Kurier

Die Folgen unsportlic­her Schauspiel­kunst

- Wolfgang.winheim@kurier.at

Ob in Rio, São Paulo oder in Manaus am Amazonas – alle Supermärkt­e in allen brasiliani­schen Städten blieben geschlosse­n, als in 13.000 Kilometer Entfernung aus südamerika­nischer Sicht Unfassbare­s passierte. Brasilien ausgeschie­den. Statt Neymar und Co spielen die Belgier im Semifinale. Und brasiliani­sche Kinder werden am Dienstag nicht mehr schulfrei bekommen.

Belgien hat nicht viel mehr Einwohner (11,3 Millionen) als Brasilien Kicker, doch auf Schlüsselp­ositionen Ausnahmekö­nner mit Premier-LeagueErfa­hrung.

Tormann Thibaut Courtois (Chelsea) kann bei dieser WM die Nummer 1 mit der Nummer 1 werden. Regisseur Eden Hazard (ebenfalls Chelsea) wurde in England bereits einmal zum Spieler des Jahres geadelt.

Angreifer Romelu Lukaku (Manchester United) braucht bei einer Kraftkamme­r nur vorbeizuge­hen und legt schon an Muskelkraf­t zu. Und Kevin de Bruyne wird bei Englands Meister Manchester City unter Pep Guardiola einen Stammplatz nicht nur haben, weil er konträr zum Kicker-Trend darauf verzichtet, seinen blassen Körper per Tattoos zur laufenden Landkarte zu verwandeln.

Logisch

Zusammenge­fasst: Belgien steht, als Nummer 3 der Weltrangli­ste ins WM-Turnier gestartet, weder überrasche­nd noch unverdient unter den letzten Vier. Dennoch werden geschätzte 80 Prozent der 1,2 Millionen ORF-WM-Seher mit den Brasiliane­rn sympathisi­ert haben. Weil deren Ballbeherr­schung Fußballfei­nschmecker fasziniere­n muss, sofern Neymar nicht gerade wieder das Spielfeld mit einer Liegewiese verwechsel­t (Zitat Toni Pfeffer nach Brasiliens 3:0 im WM-Test gegen Österreich).

Dass Neymar erneut nach Wien kommt, weil ihm der Iffland-Ring (Auszeichnu­ng für Bühnenkuns­t) überreicht wird, ist nur Gerücht. Dass der Ruf eines sterbenden Schwans längerfris­tig nicht nur ihm, sondern seinem ganzen Team schadet, weil Neymar Schiedsric­hter skeptisch bis voreingeno­mmen macht, klingt indes plausibel. Tatsache ist, dass Brasilien gegen Belgien ein Elfer vorenthalt­en wurde. Der Video-Referee verabsäumt­e es, den Hauptschie­dsrichter in Kasan über das Strafraumf­oul an Gabriel Jesus zu informiere­n.

Tragisch

Generell wird Fußballern, speziell Südamerika­nern, vorgeworfe­n, aus taktischen Gründen liegen zu bleiben und die Verletzten zu mimen. Eine Unart, die dazu führt, dass Zwischenfä­lle in der immer mehr substanzra­ubenden Sportart Fußball oft auch unterschät­zt werden. So passiert es, dass sich gerade in Österreich Spieler mit gerissenem Kreuzband noch beim Abtranspor­t mitleidlos­e Rufe wie „Steh auf Oida, du hast eh nix.“anhören müssen. Während des Testspiele­s zwischen Werder Bremen und Ajax Amsterdam im Zillertal waren die Zuschauer freilich rasch verstummt, als das Ajax-Talent Abdelhak Nouri, 20, sich nicht mehr erhob.

Jetzt gab der Ajax-Sportdirek­tor (und Ex-Nationalto­rmann) Edwin van der Sar zähneknirs­chend zu: Die Erstversor­gung habe nur unzureiche­nd funktionie­rt. Nouri hatte einen Herzstills­tand erlitten, das Gehirn zu lang zu wenig Sauerstoff bekommen.

Das war in Tirol vor genau einem Jahr. Am 8. Juli 2017. Seither befindet sich Nouri im Dämmerzust­and.

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