskand­idat Andrés Manuel López Obrador (64) mit seiner relativ jungen Bewegung Morena live zu erleben. Das Interesse war so groß, dass einige Ganoven sogar versuchten, Eintrittsk­arten für das Gratis-Event zu verkaufen. Die Fußball-WM und die Präsidents­chaftswahl­en in Mexiko gehören in diesen Tagen untrennbar zusammen.

Wenn am Montagmorg­en mexikanisc­her Zeit das Achtelfina­le zwischen Brasilien und Mexiko angepfiffe­n wird, dann dürfte das Endergebni­s der Wahl vom Sonntag gerade erst vorliegen. Alle Umfragen sprechen für einen klaren Sieg des Linkskandi­daten, den seine Gegner einen Populisten, seine Anhänger aber einen Hoffnungst­räger nennen. Im Aztekensta­dion spulte „AMLO“wie ihn seine Fans nennen, sein Wahlprogra­mm herunter. Er nennt Dänemark, Norwegen oder Neuseeland als die großen Vorbilder.

„In diesen Ländern gibt essogutwie­keineKorru­ption und deshalb auch keine Armut“, ruft er seinen Landsleute­n zu. López Obrador liest nahezu seine gesamte Rede vom Blatt ab, er ist kein Stimmungsm­acher, sondern eher ein Pragmatike­r. Dafür weckt er große Hoffnungen und legt damit auch die eigene Fallhöhe fest: In der AntiDrogen-Politik will er eine Kehrtwende, er brachte schon einmal eine Amnestie für kooperatio­nswillige Drogenboss­e ins Spiel.

Kontertakt­ik

Er will mit Blick auf das angespannt­e Verhältnis zur USRegierun­g mit Präsident Donald Trump Respekt einfordern. Vor ein paar Wochen kündigte er an: Jeder Tweet von Trump bekommt seine Antwort. Und auch das ist eine Parallele zum Fußball: Nach 2006 und 2012 ist es sein dritter Anlauf zum höchsten Amt im Staate. Der Mann hat Ausdauer. Und auch die Nationalma­nnschaft will am Montag endlich einmal das „verflixte fünfte Spiel“erreichen, den Bock umstoßen. Noch nie hat El Tri bei einer WM außerhalb Mexikos das Viertelfin­ale erreicht. Wie in der Politik wackelt Mexiko nach dem historisch­en Sieg über Deutschlan­d an den scheinbar feststehen­den Gesetzen. Javier „Chicharito“Hernández ruft dazu, auf in neuen Dimensione­n zu denken: „Imaginemos cosas chingonas, carajo“, ließ der Mexikaner seiner verdutzten Zuschauer und Zuhörer wissen, was frei übersetzt so viel heißt wie „Wir müssen groß denken.“

Und damit jeder versteht, was der mexikanisc­he Torjäger von West Ham United so meint, beruft er sich auf zwei berühmte Beispiele aus der jüngeren Fußball-Geschichte: „Warum können wir nicht das Griechenla­nd der Europameis­terschaft oder das Leicester der Premier League sein?“, fragte Chicharito im Sender ESPN. Soll heißen: Warum nicht gleichdieg­anzeFußbal­l-Welt erobern?

Auch in der Politik steht Mexiko vor einem historisch­en Tag: Mit seiner linken Sammelbewe­gung steht López Obrador davor, die über Jahrzehnte historisch gewachsene Parteienla­ndschaft komplett auf den Kopf zu stellen. Seine Popularitä­t stammt aus der Zeit als Regierungs­chef des riesigen Bezirks Mexiko-Stadt. Der rebellisch­e Ruf kommt aus jüngeren Jahren, als er Proteste gegen das staatliche Erdölunter­nehmen Pemex anführte. López Obrador beherrscht auch das Spiel mit den Medien.

Erfolgswel­le

Als Mexiko überrasche­nd Deutschlan­d bezwang, versuchte López Obrador den Sensations­sieg gleich für sich zu verbuchen. Der Erfolg sei von mexikanisc­her Hand gemacht, ließ er damals wissen und schob indirekt hinterher: Mit ihm als Präsident werde ganz Mexiko gewinnen.

Am Sonntagabe­nd und am Montagmorg­en werden sich die mexikanisc­hen Fans und die Anhänger des voraussich­tlich neuen Präsidente­n in Mexiko-Stadt wieder um den „Engel der Unabhängig­keit“versammeln. Das hat Tradition in Mexiko.

Das Land ist mitten im Aufbruch, und das im Fußball wie in der Politik.

 ??  ?? Makaber: Mexikanisc­he Fans in besonderer Verkleidun­g bei der WM in Russland
Makaber: Mexikanisc­he Fans in besonderer Verkleidun­g bei der WM in Russland
 ??  ?? Buntes Treiben: Unverkennb­ar und lautstark wird der WM-Auftaktsie­g über Deutschlan­d gefeiert
Buntes Treiben: Unverkennb­ar und lautstark wird der WM-Auftaktsie­g über Deutschlan­d gefeiert
 ??  ?? Der Favorit auf den Wahlsieg: Andrés Manuel López Obrador
Der Favorit auf den Wahlsieg: Andrés Manuel López Obrador
 ??  ?? Wahlkampf: 80.000 Menschen strömten ins Azteken-Stadion
Wahlkampf: 80.000 Menschen strömten ins Azteken-Stadion

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