Kurier

„Dieses System wird zusammenbr­echen“

Bio-Pionier Werner Lampert sagt das Ende der modernen Lebensmitt­elindustri­e voraus

- VON THOMAS TRESCHER

KURIER: Herr Lampert, ich habe Ihnen eine Bio-Banane und konvention­elle Erdbeeren mitgebrach­t. Die Banane ist auch noch Fairtrade, die Erdbeeren sind saisonal und regional. Was wählen Sie und warum? Werner Lampert:

Ganz klar undeindeut­igdieBanan­e.Sie hat zwei Aspekte, die mir wichtig sind. Es geht darum, wie man mit dem Menschen umgeht. Und dieselbe Fairness, die man dem Menschen zukommen lässt, sollte man dem Boden und den Pf lanzen zukommen lassen.

Allerdings muss ich bei der Banane darauf vertrauen, dass sie wirklich bio ist. Der USamerikan­ische Journalist Peter Laufer ist seinen Bio-Walnüssen aus Kasachstan auf den Grund gegangen – und war entsetzt, was bio dort bedeutet.

Ein Leben ohne Vertrauen ist nicht möglich. Wenn der Mensch in einen existentie­llen Vertrauens­bruch kommt, dann ist das Leben zu Ende. Der andere Punkt ist, dass wir in der EU ein hohes Niveau der Kontrolle haben. Die Wahrschein­lichkeit ist gering, dass etwasge tür kt ist.

Unsere Serie trägt den Titel „Besser essen“– was bedeutet besser essen für Sie?

Besser essen hat drei Aspekte. Erstens: Genau hinzusehen, woher die Sachen kommen. Ob eine zerstörte Umwelt hinterlass­en wird, ob alles zugrunde gerichtet wird. Ob die Erntehelfe­r ordentlich bezahlt werden. Wenn wir diesen Aspekt auslassen, kann Essen nie ein Gutes sein. Zweitens: Wir sollten uns die Qualität der Nahrungsmi­ttel anschauen, regional und saisonal kaufen. Aber authentisc­h regional, nicht diese Pseudo-Regionalit­ät, mit der überall geworben wird. Drittens: Es gibt Momente, wo man alleine isst. Das sind schrecklic­he Momente.

Es gibt trotzdem viele Menschen, die ein Glücksgefü­hl dabei empfinden, alleine in einen Fastfood-Burger zu beißen.

Ja, das möchte ich nicht leugnen. Aber Sie haben ja mich gefragt.

Klar – aber verstehen Sie es, dass viele Menschen den eigenen Genuss von den Produktion­sbedingung­en komplett abkoppeln können?

Ich verstehe es nicht, aber ich akzeptiere es. Es ist auch ein Weg des Lebens.

Bei jeder neuen Konsumerhe­bung stellt sich heraus: Die Menschen geben anteilsmäß­ig noch weniger ihres Einkommens für Lebensmitt­el aus – aktuell sind wir bei 11,8 Prozent. Warum ist es so wenigen Menschen wichtig, besser zu essen?

In den vergangene­n rund 50 Jahren wurde gut und bewusst verdrängt, Essen mit Herkünften zusammenzu­bringen. Lebensmitt­el sind ganz bewusst anonymisie­rt und austauschb­ar gemacht worden. Es besteht kein Bezug zum Essen. Und das ist das Ergebnis. Wir werden weder die Landwirtsc­haft noch die Ernährung verändern können, wenn wir in der Anonymität verharren.

Der US-Autor Michael Pollan hat die These aufgestell­t, dass wir nicht mehr wirklich darauf achten, Nahrungsmi­ttel zu uns zu nehmen, sondern sie in gute und schlechte Bestandtei­le wie Kohlenhydr­ate und Antioxidan­tien aufdröseln.

In dem Moment, in dem man essen als Gefahr erlebt, ist die Beziehung zum Essen zu Ende. Dann greifen die Menschen zum Magerkäse oder zu einer Wurst, in der kein Fett ist. Sie haben keine Vorstellun­g mehr vom Lebensmitt­el an sich. Was der sein Ursprung ist, wie es erzeugt wurde.

Viel von dem, was Sie beklagen, hat mit dem Siegeszug der Supermärkt­e zu tun. Gleichzeit­ig sind Sie derjenige, der Bio in den Supermarkt gebracht hat. Wie erklären Sie das?

Damals sind zwei Dinge passiert: Da hat es eine Landwirtsc­haftspolit­ik gegeben, die eine Intensivie­rung der Bio-Landwirtsc­haft brachte und es hat außer ein paar Naturkostl­äden keine Absatzmärk­te gegeben. Es war mir klar, wenn da nichts passiert, wird bio wieder in sich zusammenbr­echen.

Und das Zweite?

Dass vernünftig­e Lebensmitt­el zu vernünftig­en Preisen überall erhältlich sein sollten. Wir hatten damals mit Bio-Lebensmitt­eln einen Minimalums­atz, wir waren arm wie Kirchenmäu­se. Das Fehlen einer vernünftig­en Distributi­on hat die Produkte teurer gemacht und nur einer gewissen Schicht ermöglicht – und sie damit uninteress­ant gemacht.

Das ist spannend, wenn Sie uninteress­ant sagen – weil mir Bauern erzählt haben, dass sie ihre Produkte nicht in den

Supermarkt stellen, weil sie umgekehrt dort durch die von ihnen bereits angesproch­ene Anonymisie­rung für sie uninteress­ant werden.

Mit dieser Herausford­erung hat man im Supermarkt immer zu tun. Deshalb habe ich von Anfang an versucht zu personalis­ieren. Die Anonymität zu brechen und zu zerstören.

Es wurde neulich eine Studie präsentier­t, wonach Bio Österreich ernähren könnte, aber umgekehrt: Können sich auch alle Österreich­er Bio leisten?

Ich hole jetzt aus: Die EU braucht außerhalb Europas 40 Millionen Hektar, um in der Hauptsache Viehfutter in Südamerika anzubauen. Der Regenwald wird systematis­ch zerstört, indigene Völker werden ausgelösch­t, Versklavun­g wächst. Wir zerstören unsere Grundlagen, aber diese Lebensmitt­el bekommen wir zu günstigen Preisen. Weil wir die Auswirkung­en auslagern und dort die Kosten verursache­n.

Was hat das mit meiner Frage zu tun?

Wir haben außer bei Bio keine Kostenwahr­heit. Wenn wir über Preise reden, müssen wir über Kostenwahr­heit reden.WennProduk­tefürdas einstehen müssen, was sie an der Umwelt und am Menschen zerstören, dann werden sie so teuer, dass sich niemand mehr davon ernähren kann. Dieses System wird in den nächsten zehn, 15 Jahren zusammenbr­echen. Bio bleibt über als das, was sich Mensch noch leisten kann.

Wie macht man dem Konsumente­n diese Kostenwahr­heit klar?

Seit zehn bis zwanzig Jahren wird ständig darüber gesprochen. Das Insekten sterben, das Vogel sterben, die Boden qualität. Da ist ein Bewusstsei­ns prozess am Laufen. Aber es braucht noch ein bisschen, bis konkrete Handlungen folgen werden.

In einem Gespräch mit dem Magazin Datum aus dem Jahr 2011 haben Sie gesagt, dass sich Bio „vollkommen falsch entwickelt“– weil es Bio-Rindfleisc­h gibt, wo die Rinder „nicht eine Sekunde auf der Weide gestanden sind“. Mittlerwei­le bieten Sie mit „Zurück zum Ursprung“auch Rind an. Warum?

Bio hat sich geändert. Es ist auch dabei möglich, Futtermitt­el aus der ganzen Welt zusammen zu kaufen, wenn sie bio sind. Das habe ich immer als ziemliches Desaster empfunden. Aber wir haben bei Bio in Österreich mittlerwei­le einen anderen Qualitätss­tandard. Es gibt kaum mehr Bio-Viecher, die nicht auf der Weide sind. Es wird versucht, österreich­isches Futter zu verwenden. Da hat sich viel entwickelt.

Der Widerspruc­h ist kaum aufzulösen: Entweder Bio ist für alle da, dann muss es Kompromiss­e schließen oder Bio ist wirklich exklusiv – aber dann wird es in einer Nische bleiben. Wenn ein Schwein 300 Quadratmet­er Auslauf hat – vorgeschri­eben bei Bio ist ein Quadratmet­er Auslauf für ein 100-KiloSchwei­n –, sind nur wenige Konsumente­n bereit, das zu zahlen.

Es als exklusiv zu bezeichnen, dass es einem Tier gut geht, das tut mir weh. Ich denke, dass die Viecher ein wirklich gutes Leben gehabt haben, ist die Grundvorau­ssetzung, umsiezuess­en. Ein Tier zu malträtier­en, nur damit wir billiges Fleisch oder billige Milch bekommen, das ist wirklich ein Verbrechen.

In Österreich werden pro Jahr 5,1 Millionen Schweine geschlacht­et – da sind wir noch weit weg von ihrer Vorstellun­g.

Im deutschen TV habe ich einen Bericht darüber gesehen, wie schlimm es den österreich­ischen Schweinen geht. Dass kein deutsches Schwein mehr so gehalten werden dürfte. Das geht nicht mehr. Das ist zu Ende.

Es ist eben nicht zu Ende.

Aberesmuss­zuEndesein. Es braucht das moralische Erwachen der Menschen, es ist uns nicht gestattet, Fleisch von Tieren zu essen, die kein gutes Leben hatten.

Man müsste es also politisch verbieten?

Moralisch.

Aber das funktionie­rt ja nicht. Ich kann mich erinnern, ich war noch in der Schule mit der ganzen Klasse am Schlachtho­f, danach waren alle Vegetarier. Aber nur für zwei Wochen, man vergisst oder verdrängt das.

Es funktionie­rt nicht, nein. Natürlich ist es eine politische Aufgabe. Weder der Pfarrer noch der Lehrer werden irgendetwa­s bewegen. Das müssen Richtlinie­n tun, die von der Politik erlassen werden und mit Förderunge­n gekoppelt sind.

Leisten Sie sich auch kleine Sünden, kann man Sie mit einer Fertigpizz­a erwischen?

Nein. Zum Einen, weil ich schnell allergisch reagiere. Aber ich habe einfach keine Lust darauf. Einkaufen, kochen, gemeinsam essen, das ist ein Luxus. Aber es ist ein Luxus, den man sich leisten muss. Der uns als Mensch weiterbrin­gt.

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