„Dieses System wird zusammenbrechen“
Bio-Pionier Werner Lampert sagt das Ende der modernen Lebensmittelindustrie voraus
KURIER: Herr Lampert, ich habe Ihnen eine Bio-Banane und konventionelle Erdbeeren mitgebracht. Die Banane ist auch noch Fairtrade, die Erdbeeren sind saisonal und regional. Was wählen Sie und warum? Werner Lampert:
Ganz klar undeindeutigdieBanane.Sie hat zwei Aspekte, die mir wichtig sind. Es geht darum, wie man mit dem Menschen umgeht. Und dieselbe Fairness, die man dem Menschen zukommen lässt, sollte man dem Boden und den Pf lanzen zukommen lassen.
Allerdings muss ich bei der Banane darauf vertrauen, dass sie wirklich bio ist. Der USamerikanische Journalist Peter Laufer ist seinen Bio-Walnüssen aus Kasachstan auf den Grund gegangen – und war entsetzt, was bio dort bedeutet.
Ein Leben ohne Vertrauen ist nicht möglich. Wenn der Mensch in einen existentiellen Vertrauensbruch kommt, dann ist das Leben zu Ende. Der andere Punkt ist, dass wir in der EU ein hohes Niveau der Kontrolle haben. Die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass etwasge tür kt ist.
Unsere Serie trägt den Titel „Besser essen“– was bedeutet besser essen für Sie?
Besser essen hat drei Aspekte. Erstens: Genau hinzusehen, woher die Sachen kommen. Ob eine zerstörte Umwelt hinterlassen wird, ob alles zugrunde gerichtet wird. Ob die Erntehelfer ordentlich bezahlt werden. Wenn wir diesen Aspekt auslassen, kann Essen nie ein Gutes sein. Zweitens: Wir sollten uns die Qualität der Nahrungsmittel anschauen, regional und saisonal kaufen. Aber authentisch regional, nicht diese Pseudo-Regionalität, mit der überall geworben wird. Drittens: Es gibt Momente, wo man alleine isst. Das sind schreckliche Momente.
Es gibt trotzdem viele Menschen, die ein Glücksgefühl dabei empfinden, alleine in einen Fastfood-Burger zu beißen.
Ja, das möchte ich nicht leugnen. Aber Sie haben ja mich gefragt.
Klar – aber verstehen Sie es, dass viele Menschen den eigenen Genuss von den Produktionsbedingungen komplett abkoppeln können?
Ich verstehe es nicht, aber ich akzeptiere es. Es ist auch ein Weg des Lebens.
Bei jeder neuen Konsumerhebung stellt sich heraus: Die Menschen geben anteilsmäßig noch weniger ihres Einkommens für Lebensmittel aus – aktuell sind wir bei 11,8 Prozent. Warum ist es so wenigen Menschen wichtig, besser zu essen?
In den vergangenen rund 50 Jahren wurde gut und bewusst verdrängt, Essen mit Herkünften zusammenzubringen. Lebensmittel sind ganz bewusst anonymisiert und austauschbar gemacht worden. Es besteht kein Bezug zum Essen. Und das ist das Ergebnis. Wir werden weder die Landwirtschaft noch die Ernährung verändern können, wenn wir in der Anonymität verharren.
Der US-Autor Michael Pollan hat die These aufgestellt, dass wir nicht mehr wirklich darauf achten, Nahrungsmittel zu uns zu nehmen, sondern sie in gute und schlechte Bestandteile wie Kohlenhydrate und Antioxidantien aufdröseln.
In dem Moment, in dem man essen als Gefahr erlebt, ist die Beziehung zum Essen zu Ende. Dann greifen die Menschen zum Magerkäse oder zu einer Wurst, in der kein Fett ist. Sie haben keine Vorstellung mehr vom Lebensmittel an sich. Was der sein Ursprung ist, wie es erzeugt wurde.
Viel von dem, was Sie beklagen, hat mit dem Siegeszug der Supermärkte zu tun. Gleichzeitig sind Sie derjenige, der Bio in den Supermarkt gebracht hat. Wie erklären Sie das?
Damals sind zwei Dinge passiert: Da hat es eine Landwirtschaftspolitik gegeben, die eine Intensivierung der Bio-Landwirtschaft brachte und es hat außer ein paar Naturkostläden keine Absatzmärkte gegeben. Es war mir klar, wenn da nichts passiert, wird bio wieder in sich zusammenbrechen.
Und das Zweite?
Dass vernünftige Lebensmittel zu vernünftigen Preisen überall erhältlich sein sollten. Wir hatten damals mit Bio-Lebensmitteln einen Minimalumsatz, wir waren arm wie Kirchenmäuse. Das Fehlen einer vernünftigen Distribution hat die Produkte teurer gemacht und nur einer gewissen Schicht ermöglicht – und sie damit uninteressant gemacht.
Das ist spannend, wenn Sie uninteressant sagen – weil mir Bauern erzählt haben, dass sie ihre Produkte nicht in den
Supermarkt stellen, weil sie umgekehrt dort durch die von ihnen bereits angesprochene Anonymisierung für sie uninteressant werden.
Mit dieser Herausforderung hat man im Supermarkt immer zu tun. Deshalb habe ich von Anfang an versucht zu personalisieren. Die Anonymität zu brechen und zu zerstören.
Es wurde neulich eine Studie präsentiert, wonach Bio Österreich ernähren könnte, aber umgekehrt: Können sich auch alle Österreicher Bio leisten?
Ich hole jetzt aus: Die EU braucht außerhalb Europas 40 Millionen Hektar, um in der Hauptsache Viehfutter in Südamerika anzubauen. Der Regenwald wird systematisch zerstört, indigene Völker werden ausgelöscht, Versklavung wächst. Wir zerstören unsere Grundlagen, aber diese Lebensmittel bekommen wir zu günstigen Preisen. Weil wir die Auswirkungen auslagern und dort die Kosten verursachen.
Was hat das mit meiner Frage zu tun?
Wir haben außer bei Bio keine Kostenwahrheit. Wenn wir über Preise reden, müssen wir über Kostenwahrheit reden.WennProduktefürdas einstehen müssen, was sie an der Umwelt und am Menschen zerstören, dann werden sie so teuer, dass sich niemand mehr davon ernähren kann. Dieses System wird in den nächsten zehn, 15 Jahren zusammenbrechen. Bio bleibt über als das, was sich Mensch noch leisten kann.
Wie macht man dem Konsumenten diese Kostenwahrheit klar?
Seit zehn bis zwanzig Jahren wird ständig darüber gesprochen. Das Insekten sterben, das Vogel sterben, die Boden qualität. Da ist ein Bewusstseins prozess am Laufen. Aber es braucht noch ein bisschen, bis konkrete Handlungen folgen werden.
In einem Gespräch mit dem Magazin Datum aus dem Jahr 2011 haben Sie gesagt, dass sich Bio „vollkommen falsch entwickelt“– weil es Bio-Rindfleisch gibt, wo die Rinder „nicht eine Sekunde auf der Weide gestanden sind“. Mittlerweile bieten Sie mit „Zurück zum Ursprung“auch Rind an. Warum?
Bio hat sich geändert. Es ist auch dabei möglich, Futtermittel aus der ganzen Welt zusammen zu kaufen, wenn sie bio sind. Das habe ich immer als ziemliches Desaster empfunden. Aber wir haben bei Bio in Österreich mittlerweile einen anderen Qualitätsstandard. Es gibt kaum mehr Bio-Viecher, die nicht auf der Weide sind. Es wird versucht, österreichisches Futter zu verwenden. Da hat sich viel entwickelt.
Der Widerspruch ist kaum aufzulösen: Entweder Bio ist für alle da, dann muss es Kompromisse schließen oder Bio ist wirklich exklusiv – aber dann wird es in einer Nische bleiben. Wenn ein Schwein 300 Quadratmeter Auslauf hat – vorgeschrieben bei Bio ist ein Quadratmeter Auslauf für ein 100-KiloSchwein –, sind nur wenige Konsumenten bereit, das zu zahlen.
Es als exklusiv zu bezeichnen, dass es einem Tier gut geht, das tut mir weh. Ich denke, dass die Viecher ein wirklich gutes Leben gehabt haben, ist die Grundvoraussetzung, umsiezuessen. Ein Tier zu malträtieren, nur damit wir billiges Fleisch oder billige Milch bekommen, das ist wirklich ein Verbrechen.
In Österreich werden pro Jahr 5,1 Millionen Schweine geschlachtet – da sind wir noch weit weg von ihrer Vorstellung.
Im deutschen TV habe ich einen Bericht darüber gesehen, wie schlimm es den österreichischen Schweinen geht. Dass kein deutsches Schwein mehr so gehalten werden dürfte. Das geht nicht mehr. Das ist zu Ende.
Es ist eben nicht zu Ende.
AberesmusszuEndesein. Es braucht das moralische Erwachen der Menschen, es ist uns nicht gestattet, Fleisch von Tieren zu essen, die kein gutes Leben hatten.
Man müsste es also politisch verbieten?
Moralisch.
Aber das funktioniert ja nicht. Ich kann mich erinnern, ich war noch in der Schule mit der ganzen Klasse am Schlachthof, danach waren alle Vegetarier. Aber nur für zwei Wochen, man vergisst oder verdrängt das.
Es funktioniert nicht, nein. Natürlich ist es eine politische Aufgabe. Weder der Pfarrer noch der Lehrer werden irgendetwas bewegen. Das müssen Richtlinien tun, die von der Politik erlassen werden und mit Förderungen gekoppelt sind.
Leisten Sie sich auch kleine Sünden, kann man Sie mit einer Fertigpizza erwischen?
Nein. Zum Einen, weil ich schnell allergisch reagiere. Aber ich habe einfach keine Lust darauf. Einkaufen, kochen, gemeinsam essen, das ist ein Luxus. Aber es ist ein Luxus, den man sich leisten muss. Der uns als Mensch weiterbringt.