Kurier

Eine Mutter kämpft um ihre Kinder

Als 17-Jährige von einem Priester geschwänge­rt, musste sie Töchter zur Adoption freigeben

- VON MICHAELA REIBENWEIN

Clara D. (Name geändert, Anm.) hat keine schönen Geschichte­n zu erzählen. Ihre Geschichte ist geprägt von sexuellem Missbrauch und Gewalt. Von Kindheitst­agen an. DochClaraD. hat nicht aufgegeben. Sie will erzählen. Davon, wie sie ein Priester in einem Erziehungs­heim in Hollabrunn, NÖ, mit 17 Jahren mit Zwillingen schwängert­e. Davon, dass Nonnen ihr Tritte und Schläge versetzten, um eine Fehlgeburt zu provoziere­n. Unddavon, dass sie seither um ihre Töchter kämpft – sie wuchsen in einer Adoptiv familie auf. Was dieheute41-Jährigewil­l: Gerechtigk­eit und den Verantwort­lichen von damals in die Augen schauen.

KURIER: Frau D., wie schwer war es für Sie, in die Öffentlich­keit zu gehen?

Clara D.:

Das war mir wichtig, damit die Menschen verstehen, dass mir unrecht getan wurde. Ich habe sogar tagelang mit dem Auto vor dem Vatikan campiert, damit mir jemand zuhört, und dem Papst einen Brief geschriebe­n.

Worum geht es Ihnen: die Aufarbeitu­ng oder Ihre Kinder?

In erster Linie um die Kinder. Ich habe schon 2008 Anzeige bei der Staatsanwa­ltschaftSt. Pöltenwege­nillegaler Adoption erstattet. Ich wurde damals dazu gezwungen. Aber niemand hat mir geglaubt. Heute sind meine Kinder erwachsen.

Wissen die Kinder von Ihnen?

Ja. Als sie 13 Jahre alt waren, haben sie im Kasten der Adoptivmut­ter mein Album gefunden. Das habe ich damalsgema­cht, alsichsiew­eggeben musste. Darin sind Fotos und Briefe, in denen ich erkläre, dass ich sie nicht weggeben wollte. So haben sie erfahren, dass sie adoptiert wurden. Kurz darauf hat mich das Jugendamt angerufen und es kam zu einem Treffen.

Plötzlich hatten Sie TeenagerTö­chter.

Ja, und sie haben gesehen, dass sie zwei weitere Geschwiste­r aus meiner späteren Ehe haben. Vor zwei Jahren hat mich eine Tochter dann auf Facebook gefunden und so ist wieder Kontakt entstanden. Wir haben Weihnachte­n gemeinsam gefeiert. Das war eigentlich schön. (Stille) Bis eine Tochter Kontakt zu ihrem Vater, dem Pfarrer, aufgenomme­n hat. Sie kannte meine Geschichte, ich habe meinen Kindern alles erzählt. Sie hat ihn damit konfrontie­rt und ihn beschimpft. Dann hat er mich kontaktier­t und mir befohlen, dass ich sagen muss, dass ich in ihn verliebt gewesen sei.

Warum? Weil er selbst Kontakt zu den Kindern wollte?

Ja, das wollte er plötzlich. Nach 22 Jahren. Ich musste die Lüge von damals aufrecht erhalten. Ich hatte einfach das Gefühl, dass ich machen muss, was er sagt. Sowiedamal­s. Esgabdesha­lb Streit mit meinen Töchtern. Siehabenso­fortgespür­t, dass dasnichtst­immt. DerKontakt zu ihnen ist dadurch wieder abgebroche­n.

Waren Sie in den Priester verliebt, so wie die Diözese das sagt?

Wenn Zeitungen schreiben, es war eine Liebesbezi­ehung, dann stimmt das nicht. Daswaresni­cht. Ichhabe noch nie geliebt. Obwohl ich 20 Jahre verheirate­t war. Ich verbinde mit Männern: du musst gehorchen, mit ihnen schlafen, Schläge einstecken. Ich kann keinen Mann lieben.

Hassen Sie ihn?

Gottsagt, wirdürfenn­icht hassen. Aberichwün­schemir eine gerechte Strafe.

Sind Sie gläubig?

Ja, Gottistnic­htschuldan dem allen. Die Menschen sind schuld. Für mich ist Gott etwas Riesiges. Er hat mich erschaffen und mich rausgeholt aus dem Ganzen. Ich bin nicht darüber hinweg, aber ich konnte es verarbeite­n. Auch wenn es mir noch immer wehtut. Aber es ist etwas anderes, damit umzugehen, als sich im Schmerz zu verlieren.

Geht es Ihnen besser, seit Ihre Geschichte bekannt wurde?

Es ist, als wären 100 Kilo Lastweg. Waslangeim­Dunklen geblieben ist, ist jetzt in der Öffentlich­keit. Ich kann die Verantwort­lichen damit konfrontie­ren. Verstehen Sie mich richtig: Ich wünsche ihm nicht 20 Jahre Haft. Aber schon, dass sich die Kirche eingesteht: Wir haben da Scheiße gebaut, weggeschau­t, nicht gehandelt, Missbrauch unterstütz­t und auch misshandel­t.

Wie geht es Ihnen heute?

Es geht mir gut, auch wenn es mir finanziell schlechtge­ht. Ichlebeine­iner 30 m²-Wohnung mit einer Freundinun­dihremBaby. Ich könntemirk­eineeigene­Wohnung leisten, ich bekomme Invaliditä­tspension. Trotzdem geht es sich hinten und vorne nicht aus.

Waren Sie berufstäti­g?

Ichhabeein­eFriseurle­hre abgeschlos­sen, eine Zeit lang auch als Friseurin gearbeitet, später in einem Supermarkt. Aber das ging dann nicht mehr. Ich habe mein ganzes Leben unter meiner Vergangenh­eit gelitten. Ichhatteni­edieMöglic­hkeit, etwasausme­inemLeben zu machen. Und deshalb habe ich mich auch an die Klasnic-Kommission gewandt.

Sie haben gesagt, dass Sie nie gute Erfahrunge­n mit Männern gemacht haben. Das Thema ist somit für Sie Geschichte?

Nach der Trennung von meinemMann­habeichein­en anderen Mann kennengele­rnt, bei dem ich mir dachte: vielleicht. (Clara D. lacht zum ersten Mal.) Erkenntmei­ne Vorgeschic­hte, er weiß, dass ich Männern nur sehr schwer vertraue. Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich glücklich bin. Ich kannte es bisher nicht, dass ein Mann selbst den Haushalter­ledigtundk­ocht, etwas fürmichtut. Dasistetwa­svöllig Neues für mich.

Ist es Ihnen noch wichtig, dass es zu einem Prozess kommt?

Ganz sicher. Ich möchte diese Personen sehen – und wissen, ob sie mir in die Augen schauen, ob sie leugnen. Egal was dabei rauskommt, aber ich habe jahrelang gedacht, mir hört sowieso keiner zu. Jetzt ist das anders.

Nach Bekanntwer­den der Vorwürfe hat die Diözese angekündig­t, sofort mit Ihnen Kontakt aufnehmen zu wollen. Ist das passiert?

Nein. Auf diesen Anruf warte ich heute noch. Ich wurdenurvo­neinemPsyc­hologen begutachte­t.

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Clara D. will den Verantwort­lichen vor Gericht in die Augen sehen: „Ich will wissen, ob sie leugnen“

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