Er setzte ein spätes Grabmal
„Shoa“-Regisseur Claude Lanzmann ist gestorben.
Warum seine Autobiografie „Der patagonische Hase“heißt? „Weil ich ein Angsthase bin“, sagte Claude Lanzmann, der für „Shoa“zwölf Jahre damit zugebracht hat, mit Opfern, Tätern und Beobachtern über den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust zu reden.
Er wollte einerseits „die Lüge sichtbar machen“und andererseits „den Heroismus zeigen“. Etwa im Film „Sobibor, 14. Oktober 1943, 16 Uhr“(2001), der vom einzigen erfolgreichen Aufstand handelt, der je in einem NS-Vernichtungslager stattgefunden hat.
„Shoa“, die neunstündige Film-Dokumentation von 1985 über den NS-Völkermord auf der Basis von 350 Interview-Stunden, hat ihn weltberühmt gemacht. „Mein Film soll ein Grabmal für die Ermordeten sein, das sie in der Wirklichkeit nie bekamen“, sagte Lanzmann, der vollständig auf Archiv- material verzichtete und nur Zeitzeugen zu Wort kommen ließ. Am Donnerstag ist der französische Journalist und Filmemacher mit 92 Jahren in Paris gestorben.
Während des Zweiten Weltkrieges kämpfte der Sohn eines Dekorateurs, dessen Großeltern jüdische Immigranten aus Osteuropa waren, in der französischen Résistance gegen die deutsche Besatzungsmacht, studierte nach dem Krieg Philosophie und schrieb viele Jahre für die Zeitung FranceSoir und Magazine wie Paris Match und Elle.
Lebenswerk „Shoa“
Er zählte zum engen Freundeskreis um den existenzialistischen Philosophen JeanPaul Sartre und dessen Lebensgefährtin Simone de Beauvoir. Die Berlinale-Jury, die Lanzmann 2013 den Goldenen Ehrenbären für sein Lebenswerk verlieh, würdigte „Shoah“als „epochales Meisterwerk der Erinnerungskultur“.
„Verstehen“wollte Lanzmann die Shoah nicht, da jeder Versuch einer Erklärung aus historischen Bedingungen„vollkommen unbefriedigend“sei. Auch war er der Meinung, dass keinefi kt ionalisierte Darstellung–etwa Stephen Spielbergs Film „Schindlers Liste“(1993) – dem unfassbaren Grauen des Völkermordes gerecht werde.
Lanzmanns Doku „Der Letzte der Ungerechten“(2013) war dem 1989 gestorbenen österreichischen Rabbiner Benjamin Murmelstein gewidmet, der in der NS-Zeit Schlüsselämter der jüdischen Selbstverwaltung in Wien und im KZ Theresienstadt bekleidete und dabei mit dem S S- Ober sturm bann führer Adolf Eich mann zusammenarbeiten musste.
Eine Sammlung von Reportagen, Porträts und weiterenTexten, die L anz mann seit 1947 geschrieben und publiziert hat, ist unter dem Titel „Das Grab des göttlichen Tauchers“(2015) erschienen.