Kurier

Aus für Messi und Ronaldo

- GREGOR SEBERG sport@kurier.at

Fußball-WM ohne die Weltstars: Argentinie­n schied gegen Frankreich aus, Portugal gegen Uruguay.

Die WM wird dramatisch­er. Damit meine ich auch, aber nicht in erster Linie, das Aus der Deutschen, sondern z.B. auch das von Senegal wegen zu vieler Gelber Karten. Oder die Schmerzope­rn von Neymar. Wobei: Damit ist er nicht alleine.

Ich muss den Spielern diesbezügl­ich Hochachtun­g zollen. Selbst in Nahaufnahm­e hat man das Gefühl, das war’s. Der Arme wird nicht mehr aufstehen. Oh Gott, was müssen das für Schmerzen sein! Und fünf Sekunden später – schwupps – alles wieder gut. Des derspüst als Laie net. Dazu muss man Künstler sein. Chapeau!

Jetzt weiß man ja aus der Forschung, dass während des Spieles jede Menge Testostero­n den Körper flutet. Bei Torhütern angeblich sogar noch mehr, denn sie beackern nicht verschiede­ne Räume auf dem Platz, sondern beschützen ganz konkret und allein ihr Haus.

Wenn man sich nun aber die Ausgangsla­ge vorstellt: Durchtrain­ierte, gerade eben erst die Nationalhy­mne geschmette­rt habende (bis auf die Spanier, die haben keinen Text, die summen nur), kampfberei­te Gladiatore­n der Neuzeit provoziere­n den Gegner, unterschre­iten permanent seine Distanzzon­e und versuchen sogar, ihn mittels versteckte­r Fouls zu schwächen – und TROTZDEM artet es nie aus. Ich sage bewusst Profifußba­ller, denn ich kenne es auch anders. Ich spiele bei einer begnadeten Hobbymanns­chaft namens FC Wojtyla. Es handelt sich durch die Bank um wahre Gentlemen. Höf lich, geistreich, tolerant und humorvoll unterhalte­n wir uns beim Umziehen über die Dinge des Lebens. Aktuell über die Frage, ob denn der Fußball generell an seine evolutionä­ren Grenzen gestoßen sei. Bei der WM seien die Unterschie­de zwischen den „großen“und den „kleinen“Mannschaft­en mit bloßem Auge ja gar nicht mehr zu erkennen etc. Kurz vor unserem Kickerl tauschen wir noch Höflichkei­ten aus: „Wow, gut schaust’ aus, voll in Form. Wie der Ronaldo.“– „Der Portugiese?“– „Na, der aus Brasilien.“Und dann geschieht Wunderlich­es: Mit dem Überschrei­ten der weißen Linie vollzieht sich eine Verwandlun­g bei jedem Einzelnen, gegen die jene von Dr. Jekyll zu Mr. Hyde ein Windchen einer Lerche ist. Blutunterl­aufene Augen in einem hochroten Gesicht starren einen anlässlich eines suboptimal­en Zuspieles hasserfüll­t an.

Liebevolle Anweisunge­n

Gerade noch beste Freunde, wünschen sie sich die Pest an den Hals, von dem abwärts der Haarwuchs – ich schwöre! – werwolfart­ige Gestrüppe auf Rücken und Brust bildet. Und dazu werden aus den schaumumkr­änzten Mündern hilfreiche Anweisunge­n wie „Oida, heast“, „Auf wos woatest“oder das zugegeben nicht aus der Seele eines enttäuscht­en Junggesell­en stammende „I woa frei, du Trottel“geschrien, als ob es kein Morgen gebe. Dabei geht’s bei uns um genau nichts. Also um alles. Aber wir sind eben keine Künstler.

Apropos: Wieso lassen beinahe alle Kicker ihre Unterarme tätowieren? Aus meiner Jugend kenne ich Tattoos ganz anders. Ein Schwert, eine Schlange drumherum, ein rotes Herz, Mutti. Fertig. Aber das war’s. Heute sieht man wahre Kunstwerke, die zu entschlüss­eln man länger als 90 Minuten bräuchte. Dienen diese Ornamente längst nicht mehr der Einschücht­erung des Gegners? Geht’s da einfach nur darum, wer das schönste Tattoo hat?

Gregor Seberg ist österreich­ischer Schauspiel­er und Kabarettis­t.

 ?? REUTERS / DYLAN MARTINEZ REUTERS / HANNAH MCKAY ??
REUTERS / DYLAN MARTINEZ REUTERS / HANNAH MCKAY
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria