Kurier

An der Schwelle zur Auflösung

Ausstellun­gen zur Sammlung Hubert Looser und zu Eva Schlegel halten Übergänge fest

- VON MICHAEL HUBER

Was bleibt, wenn man selbst nicht mehr da ist? Das Verlangen, Spuren zu hinterlass­en, hegen jene, die Stift oder Pinsel übers Papier führen, genauso wie jene, die diese Erzeugniss­e sammeln: Man weiß, das alles irgendwann verblasst, und doch hält man die Welt fest, hält sich an der Welt fest.

Der Kunsthalle Krems gelingt es mit ihren aktuellen Ausstellun­gen,denSchwebe­zustand zwischen dem Bewahren und Verwischen von Spuren fühlbar zu machen. Es ist ein ruhiger, etwas melancholi­scher Parcours, in dem zwei ganz unterschie­dliche Präsentati­onen überrasche­nd gut harmoniere­n.

Den Kern des Programms bildet die Ausstellun­g von Skulpturen und Arbeiten auf Papier aus der Sammlung des Schweizers HubertLoos­er.DieKollekt­ion ist selbst in einem Zwischenst­adium, nicht mehr ganz privat und noch nicht museal: Ab 2020 soll sie dauerhaft in einem neuen Zubau des Kunsthause­s Zürich ihren Platz finden. Kunsthalle­n-Direktor Florian Steininger ist seit zehn Jahren mit Loosers Sammlung vertraut, 2012 hatte er sie bereits im Bank Austria Kunstforum gezeigt.

Keine Best-of-Parade

Auch wenn nun in Krems die Namen „Picasso – Gorky – Warhol“im Titel prangen, nimmt die Präsentati­on doch eine ganz andere Form als die einer Best-of-Parade an. Von Andy Warhol sind nur zwei filigrane Zeichnunge­n zu sehen, eine davon zeigt Mao Tse-tung. Daneben legt ein abgerieben­es Relief aus der kambodscha­nischen Tempelanla­ge Angkor Wat eine Spur in die Sammlerbio­grafie: Looser, der das Ang- kor-Bild 1962 als Souvenir erwarb, unterstütz­t auch humanitäre Projekte in Asien.

Asiatisch-zurückhalt­end mutet dann auch die gesamte Schau an: Steininger hat bei der Auswahl auf das Thema „Linie“fokussiert. Und auch wenn das Gros der gezeigten Arbeiten von Künstlerin­nen und Künstlern aus den USA, der Schweiz und Frankreich stammt, hat doch fast alles, was Looser auf Papier sammelte, kalligrafi­sche Qualität.

Cy Twombly ist mit seinen obsessiven Strichen ebenso vertreten wie Arnulf Rainer, Giuseppe Penone mit seinen Bandfigure­n ebenso wie Brice Marden mit seinen Liniengefl­echten und Jasper Johns mit Schraffurb­ildern. Die Skulptur-Schleifen von Al Taylor und Bernar Venet oder Picassos Porträtkop­f „Sylvette“sind als Zeichnunge­n im Raum zu verstehen.

Automatisi­ert

Kunsthisto­risch lässt sich Loosers Sammelinte­resse aus dem Surrealism­us herleiten. Die Idee des „automatisc­hen Schreibens“(„écriture automatiqu­e“) wurde in dieser Strömung als Weg zu tieferen, nicht-bewussten Wahrheiten gepriesen; spätere Künstler von Willem de Kooning bis Arnulf Rainer bauten darauf auf. Eine Art des „automatisc­hen Schreibens“ist aber auch die Fotografie, und hier kommen Eva Schlegels Arbeiten ins Spiel.

Im Aufgang zur LooserScha­u sind unter dem Titel „Spaces“Ansichten von Räumen – darunter auch der Säulengang der Kunsthalle – versammelt; Schlegel hat sie in ihrer typischen Art „verunklärt“: Die Bilder sind nicht mehr Abbildunge­n und noch nicht Abstraktio­nen, sie verharren in einem Zwischenst­adium. Schlegel ließ auch Schrift auf diese Art verschwimm­en: Seit 1998 ziert so ein Werk in der Kunsthalle eine Glaswand, die nun den Blick auf Filmprojek­tionen der Künstlerin freigibt.

Nicht fest, nicht f lüssig

Wenn Kunst verschiede­ne Aggregatsz­ustände menschlich­en Denkens und Daseins erfassen kann, so zeigen beide Ausstellun­gen Übergangsf­ormen. In der Looser-Sammlung ist aber das Ideal des modernen Menschen, der sich selbstbewu­sst neu erfindet, klar greifbar; die Kunst selbst mag einst als „Gekritzel“verunglimp­ft worden sein, heute ist sie historisch.

In Schlegels Welt ist der moderne Mensch dagegen in Auflösung begriffen. Das zeigt nicht zuletzt die Installati­on, die die Künstlerin in der Dominikane­rkirche schuf: Mit übereinand­er geschichte­ten Spiegeln entstehen dort Endlos-Räume, die den Betrachter­innen und Betrachter­n buchstäbli­ch den Boden unter den Füßen wegziehen. Ein Pavillon verteilt dazu fragmentie­rte Spiegelbil­der in alle Richtungen.

Wir hinterlass­en hier keine Spuren mehr, nur flüchtige Bilder unserer Selbst.

 ??  ?? Eva Schlegel zeigt verunklärt­e Raumansich­ten, hier das Innere der Kunsthalle selbst: Ohne Titel, 2017
Eva Schlegel zeigt verunklärt­e Raumansich­ten, hier das Innere der Kunsthalle selbst: Ohne Titel, 2017
 ??  ?? Malen heißt Spuren hinterlass­en: Fabienne Verdier, Walking/Painting (2018), Sammlung Hubert Looser
Malen heißt Spuren hinterlass­en: Fabienne Verdier, Walking/Painting (2018), Sammlung Hubert Looser

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