Kurier

Seehofer will bleiben

Deutsche Krise: Mühsame Einigung mit Merkel errungen

- AUS BERLIN SANDRA LUMETSBERG­ER

Verhandlun­gen bis spät in die Nacht, gar ins Morgengrau­en – und am Ende dennoch alles offen. Was sich seit der Bundestags­wahl in Deutschlan­d abspielt, wird in die Annalen eingehen. Noch nie kam eine Regierung so schwer zustande, noch nie stand sie so knapp an der Kippe.

Die Hauptprota­gonisten des jüngsten Dramas: Kanzlerin Angela Merkel und Innenminis­ter Horst Seehofer. Nach wochenlang­em Streit um die künftige Asylpoliti­k ließ er die Lage Sonntagnac­ht eskalieren, drohte mit Rücktritt, zog ihn dann zurück, um ihn von Gesprächen mit der CDU abhängig zu machen. Gestern folgte überrasche­nd ein Kompromiss. Aber der Reihe nach.

Montagfrüh, der Morgen nach Seehofers Drohung: Ein Termin jagt den anderen, die Grünen melden sich zu Wort, Linke, AfD und FDP, ebenso wie Politexper­ten: Was in aller Welt trieb Seehofer an, dass er quasi gegen jede Vernunft handelte? Seine Zukunft und jene der Regierung an einem Punkt aus seinem Masterplan festmachte?

Darüber ärgerte man sich in CDU und CSU, dennoch lautete der Tenor nach einer gemeinsame­n Sitzung: Man wolle eine Lösung finden. Auch Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU) schaltete sich ein, rief die Streithähn­e zu sich.

Gegen 18 Uhr fuhr Seehofers Wagen vor der CDUZentral­e vor, langsam stieg er aus dem Auto, das Gesicht fahl, die Augen müde. Er lächelte gequält: „Ich hoffe, ich komme vor dem Morgengrau­en raus“, sagte er den wartenden Journalist­en. Um Deeskalati­on war er an diesem Tag nicht bemüht. Stunden zuvor ließ er via Süddeutsch­e Zeitung ausrichten: „Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist.“Damit bezog er sich auf das bessere Wahlergebn­is der CSU bei der Bundestags­wahl sowie die mühsamen Koalitions­verhandlun­gen, die sie Seite an Seite durchgesta­nden hatten. Dass sie künftig noch gemeinsam etwas durchstehe­n, scheint zu diesem Zeitpunkt aussichtsl­os.

Die Wende

Dann kurz nach 22 Uhr die Wende. Horst Seehofer wankt aus der CDU-Zentrale, er wirkt abgekämpft, fast ein bisschen ferngesteu­ert. „Wir haben uns geeinigt“, verkündet er umringt von seinen Ministern, darunter auch der ehemalige bayerische Landeschef Edmund Stoiber. Nicht wenige hier glauben, dass er es war, der die zerstritte­nen Parteien wieder zur Räson brachte. Er steigt mit der Seehofer-Gang in den Wagen. Es steht noch ein weiterer später Termin mit der SPD an. Und Seehofer wird ihn mit verhandeln, denn: Er will weiter im Amt bleiben. Auch die Zukunft der Kanzlerin ist vorerst gerettet, wobei es Gerüchte gibt, sie würde im Herbst zurücktret­en. Wolfgang Schäuble könnte interimist­isch übernehmen.

Davon ist Montagaben­d im Adenauer-Haus keine Rede. Schnellen Schrittes eilt sie zum Mikro. Nach hartem Ringen habe man sich geeinigt, verkündet sie. Der Formelkomp­romiss lautet: Transitzen­tren an der deutsch-österreich­ischen Grenze. Aus diesen Zentren sollen die Asylbewerb­er direkt in die zuständige­n Länder zurück-

gewiesen werden, wo sie erstregist­riert wurden. Mit einigen dieser Länder habe Merkel auch Vereinbaru­ngen getroffen. In den Fällen, in denen es kein Verwaltung­sabkommen gibt, findet die Zurückweis­ung an der deutsch-österreich­ischen Grenze statt. Ob die Maßnahmen mit der österreich­ischen Regierung abgesproch­en wurden, war bis gestern Abend aber noch unklar.

Es sind Maßnahmen, die auf Seehofers Masterplan auf bauen. Also jenem Papier, das zum Streit geführt hat. Bis auf einen Punkt war die Kanzlerin ohnehin mit allem einverstan­den: Die Abweisung Asylsuchen­der an der deutschen Grenze lehnte sie ab. Nicht aus Herzensgüt­e, sondern weil sie das große Ganze sieht: Chaos in Europa. Dieses wäre nun scheinbar mit den Transitzen­tren abgewendet, zeigte sich Merkel zufrieden. „Damit ist genau der Geist der Partnersch­aft in der EU gewahrt und gleichzeit­ig ein entscheide­nder Schritt getan, um Sekundärmi­gration zu ordnen und zu steuern. Das ist genau das, was mir wichtig war und ist“.

So weit, so einfach. Oder doch nicht? Immerhin muss die SPD dem Kompromiss zustimmen, der eigentlich ein alter ist. Die Sozialdemo­kraten hatten sich bereits 2015 gegen solche Zentren gewehrt. Klingt nach weiteren langen Verhandlun­gsnächten.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Wohin führt der Weg? CSUChef Seehofer und Kanzlerin Merkel sind trotz ihres Kompromiss­es politisch beschädigt
Wohin führt der Weg? CSUChef Seehofer und Kanzlerin Merkel sind trotz ihres Kompromiss­es politisch beschädigt

Newspapers in German

Newspapers from Austria