„Armut ist für einen Künstler gut“
Der Schauspieler über die neue Staffel seiner Serie „Goliath“, Bill Clinton und Billy Wilder
Ein Oscar, zwei Golden Globes, eine Karriere als Drehbuchautor, Songwriter, Musiker und Schauspieler. Billy Bob Thornton, 62, ist selbst in Hollywood ein Original und einer der echtesten, witzigsten und nettesten Menschen, die man in der Filmmetropole treffen kann. Die zweite Staffel seiner erfolgreichen Serie „Goliath“, in dem er den Rechtsanwalt Billy McBride spielt, einen Mann zwischen Idealismus und Desillusion, läuft bereits auf Amazon.
Das KURIER-Interview ist die Geschichte der drei Billys: McBride, Clinton und Wilder.
KURIER: Goliath spielt in Venice Beach und die Außenaufnahmen werden auch dort gefilmt. Haben Sie nicht mal selbst in Venice gelebt?
Billy Bob Thornton: Ja, 1980, als ich total pleite war. Ich habe damals am Boardwalk zwar nicht mit Sägen jongliert oder für Geld gesungen, aber rumgehängt bin ich dort immer. Venice war damals voller Irrer, jeder Menge farbenprächtiger Typen. Manche gibt’s heute noch. Vor allem in der Bar Chez Jay’s, wo wir sehr viel filmen. Die Typen erkennen mich oft beim Dreh und kommen mitten in einer Szene auf mich zu und quatschen mich an. Ich rede immer mit ihnen. Das sind nette Leute.
Ist Ihnen McBride ähnlich?
Er ist, denke ich, die Figur von allen Charakteren, die ich im Laufe meines Lebens gespielt habe, die mir am ähnlichsten ist. Ich spiele ihn auch, als wäre er ich. Das ist aber nicht Faulheit, sondern hat sich so entwickelt, weil mir der Produzent sehr viel Input erlaubt. Ich improvisiere auch sehr oft. Was aber nicht heißt, dass ich den Inhalt der Szenen verändere. Natürlich hat das Improvisieren seinen Grund…
Ihre Legasthenie?
Das Interessante ist, dass es mich beim Schreiben nicht behindert, aber ein gesamtes Drehbuch lesen kann ich nicht, da tue mir beim Text lernen schwer. Doch ich kenne die Story in- und auswendig und habe Anhaltspunkte beim Dialog. Ich habe mal gescherzt, dass ich dasselbe Mienenspiel habe, ganz gleich ob ich einen Hamburger esse oder meine Mutter ermorde. Was dann ganz falsch interpretiert wurde. Natürlich hat man einen anderen Gesichtsausdruck, aber in den Momenten dazwischen ist er derselbe. Weil ich ja, wenn ich spiele, nichts andeuten darf. Andeuten ist schlecht für einen Schauspieler.
Sie sind im ländlichen Arkansas aufgewachsen. Wie kommt man da raus, wie schafft man es, von dort aus berühmt zu werden?
Wir waren sehr arm. Es gab keine Elektrizität, kein Fließwasser. Bis ich acht war, lebten wir im Haus meiner Großmutter. Aber wenn du nichts anderes kennst, weißt du nicht, dass du arm bist. Ich hatte eine glückliche Kindheit. Und weil wir nicht viel hatten, dachten wir viel über die Welt nach. Ich glaube, deshalb bin ich Autor geworden. Ich konnte mir nicht vorstellen, jemals nach Italien zu fahren, also habe ich mir Italien vorgestellt. Es war ein Wort für mich, das meine Vorstellungskraft anregte. Man hat mehr Vorstellungskraft, wenn man arm und isoliert aufwächst. Für einen Künstler ist das gut.
Sie wollten als Teenager Baseballspieler werden.
Ja, aber nach 30 Minuten beim Vorspielen für die Kansas City Royals brach ich mir das Schlüsselbein. Ich liebte immer nur drei Dinge: Sport, Musik und Schauspiel. Und nachdem ich nicht sehr smart bin, tauge ich auch für nichts anderes. Musik habe ich früh entdeckt, weil ich mit Rassentrennung aufwuchs, meine Mutter aber sehr offen war. Meine Freunde waren Schwarze, nicht Weiße. Und durch sie lernte ich den Blues kennen und lieben.
Ihre Mutter und Bill Clintons Mutter waren befreundet. Sie auch?
Bill und ich kannten einander durch die Freundschaft unserer Mütter. Meine Mutter hat ihn ein einziges Mal um einen Gefallen gebeten, als ich keinen Job hatte, mitten im Winter, und nicht mal die Heizung bezahlen konnte. Er war damals schon Govenor. Er hat mir einen Job verschafft, bei dem ich Asphalt für eine Highway-Baufirma schaufelte. Jahre später traf ich ihn mal – er war da schon Präsident – und sagte mit einem Lachen, dass er mir damals wirklich einen besseren Job verschaffen hätte können!
Welchen Einfluss hatte der Regisseur Billy Wilder auf Sie?
Er ist der Grund, warum ich nicht aufgab beim Schreiben. Ich kellnerte bei einer Party, er unterhielt sich mit mir, gab mir den Rat meine eigenen Geschichten zu schreiben und meinte, Hollywood braucht dringend bessere Autoren, und ich solle nicht aufgeben, weil ich viel zu hässlich wäre, um Schauspieler zu werden! Jahre später, nachdem ich mit „Slingblade“bekannt geworden war, weil ich mir das selbst geschrieben hatte, besuchte ich ihn öfter in seinem Büro oder hatte Lunch mit ihm. Er war ein sehr witziger Mann.