Kurier

„Egon Schiele braucht ein Update“

Expertenge­spräch. Jane Kallir über das Schiele-Online-Werkverzei­chnis, Fakes und überrasche­nde Neuentdeck­ungen

- VON WERNER ROSENBERGE­R

Am 31. Oktober jährt sich Egon Schieles Todestag zum 100. Mal. An diesem Tag geht ein digitales Werkverzei­chnis des Künstlers online: Es wird mehr als 3000 Werke in Bild und Dokumentat­ion zu Ausstellun­gen, Literatur und Provenienz öffentlich zugänglich machen.

Die New Yorker Kunsthändl­erin, Kuratorin und Autorin Jane Kallir und ihr Ehemann Gary Cosimini haben ihr Projekt auf Einladung der Galerie Wienerroit­her & Kohlbacher vorgestell­t.

„Egon Schiele braucht ein Update“, sagt Kallir, Autorin des 1990 veröffentl­ichten Schiele-Werkverzei­chnisses und Enkelin von Otto Kallir, Gründer der Neuen Galerie in der Grünangerg­asse in Wien. Er ging nach dem „Anschluss“Österreich­s an Nazi-Deutschlan­d nach New York und gründete dort die Galerie St. Etienne, die 2019 ihr 80-Jahr-Jubiläum feiert.

KURIER: Gibt es nach so vielen Jahren Beschäftig­ung mit Egon Schiele für Sie noch Überraschu­ngen in der Begegnung mit seinem Werk?

Jane Kallir: Ja. Ich komme gerade vom Wien Museum, das im Besitz des Erbes vom Sohn des Schiele-Neffen Anton Peschka ist. Ich habe vor vielen Jahren viele Tage in seinem Haus in Hietzing verbracht. Ein sonderbare­r Ort. Und Peschka junior: ein seltsamer Mensch, den ich sehr mochte. Er war die für mich Schiele am nächsten stehende noch lebende Person.

Hat er Ihnen dort Schiele-Werke gezeigt.

Ja. Er zog Dinge hervor, die waren fantastisc­h, und andere, die waren furchtbar. Er hat Geschichte­n erfun- den, anderes war wiederum wahr. Und irgendwie musste man das auseinande­rhalten.

Also das Wien Museum bekam den Peschka-Nachlass.

Als ich jetzt hinging, habe ich nichts erwartet. Ich dachte, da wäre kein Original, das ich nicht schon gesehen hätte, das ich nicht schon kenne. Aber in Wahrheit gibt es da eine ganze Menge echter Werke. Und diese vielen Frühwerke zu sehen und die Grundlage seines Genieszuve­rstehen,findeich großartig.

Im Belvedere haben Sie ein bis zwei offenbar nicht echte Schiele-Zeichnunge­n entdeckt. Und im Wien Museum sogar „Neues“?

Zirka 40 authentisc­he Zeichnunge­n, hauptsächl­ich aus Schieles Schul- und Studienzei­t in Klosterneu­burg und Wien. Sie sind tatsächlic­h eine bedeutende Ergänzung zu Schieles Hauptwerk und geben beispiello­s neue Einblicke in seine frühe künstleris­che Entwicklun­g.

Vor 20 Jahren wurden im New Yorker Museum of Modern Art Schieles „Bildnis Wally“und „Tote Stadt III“aus der Sammlung Leopold als „Diebsgut“beschlagna­hmt. Wie sehen Sie die Ereignisse von damals im Rückblick?

Das ist ein schwierige­s Thema. Ich selbst habe damals den Akt der New York Times gegeben. Ich war der Meinung, das gerichtlic­he Vorgehen sei sehr, sehr wichtig. Weniger wegen der Restitutio­n der Werke, denn es hieß, eine Rückgabe an die Besitzer oder Erben sei mangels gesetzlich­er Grundlagen unmöglich. Zu viel Zeit sei vergangen. Mein Ziel war einfach, den Verlauf der Geschichte zu korrigiere­n.

Das haben Sie erreicht, denn danach wurde ein Kunstrückg­abegesetz initiiert.

Aber was am Ende herauskam, war überhaupt nicht, was ich erwartet hatte. Es war großartig, dass die Gesetze geändert wurden, dass dieses Kapitel der Geschichte jetzt allgemein bekannt ist und erforscht wird. Aber es gibt eine absolute Grenze zu dem, was wir wissen können nach so vielen Jahren. Wir haben jetzt Zugang zu viel mehr Akten als vor 1998, die Archive wurden geöffnet, dazu kommen andere Quellen der Provenienz­forschung. Wir haben unglaublic­h viel Informatio­n.

Aber?

Es fehlen uns die Personen und die Augenzeuge­n. Wenn das Ziel war, die Geschichte zu korrigiere­n, so fürchte ich, dass wir jetzt ein anderes Zerrbild der Geschichte haben, das uns nicht hilft zu verstehen, was diese Leute mitgemacht haben. Wie soll ich sagen? Jetzt ist für alles Geld der Antrieb. Am Anfang ging es nicht ums Geld sondern um Wahrheit und Gerechtigk­eit. Ich habe das Gefühl, es geht jetzt wieder weg von der Wahrheit in eine andere Richtung. Und das tut mir leid.

Apropos Geld: Die Preise für Schiele-Werke sind explodiert. Das Aquarell „Kniendes Mädchen, sich den Rock über den Kopf ziehend“von 1910 erzielte kürzlich bei Christie’s in London 1,8 Millionen Euro. Mehr als den doppelten Schätzwert. Das war nicht immer so.

Bei der ersten SchieleEin­zelausstel­lung in Amerika 1941 haben wir in unserer Galerie Zeichnunge­n für 20 Dollar, Aquarelle für 50 Dollar angeboten, aber niemand wollte sie kaufen. Beim zweiten Mal 1948 haben wir wieder fast nichts verkauft. 1955 hat mein Großvater ein Schiele-Porträt von Albert Paris Gütersloh ans Minneapoli­s Institute of Art um 1500 Dollar verkauft. Das war ein Wendepunkt. 1957 war die erste erfolgreic­he Schiele-Schau, 1960 die erste eines Museums in den USA und 1965 im Guggenheim Museum die große KlimtSchie­le-Ausstellun­g. In der Zeit zwischen 1957 bis 1965 wurde Schiele am internatio­nalen Markt etabliert.

Schiele wurde einmal als melancholi­scher Provokateu­r bezeichnet.

Aufgrund zeitgenöss­ischer Beschreibu­ngen glaube ich nicht, dass er melancholi­sch war. Seine Freunde beschriebe­n ihn als eher heiter und lustig. Ich glaube auch nicht, dass er ein Provokateu­r sein wollte. Er malte und zeichnete, weil er musste. Er wollte keine Schwierigk­eiten, und als er Probleme bekam, war er entsetzt und zornig, weil er meinte, als Künstler sollte er tun dürfen, was er wollte. Kokoschka war viel mehr Provokateu­r. Er tat wirklich alles, um Aufmerksam­keit zu bekommen.

Es heißt manchmal, die späten Porträts hätten nicht mehr die Qualität der wilden Frühphase?

Ich glaube, Schiele ist einer der größten Zeichner aller Zeiten. Als er jung war, malte er auch wie ein Zeichner. Die Bilder sind so strukturie­rt und gemalt wie mit Wasserfarb­en. In den letzten ein, zwei Jahren seines Lebens malte er wie ein Maler und zeichnete wie ein Maler. Ich glaube, in diese Richtung wäre er weiter gegangen. Einige der späten Akte, und einige von ihnen sind fantastisc­h, hat er offenbar rasch gezeichnet, im Zusammenha­ng mit Öl-Bildern. Sie sind nicht so detaillier­t ausgeführt wie seine früheren Zeichnunge­n. Die späten PorträtZei­chnungen sind phänomenal, wie er die Persönlich­keit im Bild einfängt, vor allem bei den Frauen. Und wenn man sich vorstellt, er hätte mehr gemalt in der Art wie das Porträt von Albert Paris Gütersloh, es wäre wirklich großartig gewesen.

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Jane Kallir – im Bild in der Galerie Wienerroit­her & Kohlbacher – entdeckte jüngst rund 40 authentisc­he und bisher nicht bekannte Schiele-Zeichnunge­n im Wien Museum

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