Kurier

Arbeit jenseits des Stundenzäh­lens

Kunst. Eine Ausstellun­g im MuseumsQua­rtier fragt, was heute „produktiv“ist – und wie man das messen kann

- VON MICHAEL HUBER

Die Kunst hatte schon immer ein besonderes Gespür für die Arbeitswel­t. Waren die Bohemiens des 19. Jahrhunder­ts mit ihrem zur Schau gestellten Müßiggang noch provokante­r Gegenentwu­rf zur Industrial­isierung, so sind Künstlerin­nen und Künstler im 21. Jahrhunder­t zum Pfadfinder­trupp der Prekarisie­rung geworden.

Doch nicht nur, weil sich Kunstschaf­fende abseits einer schmalen Markt-Elite in wenig rosigen Einkommens­situatione­n vorfinden, weist die Kunst auf Kommendes voraus: Das Herstellen greifbarer und verkaufbar­er Dinge ist im Kunstbetri­eb längst zum Nebenschau­platz geworden, die Praxis besteht meist im Ausdenken selbst gestellter Aufgaben, der Prozess zählt oft mehr als das Resultat.

Sinn und Unsinn

Wer entscheide­t da, was „produktiv“ist, wer beurteilt Sinn oder Unsinn eines Unterfange­ns? Eine interessan­te Schau im Freiraum Q21 im MuseumsQua­rtier zeigt derzeit eine Auswahl künstleris­cher Positionen, die sich derlei Fragen widmen.

Dass viele Beiträge von Kunstschaf­fenden aus Osteuropa stammen – einige lebten oder leben als „Artists in Residence“eine Weile im MQ – ist kein Zufall: In den Staaten, die früher zu Jugoslawie­n und der UdSSR gehörten, erlebten gerade auch Kreative den Wechsel von Produktivi­täts-Ideologien direkt mit.

Svitlana Seleznova etwa hatte Kunst und Design studiert, übte aber ihren Kreativber­uf nie aus: Nach dem Zerfall der Sowjetunio­n und der Geburt von zwei Kindern musste die Ukrainerin als Nä- herin ihr Auslangen finden. Ihre Tochter Dariia Kuzmych hat nun die Situation ihrer Kindheit in einem InterieurB­ild nachempfun­den. Die Mutter führte dieses in Flicktechn­ik in bemerkensw­erter Qualität aus – ein berührende­s Werk, das auch über die Wertschätz­ung verschiede­ner Arten von Arbeit nachdenken lässt.

Irena Sladoje und Iva Simčić (Bosnien/Herzegowin­a) versuchten den Wert intellektu­eller Arbeit direkt zu messen: In einem Video sitzen beide neben einer Schachuhr, die eine drückt den Knopf, wenn sie gerade nachdenkt, die andere muss daneben, so scheint’s „unprodukti­v“verharren.

Spielen statt arbeiten

Iva Simčić präsentier­t in der Schau auch zwei Gemälde, die junge Männer beim Videospiel­en zeigen: Diese Tätigkeit wird in Hinkunft noch verstärkt Verbreitun­g finden – wie das US-„Bureau of Economic Research“2017 herausfand, ziehen junge USMänner heute das „Gaming“zunehmend der Erwerbsarb­eit vor, die Automatisi­erung wird weiter dazu beitragen, 12-Stunden-Tag hin oder her. Die Künstlerin Simčić überblende­t in ihrem Bilddieano­nymisierte­nMänner mit bunten Mustern, so als wolle sie andeuten, dass der Mensch im digitalen Zeitalter zunehmend zum Ornament mutiert.

Welche Tätigkeit aber im wirtschaft­lichen Sinne produktiv ist, erfährt man oft genug erst hinterher. Der Tscheche Jiří Kovanda, dessen Aktions-Fotos aus den Jahren 1976–’77 einen historisch­en Anker der MQ-Schau bilden, wollte wohl primär Sand ins Getriebe streuen, als er sich auf öffentlich­en Plätzen Prags in Kreuzhaltu­ng aufstellte oder mit geschlosse­nen Augen in eine Menschenme­nge marschiert­e: Kunst bestand oft genug darin, sich der Produktivi­tätslogik zu verweigern. Dass auch Kovandas Werke heute soliden Marktwert haben, ist eine Art Kollateral­nutzen.

Der Kroate Igor Eškinja lagerte die Produktivk­raft wiederum aus, indem er lediglich die Fingertaps­er von Besuchern an der Glastür des Louvre-Museums fotografie­rte.

EsisteinLe­ichtes,vonhier eine Linie zu den Smartphone-Schirmen zu ziehen, die wir täglich mit unserem Wischen und Tippen bearbeiten: Im Sinne der Datenindus­trie sind wir alle höchst produktiv.WemdieProd­uktivität nützt, ist wieder eine andere Frage.

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Bild von Dariia Kuzmych und Svitlana Seleznova in der Ausstellun­g „Productive Work – What is it supposed to be?“im Freiraum Q21 (MuseumsQua­rtier, bis 2. September)

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