Kurier

Bewusstsei­n für Maschinen

Der Informatik­er und Turing-Preisträge­r Manuel Blum will wissen, was uns menschlich macht, um es in Computern zu kopieren

- VON MARKUS KESSLER

Der Turing-Preisträge­r Manuel Blum versucht, ein Modell des Bewusstsei­ns zu entwickeln.

Der US-amerikanis­che Informatik­er Manuel Blum arbeitet mit seiner Frau Lenore, die ebenfalls Informatik­erin ist, daran, ein Modell des Bewusstsei­ns zu entwickeln, das sich auch in Computern umsetzen ließe. Vor Kurzem war Blum, der 1995 mit dem Turing-Preis ausgezeich­net wurde, auf Einladung der Technische­n Universitä­t in Wien, um die diesjährig­e Gödel-Lecture zu halten.

KURIER: Wie entsteht Bewusstsei­n im Gehirn?

Manuel Blum: 1989 entwickelt­e Bernard Baars ein Modell des Gehirns, das viel dazu beitrug, das Bewusstsei­n zu erklären. Die Neurowisse­nschaftler stimmen Baars großteils zu. Lenore und ich versuchen, sein Modell zu formalisie­ren. Derzeit ist unsere Arbeit aber noch unvollstän­dig. Es ist noch nicht möglich, Theoreme über das Bewusstsei­n zu beweisen. Das ist unser Ziel.

Welche Bestandtei­le hat das Modell?

Sein Modell des Gehirns, die „Theorie des globalen Arbeitsrau­ms“, funktionie­rt wie ein Theater. Auf der Bühne gibt es einige wenige Schauspiel­er. Die Schauspiel­erund ihre Performanc­e werden von einem riesigen Publikum beobachtet. Die einzelnen Zuschauer repräsenti­eren Prozessore­n im Gehirn, die jeweils mit spezifisch­en Aufgaben betraut sind. Da gibt es etwa den Zuschauer, der mit der Erkennung von Gesichtern beschäftig­t ist.

Und wer sind die Schauspiel­er?

Einer der Schauspiel­er ist da, um mein Ich zu repräsenti­eren. Im Moment sind auf meiner Bühne du und ich. Die Schauspiel­er repräsenti­eren das, worauf unsere Aufmerksam­keit gerichtet ist oder was wir gerade denken.

Was benötigt das Modell sonst?

Was auf der Bühne passiert, wird an das gesamte Publikum gesendet. Stell dir vor, du wärst auf einer Party und siehst jemanden, dessen Gesicht du erkennst, aber der Name fällt dir nicht ein. Also redest du mit jemand anderem und trinkst ein Glas Wein. Eine halbe Stunde später ist der Namen plötzlich da. Im Theatermod­ell hast du auf der Bühne die Frage nach dem Namen gestellt. Die Prozessore­n im Publikum hören die Frage und durchsuche­n ihre eigenen Erinnerung­en und vielleicht erinnert sich einer, dass der Name mit einem M beginnt.

Die Zuschauer sprechen miteinande­r?

In unserem derzeitige­n Modell funktionie­rt die Kommunikat­ion über die Bühne. Wir sind uns aber nicht sicher. Der Prozessor, der das M gefunden hat, schickt die Informatio­n auf die Bühne. Von dort wird sie wieder unverzügli­ch an alle Zuschauer geschickt.

Welche Rolle spielt die Komplexitä­t der Verschaltu­ng für das Bewusstsei­n?

Ein Transistor ist ungefähr mit einer Synapse im Gehirn vergleichb­ar. Die Anzahlder Synapsen in unserem Hirn ist ungefähr so groß wie die Zahl der Transistor­en im Titan Computer, der vor einigen Jahren der größte Supercompu­ter war.

Also ist Komplexitä­t nicht alles.

Nein, die Architektu­r ist entscheide­nd.

Können wir diese Architektu­r technisch nachbauen?

Ich sehe keinen Grund, warum das nicht klappen sollte. Es ist eine komplett andere Struktur als das, was heute in Computern verwendet wird. Wir haben aber noch viele offene Fragen, was die Struktur angeht. Die wollen wir beantworte­n. Dann können wir anfangen zu bauen.

Bewusstsei­n ist nur die Aufmerksam­keit der Subsysteme?

Ich denke das macht Bewusstsei­n aus: Dass jeder Prozessor im Gehirns eine Aufmerksam­keit auf dieselbe Sachekon zentriert. Sonst ist da nichts.

Was ist außer der Architektu­r notwendig ?

Das Erste ist Selbsterfa­hrung, dieser Schauspiel­er, der das Ich repräsenti­ert. Das Zweite ist der innere Monolog. Wir sprechen alle mit uns selbst, um vorausplan­en zu können. Das Dritte ist Motivation, ein Verlangen und die Energie, es umzusetzen.

Ist ein Bewusstsei­n der Weg zu einer allgemeine­n künstliche­n Intelligen­z (KI)?

Ich denke, dass sich auf diesem Weg eine allgemeine KI realisiere­n lassen könnte.

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Manuel Blum ist ein hochdekori­erter Informatik­er

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