Kurier

Der Weg in ein besseres Leben

Wie kostenlose Gruppenthe­rapie psychisch kranken Menschen hilft.

- VON UWE MAUCH

Sie kann jetzt wieder relativ angstfrei in eine voll besetzte U- oder S-Bahn einsteigen. Sie kann auch wieder zur Arbeit fahren. Vor allem aber kann Bettina mit einem überzeugen­den Lächeln behaupten: „Ich kann jetzt wieder ein Stück weit lächeln. Das hatte ich nämlich verlernt.“

Seit Februar kommt die 45-jährige Wienerin, die aus gutem Grund ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will, regelmäßig in die psychother­apeutische Ambulanz. Hier, in der Marxergass­e 25 im 3. Bezirk, nimmt sie jeweils mittwochs mit zehn, elf anderen Patienten an der wöchentlic­hen Gruppenthe­rapie-Einheit teil.

Spürbare Entlastung

Für Bettina ist dieses Angebot eine spürbare Entlastung: „Die Therapeuti­n ist hilfsberei­t, die anderen Teilnehmer sind auch sehr nett.“Man ha- be sich auf Anhieb gut verstanden. Auch deshalb, weil alle an den mehr oder weniger gleichen Symptomen leiden. Bettina freut sich: „Hier fühle ich mich zum ersten Mal richtig verstanden. Hier muss ich mich nicht schämen. Hier wird man auch nicht alleine gelassen.“Und nun wird ihr Lächeln zu einem Strahlen: „Die ganze Woche freue ich mich auf den Mittwoch.“

Die Psychother­apeutische Ambulanz, kurz PTA, wurde vom Österreich­ischen Arbeitskre­is für Gruppenthe­rapie und Gruppendyn­amik in Kooperatio­n mit der Wiener Gebietskra­nkenkasse gegründet. Sie bietet für psychisch kranke Patienten unkomplizi­ert und vor allem kostenlos Gruppenthe­rapien an.

Soeben wurde die PTA drei Jahre alt, und ihr Geschäftsf­ührer Gerhard Ostermann bilanziert eindeutig positiv: „Wir konnten mit der Ambulanz nicht nur unsere Patienten, sondern auch die Wiener Gebietskra­nkenkasse entlasten.“Die am häufigsten behandelte­n Erkrankung­en sind laut Ostermann Angststöru­ngen, Belastungs­reaktionen, vulgo Depression­en, sowieAnpas­sungsstöru­ngen.

„Ich habe mir viel zu lange gedacht, dass ich es alleine schaffen kann“, erzählt Bettina, die jetzt wieder als Reinigungs­kraft arbeiten kann. Doch die Misshandlu­ngen in ihrer Kindheit, der schmerzhaf­te Tod ihres damals eineinhalb­jährigen Kindes, ein Brand in ihrer Wohnung, das alles hat sich in ihrer Seele wie ein leicht entzündlic­her großer Brocken festgesetz­t. Um von einen Tag auf den anderen zu explodiere­n.

Bettina kann ihren persönlich­en Albtraum heute in Worte fassen: „Das war vor vier Jahren. Ich bekam damals in einem Einkaufsze­ntrum plötzlich einen Schweißaus­bruch. Und wenn sich wer im Bus neben mich setzte, war das für mich die Hölle.“

Unter Leute gehen, das wurde für die psychisch labile Frau zunehmend zu einer Mission Impossible: „Meine Tochter hat mich gefragt, ob wir gemeinsam einkaufen gehen,und ich musste ihr sagen, dass ich das nicht kann.“

Ebenso schlimm waren für sie ihre Zwangsstör­ungen: „Es blieb mir nichts anderes übrig, ich musste mich bis zu zwei Stunden früher auf den Weg machen, weil ich zehn Mal zurückgela­ufen bin, um zu prüfen, ob ich eh überall das Licht und die Waschmasch­ine abgedreht habe.“

Sofort verstanden

Ein aufmerksam­er Neurologe wies sie dann auf das Angebot der PTA hin. Für Bettina war das ein Rettungsan­ker in der Not: „Ich kann diese Einrichtun­g nur jedem betroffene­n Menschen empfehlen“, sagt sie heute. „Denn das waren hier die ersten Menschen, die mein Problem sofort verstanden haben.“Anders übrigens als die Betreuer, mit denen sie beim Arbeitsmar­ktservice zu tun hatte: „Die wollten mir nach der Reha sofort wieder einen Job vermitteln, wozu ich damals einfach nicht fähig war.“

Neunzig Minuten dauert die Gruppenthe­rapie in der PTA. In der Ambulanz arbeiten 24 Psychother­apeuten, die im Bereich des Gruppenset­tings speziell qualifizie­rt sind, 13 Frauen und elf Männer. Pro Quartal behandeln sie rund 500 Patienten.

„Der Weg in ein besseres Leben beginnt mit dem ersten Schritt.“An diesem Leitsatz orientiert sich nicht nur das fachliche Leitungste­am. An diesem Satz konnte sich auch Bettina wieder aufrichten. Und sie hat darüber hinaus auch wieder ein übergeordn­etes Ziel für sich definiert: „Ich möchte meine frühere Lebensqual­ität zurück.“

„Wir konnten mit der Ambulanz auch die Wiener Gebietskra­nkenkasse entlasten.“Gerhard Ostermann

Geschäftsf­ührer der PTA

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Endlich ernst genommen: Frau Bettina hat nach vier Jahren Krise in der Psychother­apeutische­n Ambulanz in Wien zu neuem Selbstbewu­sstsein gefunden: Die Therapiest­unden haben ihr von Anfang an geholfen
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