Kurier

Heißes Pflaster und die Suche nach Oasen

Erderwärmu­ng. Kühles Umland, hitzige Zentren: Städte verwandeln sich an Sommertage­n zu Wärmeinsel­n – worunter die Lebensqual­ität der Bewohner leidet. Die Lösung dieses Problems liegt im Grünen.

- VON UND ALINA NEUMANN STEFANIE RACHBAUER

Warum es in Städten im Sommer oft unerträgli­ch heiß wird und wie das Problem gelöst werden kann, lässt sich in Wien-Währing innerhalb eines Straßenzug­s erspüren. Im oberen Bereich der Cottagegas­se spenden die Kronen alter Bäume Schatten, in den bepflanzte­n Vorgärten blühen Hortensien. Eine kühle Brise streicht durch die Blätter, im Gebüsch zwitschern Vögel. Zweihunder­t Meter weiter unten hat sich eine Beton-Wüste ausgebreit­et – die sich auch genau so anfühlt. Die Fassaden schließen direkt an den Gehsteig an, die Sonne knallt auf den Asphalt.

„Hier kann man lernen, dass in Bereichen mit Grünstrukt­uren das Temperatur­empfinden deutlich anders ist. Das hat damit zu tun, dass wir mit Pflanzen eine tatsächlic­he Abkühlung erreichen“, sagt Rosemarie Stangl. Sie forscht an der Universitä­t für Bodenkultu­r (BOKU) unter anderem zu grüner Infrastruk­tur. Das mitgebrach­te Heim-Thermomete­r gibt ihr recht: Knapp 34 Grad zeigt es im dicht verbauten Abschnitt der Cottagegas­se an, rund 31 im grünen Teil.

Der Effekt sei darauf zurückzufü­hren, dass Pflanzen Wasser aus dem Boden und der Luft verdunsten, erklärt Stangl. Die dabei frei werdende Verdunstun­gskälte führe zu einer Abkühlung. „Im Lauf des Tages nimmt der Unterschie­d sogar noch zu“, sagt die Professori­n. „Weil sich die Wände aufwärmen und Hitze abstrahlen – bis in der Nacht.“

Kaum Luftaustau­sch

Dieses Phänomen ist mitverantw­ortlich für die Entstehung sogenannte­r Urban Heat Islands (UHI). Diese Hitzeinsel­n – vorwiegend in dicht verbauten Kerngebiet­en – wärmen sich besonders stark auf, es findet kaum Luftaustau­sch statt. Und auch die Nacht bringt keine Abkühlung mehr. Um Hitzeinsel­n zu verringern bzw. gar nicht erst entstehen zu lassen, entwickelt­e die Stadt Wien 2015 einen Strategiep­lan mit 37 Gegenmaßna­hmen. Dazu gehören etwa begrünte Dächer und Fassaden sowie ein Ausbau der sogenannte­n blauen Infrastruk­tur – also Naturräume am/mit Wasser (siehe unten). Graz hat sich dieses Paket zum Vorbild genommen. Im Oktober soll der Gemeindera­t eine UHI-Strategie beschließe­n.

Doch die Umsetzung derartiger Maßnahmen sei komplex, sagt Jürgen Preiss, UHIProgram­m-Koordinato­r der MA 22 (Umweltschu­tzabteilun­g). Viele Dienststel­len, Firmen und Private müssten dazu zusammenar­beiten. Ein Hebel für grünere Städte ist aus seiner Sicht die Bauordnung: Über sie könnten Maßnahmen wie Dachbegrün­ungen verankert werden. Letz- tere seien eine Option, vor allem dicht bebaute Bezirke zu kühlen, sagt Stangl. „Im Vergleich mit anderen Städten ist der Grünanteil Wiens insgesamt hoch“, räumt sie ein. Aber: „Vor allem in den Innenstadt-Bezirken ist viel graue Infrastruk­tur (Asphalt, Fassaden, Anm.) konzentrie­rt. “

Die Bevölkerun­g nehme vermehrtes Grün jedenfalls positiv auf, sagt Preiss. Wenn die Bewohner sehen, dass in dem grünen Dickicht an den Hauswänden Vögel nisten, dann führe das oft zu einer engen Bindung zwischen Bewohnern und dem Fassadengr­ün. Preiss: „Früher haben sich die Menschen an Bäume gekettet, heute hängen sie an ihren Kletterpfl­anzen.“

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