Eine Mutter kämpft um ihre Kinder
Als 17-Jährige von einem Priester geschwängert, musste sie Töchter zur Adoption freigeben
Clara D. (Name geändert, Anm.) hat keine schönen Geschichten zu erzählen. Ihre Geschichte ist geprägt von sexuellem Missbrauch und Gewalt. Von Kindheitstagen an. DochClaraD. hat nicht aufgegeben. Sie will erzählen. Davon, wie sie ein Priester in einem Erziehungsheim in Hollabrunn, NÖ, mit 17 Jahren mit Zwillingen schwängerte. Davon, dass Nonnen ihr Tritte und Schläge versetzten, um eine Fehlgeburt zu provozieren. Unddavon, dass sie seither um ihre Töchter kämpft – sie wuchsen in einer Adoptiv familie auf. Was dieheute41-Jährigewill: Gerechtigkeit und den Verantwortlichen von damals in die Augen schauen.
KURIER: Frau D., wie schwer war es für Sie, in die Öffentlichkeit zu gehen?
Clara D.:
Das war mir wichtig, damit die Menschen verstehen, dass mir unrecht getan wurde. Ich habe sogar tagelang mit dem Auto vor dem Vatikan campiert, damit mir jemand zuhört, und dem Papst einen Brief geschrieben.
Worum geht es Ihnen: die Aufarbeitung oder Ihre Kinder?
In erster Linie um die Kinder. Ich habe schon 2008 Anzeige bei der StaatsanwaltschaftSt. Pöltenwegenillegaler Adoption erstattet. Ich wurde damals dazu gezwungen. Aber niemand hat mir geglaubt. Heute sind meine Kinder erwachsen.
Wissen die Kinder von Ihnen?
Ja. Als sie 13 Jahre alt waren, haben sie im Kasten der Adoptivmutter mein Album gefunden. Das habe ich damalsgemacht, alsichsieweggeben musste. Darin sind Fotos und Briefe, in denen ich erkläre, dass ich sie nicht weggeben wollte. So haben sie erfahren, dass sie adoptiert wurden. Kurz darauf hat mich das Jugendamt angerufen und es kam zu einem Treffen.
Plötzlich hatten Sie TeenagerTöchter.
Ja, und sie haben gesehen, dass sie zwei weitere Geschwister aus meiner späteren Ehe haben. Vor zwei Jahren hat mich eine Tochter dann auf Facebook gefunden und so ist wieder Kontakt entstanden. Wir haben Weihnachten gemeinsam gefeiert. Das war eigentlich schön. (Stille) Bis eine Tochter Kontakt zu ihrem Vater, dem Pfarrer, aufgenommen hat. Sie kannte meine Geschichte, ich habe meinen Kindern alles erzählt. Sie hat ihn damit konfrontiert und ihn beschimpft. Dann hat er mich kontaktiert und mir befohlen, dass ich sagen muss, dass ich in ihn verliebt gewesen sei.
Warum? Weil er selbst Kontakt zu den Kindern wollte?
Ja, das wollte er plötzlich. Nach 22 Jahren. Ich musste die Lüge von damals aufrecht erhalten. Ich hatte einfach das Gefühl, dass ich machen muss, was er sagt. Sowiedamals. Esgabdeshalb Streit mit meinen Töchtern. Siehabensofortgespürt, dass dasnichtstimmt. DerKontakt zu ihnen ist dadurch wieder abgebrochen.
Waren Sie in den Priester verliebt, so wie die Diözese das sagt?
Wenn Zeitungen schreiben, es war eine Liebesbeziehung, dann stimmt das nicht. Daswaresnicht. Ichhabe noch nie geliebt. Obwohl ich 20 Jahre verheiratet war. Ich verbinde mit Männern: du musst gehorchen, mit ihnen schlafen, Schläge einstecken. Ich kann keinen Mann lieben.
Hassen Sie ihn?
Gottsagt, wirdürfennicht hassen. Aberichwünschemir eine gerechte Strafe.
Sind Sie gläubig?
Ja, Gottistnichtschuldan dem allen. Die Menschen sind schuld. Für mich ist Gott etwas Riesiges. Er hat mich erschaffen und mich rausgeholt aus dem Ganzen. Ich bin nicht darüber hinweg, aber ich konnte es verarbeiten. Auch wenn es mir noch immer wehtut. Aber es ist etwas anderes, damit umzugehen, als sich im Schmerz zu verlieren.
Geht es Ihnen besser, seit Ihre Geschichte bekannt wurde?
Es ist, als wären 100 Kilo Lastweg. WaslangeimDunklen geblieben ist, ist jetzt in der Öffentlichkeit. Ich kann die Verantwortlichen damit konfrontieren. Verstehen Sie mich richtig: Ich wünsche ihm nicht 20 Jahre Haft. Aber schon, dass sich die Kirche eingesteht: Wir haben da Scheiße gebaut, weggeschaut, nicht gehandelt, Missbrauch unterstützt und auch misshandelt.
Wie geht es Ihnen heute?
Es geht mir gut, auch wenn es mir finanziell schlechtgeht. Ichlebeineiner 30 m²-Wohnung mit einer FreundinundihremBaby. Ich könntemirkeineeigeneWohnung leisten, ich bekomme Invaliditätspension. Trotzdem geht es sich hinten und vorne nicht aus.
Waren Sie berufstätig?
IchhabeeineFriseurlehre abgeschlossen, eine Zeit lang auch als Friseurin gearbeitet, später in einem Supermarkt. Aber das ging dann nicht mehr. Ich habe mein ganzes Leben unter meiner Vergangenheit gelitten. IchhatteniedieMöglichkeit, etwasausmeinemLeben zu machen. Und deshalb habe ich mich auch an die Klasnic-Kommission gewandt.
Sie haben gesagt, dass Sie nie gute Erfahrungen mit Männern gemacht haben. Das Thema ist somit für Sie Geschichte?
Nach der Trennung von meinemMannhabeicheinen anderen Mann kennengelernt, bei dem ich mir dachte: vielleicht. (Clara D. lacht zum ersten Mal.) Erkenntmeine Vorgeschichte, er weiß, dass ich Männern nur sehr schwer vertraue. Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich glücklich bin. Ich kannte es bisher nicht, dass ein Mann selbst den Haushalterledigtundkocht, etwas fürmichtut. Dasistetwasvöllig Neues für mich.
Ist es Ihnen noch wichtig, dass es zu einem Prozess kommt?
Ganz sicher. Ich möchte diese Personen sehen – und wissen, ob sie mir in die Augen schauen, ob sie leugnen. Egal was dabei rauskommt, aber ich habe jahrelang gedacht, mir hört sowieso keiner zu. Jetzt ist das anders.
Nach Bekanntwerden der Vorwürfe hat die Diözese angekündigt, sofort mit Ihnen Kontakt aufnehmen zu wollen. Ist das passiert?
Nein. Auf diesen Anruf warte ich heute noch. Ich wurdenurvoneinemPsychologen begutachtet.