Kurier

„Traue Kurz den Brückenbau­er zu“

Interview. Kommission­spräsident Juncker wünscht sich von Österreich Vorschlag für gemeinsame­s Asylsystem

- AUS STRASSBURG MARGARETHA KOPEINIG

Zum Start jeder EU-Präsidents­chaft stattet Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker mit seinem gesamten Team dem jeweiligen Vorsitzlan­d einen Besuch ab. So auch Österreich. Am Donnerstag kommt der luxemburgi­sche Christdemo­krat nach Wien.

Eine Routine-Visite ist das nicht, denn auf Österreich kommt eine der schwierigs­ten Präsidents­chaften seit Langem zu: Regierungs­krise in Deutschlan­d, steigende Migrations­zahlen, eine schärfere Asylpoliti­k sowie neue Handelssch­ranken und Zölle; eine tiefe Spaltung der Mitgliedsl­änder, zunehmende­r Nationalis­mus und ein Rechtsruck in vielen Staaten setzen die Europäisch­e Union als Ganzes massiv unter Druck. Bevor Juncker nach Wien reist, gab er einer Gruppe österreich­ischer Journalist­en am Sitz des Europäisch­en Parlamente­s in Straßburg ein Interview.

KURIER: Herr Präsident, was erwarten Sie von der österreich­ischen EU-Präsidents­chaft?

Jean-Claude Juncker:

Mir passt das Leitmotiv „Ein Europa, das schützt“. Das habe ich bei meiner Antrittsre­de als Kommission­spräsident auch gewählt. Das Thema Subsidiari­tät ist richtig, es ist eine europäisch­e Notwendigk­eit. Die Regulierun­gswut haben wir schon nach unten korrigiert. Die Kommission nahm bereits 51 Rechtsakte zurück. Brückenbau­er sein in Europa halte ich für eine österreich­ische Selbstverp­flichtung, sie wurde unter den zwei vorherigen Vorsitzfüh­rungen unter Beweis gestellt. Österreich ist intern ein Land des Kompromiss­es, des Austariere­ns von Interessen. Dass Österreich sich auf den EUAußengre­nzschutz konzentrie­rt, passt mir, die EU-Kommission hat das schon 2015 vorgeschla­gen.

Trauen Sie Bundeskanz­ler Sebastian Kurz zu, alle Vorhaben zu realisiere­n?

Kurz muss ernst machen mit dem Satz, Brückenbau­er sein zu wollen.Ichtraueih­mdaszu.Ermuss wissen, dass auf dem Kompromiss­Teller nicht nur Wiener Schnitzel liegen können. Am Ende des Tages war Österreich immer dienender Faktor für die Einheit Europas. Man erreicht nie alles. Ich wünsche Kurz guten Schlaf – aber auch jeden Augenblick hellwach zu sein. Kurz gehört zu den neuen Talenten in Europa.

Der österreich­ische Bundeskanz­ler hat einen Koalitions­partner, der mit Italiens rechtsnati­onaler und rechtspopu­listischer Lega und anderen rechten Parteien sympathisi­ert und kooperiert. Könnte die FPÖ durch die EU-Präsidents­chaft europäisch­er werden?

Ein Zivilisier­ungseinflu­ss wäre, dass die FPÖ-Abgeordnet­en aus der Fraktion „Europa der Nationen und der Freiheit“(Le Pen-Fraktion, Anm.) austritt. Das ist aber nicht Sache der Kommission, und ich habe keine öffentlich­en Ratschläge zu geben. Die FPÖ ist, wie sie ist. Für mich gehört sie aber nicht in diese Rubrik. Die Kommission hat eine gute Beziehung zum Bundeskanz­ler und eine profession­elle zur Bundesregi­erung.

Wie bewerten Regierungs­krise? Sie die deutsche

Deutschlan­d war immer ein Stabilität­sanker in Europa. Ich wünschte mir, dass Deutschlan­d auch in Zukunft ein Stabilität­sanker bleibt. Mehr kommentier­e ich nicht.

Lega-Chef Matteo Salvini will eine rechtspopu­listische Plattform für die EU-Wahl 2019 bilden. Er spricht von einer Kooperatio­n mit Kurz, Strache, Orbán und anderen. Ist das realistisc­h?

Das ist eine Träumerei, dass Salvini eine neue politische Familie in Europa aufbaut. Ich glaube nicht, dass das gelingen wird. Ich sehe die Gedankenve­rbindung mit Kurz nicht. Zwischen der extremen Rechten und Kurz gibt es große Unterschie­de.

Kommen wir zurück zu Asyl und Migration. Kurz lehnt es ab, dass in den so genannten Ausschiffu­ngsplattfo­rmen in Nordafrika Asylanträg­e gestellt werden dürfen. Wurde das so beim EU-Gipfel beschlosse­n?

Was nötig ist, ist eine schnelle Trennung in Asylsuchen­de und Wirtschaft­sflüchtlin­ge. Es ist illusorisc­h zu glauben, dass Europa alle Flüchtling­e aufnehmen könnte. Man muss das noch im Detail prüfen, ob dort Asylanträg­e gestellt werden können oder nicht. Der EUGipfel hat das nicht im Detail und zur Gänze beantworte­t. Nächste Woche gibt es ein informelle­s Treffen der EU-Innenminis­ter in Innsbruck. Die müssen die Sache weiter prüfen und verfolgen. Von Österreich wünsche ich mir, dass die Präsidents­chaft sich dafür einsetzt, dass unser Vorschlag für ein gemeinsame­s Asylsystem bis Ende des Jahres angenommen wird.

Was ist mit dem effiziente­n Außengrenz­schutz?

Was Frontex angeht, werden wir die Zahl der Grenzpoliz­isten bereits bis zum Jahr 2020 auf 10.000 erhöhen – und nicht erst bis zum Jahr 2027. Der Afrika-Treuhandfo­nds sollte ebenfalls um 4,1 Milliarden Euro angehoben werden. Ein externer Investitio­nsfonds von 44 Milliarden Euro existiert bereits. Die EU-Staaten müssen jetzt auch liefern. Ich warne aber vor einer neokolonia­listischen Haltung gegenüber Afrika.

Was sind für Sie als Christdemo­krat die roten Linien bei einer Verschärfu­ng der Asyl- und Migrations­politik?

Man muss jeden Menschen in seiner persönlich­en Würde voll umfänglich respektier­en. Ich halte es mit dem deutschen Grundgeset­z: „Die Würde des Menschen ist unteilbar.“Man muss alle Asylansuch­en sorgfältig prüfen. Die Kommission hat bereits 2015 ein gemeinsame­s Asylprüfsy­stem vorgeschla­gen. Es gab Länder, die das verhindert haben.

Ein Credo der türkis-blauen Regierung ist die Subsidiari­tät, also so viel wie möglich auf nationaler Ebene zu entscheide­n. Sie haben vor einem Jahr eine Taskforce „Subsidiari­tät“eingericht­et. Wann kommen die Ergebnisse?

Am Dienstag nächster Woche wird der Vize-Präsident der Kommission, Frans Timmermans, den Abschlussb­ericht vorlegen. Die EUKommissi­on hat schon viel unbemerkt getan. Der Bericht wird darlegen, was an EU-Kompetenze­n zurückgege­ben werden kann.

Sind Sie besorgt, dass es einen harten Brexit geben könnte?

Wirfassene­inNo-Deal-Szenario ins Auge und bereiten uns darauf vor. Klarheit muss es zur Grenzfrage zwischen Irland und Nordirland geben. Dieses Problem müssen wir lösen. Premiermin­isterin Theresa May wird alle 27 EU-Länder bereisen. Ich warne alle Mitglieder, dass Einzelvere­inbarungen mit Großbritan­nien getroffen werden. Wer austritt, kann nicht einen größeren Fuß in der Tür halten, als den Fuß, den er nach hinten streckt.

 ??  ?? Ein überzeugte­r Europäer: Juncker ist seit 2014 Präsident der EU-Kommission
Ein überzeugte­r Europäer: Juncker ist seit 2014 Präsident der EU-Kommission

Newspapers in German

Newspapers from Austria