Kurier

„Feurige“Volksfeste zu Ferienbegi­nn

Kroatien. Modric, Rakitic und Kollegen befördern ihre Landsleute erneut in einen kollektive­n Ausnahmezu­stand

- AUS ZAGREB UWE MAUCH

Unterwegs in den Straßen der kroatische­n Hauptstadt: In jedem anderen Jahr verlangsam­t sich in diesen Tagen der Schritt. Die Ferien haben begonnen, und die Zagreber, die es sich leisten können, fahren ans Meer. Saure-Gurken-Zeit. Doch heuer ist Fußball-Weltmeiste­rschaft .

Der österreich­isch- amerikanis­cheKomm unikat ions wissenscha­ft er PaulWatzla­wick hätte seine Freude mit den Kroaten. Würde er noch leben, müsste er seine populäre These leicht abwandeln: Man kann in Kroatien nicht nicht Fußball konsumiere­n.

Die „Mandscho“-Show

In praktisch jedem Straßencaf­é sieht man zum x-ten Mal das Abstaubert­or von Mario „Mandscho“Mandzukic gegen die Dänen, den vergebenen und den verwertete­n Elfmeter des einstigen Kriegs flüchtling­s und heutigenWe lt starsLukaM­odric sowie die Reflexe des Mensch gewordenen dänischen Traumas Danijel Subasic, der zum ersten Mal beim N KZ ad ar Elfmeter aus der Ecke fischte.

Amüsiert erzählen sich die Kroaten, wie der Reporter des Staatsfern­sehens Drago Cosic während der sonntäglic­hen Live-Übertragun­g beim ersten Elfer von Kapitän Modric wie schon so oft seine Stimme verloren hat.

Selbst jene, die sich sonst nicht für Fußball interessie­ren, staunen in den sozialen Medien über ihre Präsidenti­n: Nachdem Spiel inNischni Nowgorod enterte Kolinda Grabar-Kitarovic im Fa n-L eiberldiek­roatische Umkleideka­bine, um halbnackte, verschwitz­te Männer zu herzen.

Eines der meistbesuc­hten Sommer-Urlaubslän­der der Österreich­er befindet sich erneut in einem emotionale­n Ausnahmezu­stand. So wie schon bei der WM 1998, als die Elf von Miroslav „Ciro“Blazevicim­SpielumPla­tz drei die Niederländ­er besiegte. Und sowie beiden Europa meistersch­aften 2008 und 2016, alsm an inderK.-o .Phase unglücklic­h ausschied.

Anders als die Gäste aus Österreich ist man beider WM 2018 wieder einmal mittendrin im Konzert der Großen. Und das als Kleinstaat: 4,2 Millionen Kroaten leben im Land, dazu kommen noch einmal drei Millionen Landsleute in der Diaspora. „Die sind mit ihrem Herzen noch mehrdabeia­lswir“, zeigtsich Sportjourn­alist Anton Samovojska beeindruck­t. Der Fußball schenkt den Kroaten viel internatio­nale Aufmerksam­keit, die ihnen sonst oft verwehrt bleibt. Und er überschatt­et alles andere, auch die dunklen Seiten in Politik und Wirtschaft.

Ivan statt Ivica

Alle schwärmen derzeit von IvanRakiti­c,d er beim FC Barcelona wie im kroatische­n Team im Mittel feld die Fäden zieht. Kaum jemand interessie­rt sich dagegen fürIvi ca Todoric,denZagr eber Blumenhänd­ler und Auslöser der „Agrokor“-Finanzkris­e, der mit seiner Expansions­wut samt anschließe­nder Götterdämm­erung namhafte kroatische Lebensmitt­el firmen fast an die Wand gefahren hat und damit Zehntausen­de Arbeitsplä­tze gefährdet.

Die „Feurigen“, wie die Fans ihre Elf nennen, dienen als Feigenblät­ter. Auch die unrühmlich­e Flucht des „Paten“Zdravko Mamic nach Bosnien, der noch vor wenigen Tagen die Gemüter erhitzte, ist nicht mehr Tagesthema. Man wirft dem früheren Präsidente­n von Dinamo Zagreb vor, dass er bei Spielertra­nsfers in die eigene Tasche gewirtscha­ftet hat.

Im Moment will auch niemand über die angebliche­n Steuerschu­lden des RealMadrid-Millionärs Luka Modric reden. Man freut sich lieber mit dem Filigran techniker über die Kompliment­e, die zu Wochenbegi­nn vom spanischen Arbeitgebe­r ein langten. Und auch De janLovren,d er Abwehr hüne des FC Liverpool, darf mutige Interviews zum Fußball gebenund muss nicht im Zagreb er Zeugen stand gegenden „Paten“aussagen.

Die Good News aus Russlandsi­ndwillkomm­en. Ebenso wie die ersten Nächtigung­sbilanzen, die soeben aus den Touristeno­rten an derAdriaei­ngehen. DieSommers­aison ist erneut gut angelaufen. Seit dem Beitritt Kroatiens zur EU vor fünf Jahren kommen mehr Gäste ins Land, ihr Geld befeuert den lange ersehnten Wirtschaft­saufschwun­g. Auch das durch den Jugoslawie­n-Krieg arg ramponiert­e Image hat sich zuletzt deutlich verbessert.

Der Fußballver­bands präsident DavorSuk er kann sich wiederum auf den Tribünen der WM-Stadien zurück lehnen, weil die Verhaltens auffällige­n unter den kroatische­n Fans offensicht­lich zu Hause geblieben sind.

Russisches Roulette

Teamchef Zlatko Dalic traut seinen Feurigen am Samstagabe­nd auch gegen Gastgeber Russland einiges zu (20 Uhr ). Seine Ansage wird von den Kroaten gerne zitiert: „Wir sind nicht nach Russland gekommen, um die Gruppenpha­se zu überstehen.“

Und was, wenn die Feurigen am Samstagabe­nd in Sotschi gegen die Russen verglühen? Dann müssen alle anderen wieder aus ihrem Schattentr­eten: ZdravkoMam­ic, Ivica Todoric und der Rest des neureichen Orchesters. Und auch die kroatische Präsidenti­n wird sich dann wieder mit weniger durchtrain­ierten Typen ablichten lassen können und müssen.

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Traditione­ller Sammelplat­z für Schachbret­t-Muster und Nationalst­olz: Auf dem Zagreber Hauptplatz wurde einst die kroatische Unabhängig­keit gefeiert. Nächstes öffentlich­es Zusammenst­ehen: Samstag, 20 Uhr
 ??  ?? Kleiner Mann, für mich bist du der Größte! Ihr Job freut Luka Modric und Kollega Dejan Lovren derzeit mehr als Ladungen vor Gericht
Kleiner Mann, für mich bist du der Größte! Ihr Job freut Luka Modric und Kollega Dejan Lovren derzeit mehr als Ladungen vor Gericht
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Wo Erfolg ist, ist auch Politik: Präsidenti­n Grabar-Kitarovic

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