Arthur Schnitzlers „Das Vermächtnis“: Triumph der Schauspieler über das Stück
Kritik. Arthur Schnitzler und die Festspiele Reichenau – diese Kombination sorgte in der inzwischen 30-jährigen Festivalgeschichte schon oft für Sternstunden. Und auch heuer geht diese Rechnung wieder auf. Und das, obwohl mit dem 1898 entstandenen Schauspiel „Das Vermächtnis“sicher nicht das beste Schnitzler-Stück auf dem Spielplan steht.
Worum geht es? Um die großbürgerliche Familie Losatti, die im Wien der Jahrhundertwende eine hohe soziale Stellung bekleidet. Immerhin ist Professor Adolf Losatti Abgeordneter im Parlament und hält sich noch dazu für einen Paradeliberalen.
Das Versprechen
Doch ein Reitunfall seines Sohnes Hugo (David Jakob) ändert alles. Noch auf dem Sterbebett nimmt Hugo seiner Familie das Versprechen ab, seine bis dato verschwiegene Geliebte Toni Weber samt dem gemeinsamen vierjährigen Sohn bei sich aufzunehmen. Und da ja alle so li- beral sind, wird dieses Versprechen auch gehalten. Vorerst. Denn als das Kind stirbt, ist es mit der Toleranz vorbei. Toni muss gehen ...
Es ist die große Kunst von Schnitzler, auch hier ein Menschenpanorama entworfen zu haben, das bestimmte Typen (im „Vermächtnis“ist der emporgekommene Hausarzt und potenzielle Schwiegersohn der Hauptgegenspieler Tonis) karikiert. Wobei aber nicht alle Charaktere von gleicher Güte gezeichnet sind.
Die Überhöhung
Und es ist fast die noch größere Kunst einiger Darsteller, aus diesem theatralischen Rohdiamanten fast einen geschliffenen Edelstein zu formen. Joseph Lorenz etwa ist dafür ein perfektes Beispiel. Wie Lorenz als Professor Losatti selbstherrlich schwadroniert, sich in seiner eigenen Genialität suhlt und seine Figur sogar humoristisch überhöht, ist Weltklasse. Dass Lorenz auch den SchnitzlerTonfall perfekt beherrscht, ist ja ohnehin kein Geheimnis.
Gleiches gilt für Regina Fritsch als Losattis duldende, wahrhaft mitfühlende Frau Betty. Auch Fritsch zelebriert virtuos sprachliche Nuancen, findet zu einem starken Frauenporträt. Stark ist auch Stefanie Dvorak als Bettys Schwägerin Emma. Dvorak spielt diese gegen die Scheinmoral ankämpfende Emma mit geradezu hinreißender Verve.
Die Konsequenz
Als Losattis Tochter Franziska brilliert Johanna Prosl mit einer eigenständigen Natürlichkeit; als Emmas Tochter Agnes wandelt sich Alina Fritsch exzellent vom Backfisch zur desillusionierten Frau. Als sehr jung besetzter Arzt Dr. Schmidt darf Dominik Raneburger der böse Quertreiber sein; René Peckl und Peter Moucka wirken mit. Und Nanette Waidmann als Toni demonstriert in Hermann Beils subtiler Regie und Peter Loidolts Salonbühnenbild hervorragend, dass Schnitzler stets von den Darstellern lebt.
KURIER-Wertung: ★★★★