Kurier

United Colours of Belgium

Vor dem Achtelfina­le gegen Japan. Das Nationalte­am eint auf dem Feld und den Rängen Flamen und Wallonen

- VON SERGE FALCK

„We’re from Belgium“... und wir sind so stolz darauf, bescheiden zu sein. Belgien. Womit verbinden wir es? Wir kennen es als politische­s Zentrum der EU, mit seiner Hauptstadt Brüssel, die eine wunderbare Projektion­sfläche bietet, damit man so herrlich schimpfen kann. „Die dort in Brüssel haben das so bestimmt!“

Belgien, das Land der Pralinen, der schweren Biere und der Pommes frites. Dieses Land mit seinen alten Städten Brügge, Gent, Antwerpen. Jede einzelne ein Juwel. Was hat dieses kleine Land noch, das etwa nur so groß wie Niederund Oberösterr­eich zusammen ist? Es hat jedenfalls knapp zwölf Millionen Einwohner, und diese teilen sich auf in Niederländ­isch sprechende Flamen im Norden und französisc­hsprachige Wallonen im Süden. Ach ja, der Sprachenst­reit, davon haben wir schon gehört. Die sollen sich ja nicht so gut vertragen, die Flamen und die Wallonen. Oder? Und Brüssel liegt da irgendwo in der Mitte, zwischen den beiden.

Die Qual der Belgier

Sind wir mal ehrlich: Belgien steht nicht wirklich ganz oben auf der Liste unserer Urlaubsdes­tinationen. Und war Belgien nicht immer eher ein Land der Radrennfah­rer? Mein Vater sagte immer: Die Belgier sind ein Volk, das leiden und sich quälen kann. Unzählige Sieger der Frühjahrsk­lassiker – bei Wind und Regen und schrecklic­hem Kopfsteinp­flaster – stammen doch von dort. Und Eddy Merckx nannte man sogar den Kannibalen, weil sein Siegeshung­er unstillbar war.

Und jetzt haben die Belgier plötzlich eine Jahrhunder­tmannschaf­t im Fußball. Sogar eine goldene Generation. Belgier waren immer stolz darauf, bescheiden zu sein und gut darin, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen. Wie oft musste Belgien neidvoll zum Nachbarn Niederland­e schauen, der bei allen großen Turnieren meist zu den Favoriten gehörte und dessen Fans, ganz in Orange gekleidet, nicht zu übersehen und -hören waren.

Mehr als Geheimfavo­rit

Jetzt aber hat sich das Blatt gewendet. Die Oranjes sind gar nicht dabei, und die Belgier sind plötzlich mehr als nur ein Geheimfavo­rit. Und sie kämpfen nicht nur, sie spielen! Der Wallone Eden Hazard ist das Genie, der Flame Kevin de Bruyne ist der heimliche Kapitän, der die Mannschaft dirigiert, und Lukaku, dessen Mutter die Milch für den kleinen Romelu mit Wasser strecken musste, der Sturmtank. Dries Mertens wirbelt oft zwischen den Linien und ist in Belgienbes­ondersbeli­ebt.„Drieske“ist der Junge von nebenan, mit dem man am liebsten auf eine Pizza ginge. An den Flanken rennen Thomas Meunier und Yannick Carrasco viele Kilometer auf und ab.

Die Dreier-Abwehr bilden planmäßig Vertonghen, Alderweire­ld und Kompany. Und da haben wir schon die Achillesse­hne dieser Mannschaft. „The Prince“Vincent Kompany ist ein Weltklasse­kicker, aber – ach so – verletzung­sanfällig. Auch Thomas Vermaelen – zur Info phonetisch: Vermaalen – hat ebenso öfters muskuläre Probleme.

Spanischer Trainer

Auf der Kommandobr­ücke steht jetzt ein Spanier. Roberto Martínez hat Marc Wilmots nach der EM abgelöst, denn die Belgier erhoffen sich mehr als nur ein weiteres Viertelfin­aleundtrau­enihmintak­tischer Hinsicht viel mehr zu als dem ehemaligen „SchalkeKam­pfschwein“Wilmots.

Aber warum ist der Star von AS Roma, jetzt Inter Mailand, Radja Nainggolan nicht mal im Kader? Man munkelt, dass Martínez in allen Belangen ein Perfektion­ist sei und diese Perfektion verlange er von seinen Spielern nicht nur auf dem Platz, sondern auch abseits. Der bei den Fans beliebte „The Ninja“Nainggolan ist aber ein Junge vom „linker oever“aus Antwerpen. Dort, am linken Ufer der Schelde, herrschten immer schon eigene Gesetze. „The Ninja“stand immer auch für Party, Rauchen und einen verrückter­en Lebensstil. So ein Flummi könnte für die Mannschaft einen Unruheherd bedeuten.

Vor allem dann, wenn er zu oft auf der Bank sitzt. Bei den Roten Teufeln gibt es sonst keine Probleme. Kein Wunder, wenn man seit 24 Spielen keine Niederlage erleiden musste. Und die Spieler mit marokkanis­cher, kongolesis­cher, malischer, kosovarisc­her oder spanischer Origine widerspieg­eln präzise das multikultu­relle Leben Belgiens. Heute im Achtelfina­le gegen Japan (20 Uhr, ZDF) ist man plötzlich mehr als nur Geheimfavo­rit. Eine ungewohnte Situation.

Aber was machen jetzt die Fans? Welche Schlachtge­sänge können sie gemeinsam anstimmen. Flämisch und Französisc­h durcheinan­der? Nein: zusammen auf ... Englisch! Das höhere Ziel vereint sie, und der Sport beweist seine integrativ­e Kraft: „People have to know! – Who we are! – Where we come from! – So we tell them: We are from Belgium – mighty mighty Belgium.“

Der Beweis? Suchen Sie auf youtube.com unter: Belgium Fans Red Together.

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Endlich besser: Belgiens Fans müssen nicht mehr neidvoll zum Nachbarn schauen, sondern können sich über die Niederland­e lustig machen

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