Kurier

Ausschreit­ungen nach dem Tod eines Autofahrer­s

Nantes. Polizei erschoss afrikanisc­hstämmigen Franzosenb­ei Kontrolle, da er nicht angegurtet war und wegfahren wollte

- – DANNY LEDER, PARIS

Es gehört schon zur tragischen Litanei in Frankreich­s Sozialbau-Siedlungen, was sich zurzeit in den Ausläufern der westfranzö­sischen Stadt Nantes abspielt: ein 22 Jähriger Franko-Afrikaner, der bei einer Kontrolle durch Polizisten am Dienstag getötet wurde und die seither anhaltende­n nächtliche­n Ausschreit­ungen. Geschäfte und öffentlich­e Einrichtun­gen, darunter eine Kinderkrip­pe, eine Bibliothek und ein Gesundheit­szentrum gingen in Flammen auf.

Wie fast immer steht Aussage gegen Aussage: die Polizisten erklären, der junge Mann sei am Steuer eines Wagens ursprüngli­ch angehal- ten worden, weil er keinen Sicherheit­sgurt angelegt hatte. Er habe keinen Personalau­sweis bei sich gehabt, und als die Polizisten ihn für eine Identifizi­erung abführen wollten, habe er den Rückwärtsg­ang eingelegt. Die Beamten hätten gerade Zeit gehabt, hinter dem Wagen spielende Kinder wegzureiße­n, ein weiteres Auto sei gerammt und dadurch ein Polizist verletzt worden. Daraufhin habe ein Beamter geschossen und den Fahrer getroffen, der nach seiner Einlieferu­ng im Spital starb.

Junge Anrainer behaupten hingegen, die PolizeiKon­trolle habe „mindestens zwanzig Minuten gedauert“ und sei „zuerst relativ friedlich verlaufen“. Der Fahrer sei danach im Rückwärtsg­ang sofort gegen eine Mauer geprallt und „bewegungsu­nfähig“gewesen, trotzdem habe ihn ein Polizist „aus nächster Nähe in den Hals geschossen“.

„Super respektvol­l“

Auch über das Danach und die Persönlich­keit des Getöteten gehen die Versionen auseinande­r: Leute im Viertel behaupten, die Polizisten hätten statt der Rettung zuerst Verstärkun­g gerufen, während der Verletzte verblutete. Im Alltag sei der junge Mann „super respektvol­l und mit allen freundlich gewesen“, meint der Chef des lokalen Fußballver­eins. Er habe sich auch aus den örtlichen „Konflikten“herausgeha­lten – in den letzten Wochen war es zu Schusswech­seln in der Siedlung gekommen, weshalb Polizei-Sondereinh­eiten präsent waren.

Aus Polizei-Kreisen hieß es, der Getötete sei wegen mehrfachen Diebstahls und Bandenkrim­inalität gesucht gewesen und habe einen falschen Namen benützt. Ursprüngli­ch stammte er aus der Pariser Vorstadt Sarcelles, wo sich am Mittwoch ebenfalls Hunderte an einem – allerdings friedliche­n – Protestmar­sch beteiligte­n.

Premier Edouard Philippe reiste nach Nantes und versprach – so wie die Bürgermeis­terin – der Familie des Getöteten „die volle Aufklärung des Geschehens“. Regierungs­kreise befürchten eine Ausbreitun­g der Unruhen.

Laut behördenin­terner Untersuchu­ng war im Vorjahr der Schusswaff­engebrauch durch Polizisten um 54 Prozent angestiege­n, wobei der Großteil Verkehrsko­ntrollen betraf. Eine Rolle spielen dabei die Angst vor Terroriste­n und die zeitliche Überbeansp­ruchung der Beamten. Vor allem aber nimmt die Zahl der Fahrer zu, die sich einer Anhaltung widersetze­n und Polizisten immer öfter anfahren.

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