Kurier

Giftfall vermutlich kein Anschlag

Großbritan­nien. Britisches Paar mit Nowitschok vergiftet – durch einen unglücklic­hen Zufall?

- VON STEFAN SCHOCHER

Die Rettungssa­nitäter scheinen diesmal sehr schnell reagiert zu haben. Als sie am vergangene­n Samstag gleich zwei Mal im Abstand von wenigenStu­ndenzueine­mHaus in der südenglisc­hen Stadt Amesbury gerufen wurden, nahmen sie gleich Proben undgabendi­eseweiter.Auch, wenn man damals noch davon ausging, dass die Erkrankten gestreckte­s Heroin oder Crack zu sich genommen hätten.

Es war aber das Nervengift Nowitschok, eine Substanz, die in den 1970er-Jahren in der Sowjetunio­n entwickelt worden war. Das wurde nun bestätigt. Und damit ist die Region um ein Mysterium reicher. Denn gerade einmal vier Monate ist es her, dass in der Stadt Salisbury, der russische Ex-Spion Sergej Skripal gemeinsam mit seiner Tochter Julia mit Nowitschok vergiftet wurden. Und Amesbury liegt gerade einmal 15 Kilometer von Salisbury entfernt. Die Skripals wurden inzwischen aus dem Spital entlassen. Die beiden Opfer aus Amesbury hingegen befinden sich in kritischem Zustand.

Ein Gift – ein sehr seltenes noch dazu –, zwei aber völlig unterschie­dliche Fälle. Denn anders als bei den Skripals (Sergej Skripal war über Jahre ein hochrangig­er britischer Spitzel in den Rängen des russischen Geheimdien­stes) gehen die britischen Ermittler in dem neuen Fall anscheinen­d nicht davon aus, dass Charlie Rowley (45) und Dawn Sturgess (44) Ziel eines Anschlages waren. Ausgegange­n wird davon, dass die beiden an irgendeine­r unbekannte­n kontaminie­rten Stelle unwissentl­ich Nowitschok aufgenomme­n haben.

Ein Nachbar des Paares gab etwa an, beide hätten oft Zigaretten­stummel aufgehoben und geraucht. Den Freitag vor ihrer Erkrankung hatten beide in Salisbury verbracht. Der Zeitpunkt der Erkrankung nach Stunden spricht für eine Aufnahme des Giftes über die Haut. Denn oral aufgenomme­n oder eingeatmet wirkt Nowitschok binnen Minuten.

Gift weggeworfe­n

Ermittler erhoffen sich nun vor allem neue Erkenntnis­se zum Anschlag auf Skripal. Diehöchste­Konzentrat­ionan Nowitschok war am Eingang zu Skripals Haus gefunden worden. Auch an anderen Orten in Salisbury wurden Spuren des Giftes entdeckt. Möglich wäre auch, dass die Attentäter nach dem Anschlag das Gefäß oder einen Behälter mit dem Gift einfach weggeworfe­n hätten.

Für möglich wird aber auch gehalten, dass die jetzt Erkrankten in eine zweite Giftration gerieten, die für den Fall bereit gehalten worden war, dass der Angriff auf Skripal scheitert, die dann aber einfach weggeworfe­n wurde. Unklar ist aber nach wie vor, ob das Nowitschok in beiden Vergiftung­sfällen aus derselben Produktion­sreihe stammt.

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