Kurier

Das Vorfinale der Ochsentour

Affentheat­er und Mut zum Altern: So war das Stones-Konzert in Prag

- – THOMAS TRENKLER

Um 22.54 Uhr, exakt zwei Stunden nach Beginn, lagen sich die alten Haudegen, erlöst lachend, zur Verbeugung in den Armen. Sie hatten es wieder – und wieder einmal – bewiesen: dass sie liefern, was von ihnen erwartet wird. Nun, am Mittwoch in Prag, als vorletzter Station ihrer zweijährig­en „No Filter“Tournee, die am 8. Juli in Warschau enden wird.

Die Setlist hatte sich gegenüber der Show in Spielberg am 16. September 2017 nur geringfügi­g geändert: Die Rolling Stones begannen, wie kürzlich in Berlin, mit „Street Fighting Man“(statt mit „Sympathy for the Devil“), dann ging es im Best-ofProgramm weiter mit „It's Only Rock'n'Roll (But I Like It)“und „Tumbling Dice“. Bereits in Minute vier stürmte Mick Jagger den Catwalk entlang, der jubelnden Menge zu. Nach den exakt zwei Stunden wird seine FitnessApp an die elf Kilometer im raschen Schritt, gegen Ende sogar im Dauerlauf, registrier­t haben. Er wird wiederholt seine bekannten Posen eingenomme­n, seine flatternde­n Armbewegun­gen vollführt haben.

Und hinten, neben Schlagzeug­er Charlie Watts, werden die beiden Gitarriste­n Keith Richards und Ron Wood sich über das Affentheat­er von Mick Jagger amüsiert haben. Sie sind nun wieder ein Jahr älter geworden. Natürlich macht die Sache irgendwie Spaß, aber sie ist auch Arbeit, definitiv Knochenarb­eit. Keith Richards hechelt mit halb offenem Mund hinterdrei­n; das eine oder andere Mal ist er ganz verdutzt, dass die Band schon einen Takt weiter ist als er. Und der Beginn von „Before They Make Me Run“gerät dann auch ziemlich daneben.

Egal, denn Keith Richards ist der Liebling, keiner bekommt bei der Vorstellun­g mehr Applaus. Auch Ron Wood nicht, der wie bei der letzten Etappe des Radrennens quer durch Amerika schuftet. Mit 71 ist er der Jüngste. Und so hat er lässig seine Soli zu servieren. Aber die extreme Anspannung in seinem hageren Gesicht verrät: Er hat – neben Jagger – die Last zu schultern.

Die vier machen weiter Mut zum Altern. Und sie zeigen dies auch in monströsen Close-ups auf den VideowallT­ürmen. Das Nachlassen der Kräfte lässt sich nicht mehr leugnen. Charlie Watts, 77 geworden, wirkt mit eingezogen­er Unterlippe manchmal, als sei er zum Bingo-Spiel in den Tagesraum geschoben worden. Er klopft stoisch die Nummern runter. Die alten Nummern, wohlgemerk­t.

Kraftakt

Bei „Gimme Shelter“als erster Zugabe hat Mick Jagger im Duett mit Background­sängerin Sasha Allen an der Rampe so etwas wie Sex. Aber die mäandernde­n Adern seitlich der Stirn zeugen vom übermensch­lichen Kraftakt. Zuvor hatte sich Jagger einen Fauxpas geleistet. Denn er attestiert­e den Fans in Prag, ein „Super-Publikum“zu sein – auf Deutsch. Das machte alle seine Frohbotsch­aften in holprigem Tschechisc­h zunichte. Aber man verzieh ihm – und sang nicht nur bei „(I Can't Get No) Satisfacti­on“inbrünstig mit. Draußen, vor dem Areal, war ein Prediger gestanden. Seine These lautete, wenn man keine Befriedigu­ng kriegen könne: „You need Jesus.“Den Stones gelang es, ihre Zuhörer zumindest zu befrieden. Artig wanderten sie nach dem „Feuerwerk“, das nicht mehr war als Funkensprü­hen, zur U-Bahn-Station.

KURIER-Wertung: ★★★★★

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Die Stones in Nahaufnahm­en auf den Videowall-Türmen

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