Kurier

Ärztin Silke Kranz holte sich selbst aus dem Tief und startet heute beim Ironman

Vor zwei Jahren nach ungeklärte­m Unglück ganz unten, heute Start beim Ironman in Klagenfurt

- VON SILKE KRANZ

Autobiogra­fisches.

Heute erzähle ich Ihnen etwas Privates. Wenn es Sie nicht interessie­rt – ich nehme es nicht persönlich –, dann blättern Sie bitte einfach weiter. Aber vielleicht hat es Ihnen gerade den Boden unter den Füßen weggezogen. Sie können es nicht mehr ertragen, dass jemand, der selbst noch nie ganz unten war, Sie mit Floskeln wie „die Zeit heilt alle Wunden“oder „du musst nach vorne schauen“aufmuntern will?

Ich war ganz unten. Im Oktober 2016 ist mein Partner tödlich verunglück­t. Was genau passiert ist, werde ich wohl nie erfahren, weil er bis jetzt nicht gefunden wurde. Ich weiß nur, dass er von einer mehrtägige­n Bergtour nie zurückgeke­hrt ist. In der ersten Phase habe ich alles versucht, damit noch genauer nach ihm gesucht wird, bin auch mehrfach selbst losmarschi­ert.

Glauben Sie mir, auch wenn Sie sich der Wissenscha­ft verbunden fühlen, in der absoluten Verzweiflu­ng wenden Sie sich allem zu. So bin ich von einer Schamanin zum nächsten Wunderheil­er zum nächsten Medium gelaufen, um irgendetwa­s zu „erfahren“- ich hörte verschiede­ne Versionen. Irgendwann kam der Zusammenbr­uch, aber ich musste funktionie­ren, bin Mutter eines Volksschül­ers, dessen Leben natürlich auch kom- Seelisches und körperlich­es Tief überwunden: Start beim Ironman ist der Lohn dafür Silke Kranz Ernährungs­medizineri­n

plett durcheinan­der war. Ich musste bei den Hausübunge­n helfen, kochen, waschen und arbeiten, ich bin ja selbststän­dig.

Meine „Diät“damals? Sieben Tabletten täglich,

darunter Antidepres­siva, angstlösen­de Tabletten, Schlaf- und Schmerzmed­ikamente, da ich unter starken Nackenschm­erzen litt. Dazu eine halbe Flasche Wein und circa fünfzehn Zigaretten.

Keine Kraft

Davor war ich sehr sportlich gewesen, ich sehnte mich nach dem Klang meiner Laufschuhe auf dem Boden, nach meiner ruhigen Atmung beim Yoga. Aber ich hatte keine Kraft und musste oft sogar auf dem Weg von meiner Wohnung hinunter in die Garage stehen bleiben. Ich suchte mir eine Psychother­apeutin. Irgendwann im Winter begann ich mit Nordic Walking und zwanzigmin­ütigem Ergometert­rai-

ning. Dann besuchte ich ein Anfänger-Schwimmtra­ining. Nebenbei bemerkt, ich war früher Marathon gelaufen und hatte an Triathlonb­ewerben erfolgreic­h teilgenomm­en.

Ich schloss mich Vereinen an, damit ich unter Anleitung wieder im Gelände Skifahren konnte. Im Frühjahr 2017 lief ich mit einer Freundin einen Halbmarath­on, im Herbst einen Marathon. Irgendwann kam mir eine alte Idee: Ich wollte immer zum vierzigste­n Geburtstag am Ironman in Klagenfurt teilnehmen. Das bedeutet 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und 42 Kilometer Laufen. Deshalb erzähle ich Ihnen meine Geschichte: Heute ist es soweit. Mein Tag ist gekommen. Ich habe trainiert und hoffe, heute spätabends das Ziel in Klagenfurt zu erreichen.

Aber ich habe schon gewonnen: Mein Sohn ist wieder ein glücklich. Ich brauche weder Medikament­e noch Genussmitt­el. Ich kann wieder Autofahren ohne davon überzeugt zu sein, dass gleich ein schrecklic­her Unfall passiert. Ich fühle mich in den Bergen wieder wohl. Ich kann wieder Skitouren gehen ohne ständig die nächste Lawine zu erwarten.

Ich kann es schätzen, dass es in meinem Leben viele Menschen gibt, die froh sind, dass es mich gibt und mich immer unterstütz­en. Ich erfreue mich an Sonnensche­in und Regen, Vogelgezwi­tscher und tausend kleinen Dingen.

Stachel

Meine Therapeuti­n hat mir gesagt, dass ein Stachel bleiben wird. Mit diesem Stachel muss ich mich wohl abfinden. Aber er hat auch einen Vorteil- wenn mich Menschen enttäusche­n oder irgendetwa­s nicht nach Plan verläuft, denke ich jetzt immer: „da habe ich schon ganz andere Dinge gemeistert“. Unzählige Male habe ich in den letzten knapp zwei Jahren den Sonnenaufg­ang verflucht. Wenn Sie sich gerade so fühlen – ich verstehe Sie, aber Udo Jürgens hatte recht, als er sang: … denn Dunkelheit für immer gibt es nicht!

Silke Kranz ist Ernährungs­und Sportmediz­inerin und Ärztin für Allgemeinm­edizin in Bad Zell.

„Heute ist es so weit. Mein Tag ist gekommen... Aber ich habe schon gewonnen.“

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