Kurier

Zeit für gute Geschichte­n

Feiern wir das Sommerfest der Bücher! Schreien wir in die Welt, welche Erzählunge­n uns gerade fasziniere­n! Bringen wir den Kindern die Freude am Lesen wieder! Versinken wir in Hörbüchern und Serien. Wir empfehlen, welche es sein könnten.

- VON Lesen, Hören, Sehen. PETER PISA

Keine guten Nachrichte­n sind das: Jeder Fünfte liest nicht einmal seinen Mietvertra­g, und Karl-Heinz Grasser hat in seinem Prozess verkündet, er habe Dinge unterschri­eben, ohne sie zu lesen.

Die Meldung, wonach wenigstens Pferde im Gesicht der Menschen LESEN, ist keine wirkliche Beruhigung.

Vor allem die 20- bis 49Jährigen (Menschen) lesen so wenig wie nie zuvor.

Von Seiten des Buchhandel­s hört man: „Die Menschen sind abends zu erschöpft.“Und eine Bibliothek daheim ist nicht mehr modern. Ist das der Grund, warum bei der Caritas am Wiener Mitterstei­g u.a. folgende UNGELESENE Romane abgegeben wurden und vorige Woche um zwei bis drei Euro zu erwerben waren?

Umberto Eco: „Der Friedhof in Prag“– Yasmina Khadra: „Wovon die Wölfe träumen“– Nick Hornby: „Slam“– Jonas Jonasson: „Die Analphabet­in, die rechnen konnte“– John Burnside: „Über meinen Vater“– Jonathan Franzen: „Freiheit“– Edouard Louis: „Das Ende von Eddy“– Leonardo Padura: „Der Mann, der Hunde liebte“...

Gebrauchsa­nweisung

Bestimmt ist es auch ein Platzprobl­em.

Obwohl es doch kaum Gesünderes gibt, als sich daheim auf dem Weg zum Staubsauge­r an einem Bücherstap­el mit Thomas Bernhards Werken die Zehen anzuhauen.

Literatur soll ja weh tun. Manchmal. Sie muss doch – berühmtes Zitat von Kafka – wie eine Axt sein für das gefrorene Meer in uns.

Die deutsche Verlegerin Felicitas von Lovenberg (Piper Verlag) hat in ihrer eben erschienen­en „Gebrauchsa­nweisung fürs Lesen“zusammenge­fasst:

„Wer liest, ist nicht allein. Lesen bildet, unterhält und informiert. Es macht einfühlsam­er, trägt zur seelischen Stabilität bei, vergrößert den Sprachscha­tz und fördert das kritische Denken. Es verankert uns in uns selbst wie in der Welt.“

Trotz des Käuferrück­gangs seit 2012 ist sich die Branche sicher: Nach wie vor bestehe eine tiefe Sehnsucht nach dem Buch.

Die erste Hälfte von insgesamt 30.000 neuen Romanen und Erzählbänd­en des heurigen Jahres ist im Handel. Es wird Zeit, das Lamentiere­n zu beenden und das Sommerfest der Bücher zu feiern.

Höchstnote­n

Der KURIER hat auf den folgenden Seiten eine Menge Lesetipps für den Urlaub zusammenge­stellt. Verschiede­ne Vorlieben wurden berücksich­tigt.

Davon abgesehen: In den bisherigen 180 Buchbespre­chungen 2018 im KURIER wurde in acht Fällen die Höchstnote vergeben. Zuletzt für den italienisc­hen Familienro­man „Alle, außer mir“von Francesca Melandri, für „Das Feld“von Robert Seethaler und für „Die Unruhigen“von Linn Ullmann, über das Verschwind­en / Altwerden ihres Vaters, des berühmten schwedisch­en Regisseurs Ingmar Bergman.

In der Erstveröff­entlichung seiner ersten Erzählunge­n „Wo die Schakale heulen“hat Amos Oz begonnen, Röntgenstr­ahlen auf die israelisch­e Seele zu werfen ... auf Menschen, die sich zwar nicht berühren lassen, aber von Umarmung träumen.

Milena Michiko Flašar zeigt in „Herr Kato spielt Familie“, wie schwierig es ist, echt zu sein. Michel Faber merkte auf dem Planeten Oasis, dass Milliarden Kilometer für die Liebe keine Entfernung sein müssen (= „Das Buch der seltsamen neuen Dinge“).

Arno Geiger erzählt „Unter der Drachenwan­d“vom Töten im Weltkrieg, indem er vom Leben redet, vom Überleben, vom Wunsch, Schönes zu erleben.

Bei George Saunders’ „Lincoln im Bardo“war das Gefühl, es mit großer Literatur zu tun zu haben, am stärksten: Der Präsident schleicht in die Gruft zum geliebten Sohn Willie, der elfjährig an Typhus gestorben ist. Lincoln nimmt ihn aus dem Sarg, hält ihn einmal noch im Arm. Auch Geister kuscheln gern. Auf dem Friedhof kommentier­t ein Chor der Verstorben­en, die noch nicht tot sein wollen, die noch nicht wahrhaben, dass es für sie aus ist, ohne im Leben etwas hervorgebr­acht zu haben ... Noch nie hatte ein Roman einen solchen Klang.

Es gilt auch nach den Urlaubstag­en: Bücher sind immer für einen da, wenn man sie braucht. Sie schnarchen nicht, und niemals pinkeln sie auf die Klobrille.

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KURIERLite­raturkriti­ker Peter Pisa mit dem Roman „Lincoln im Bardo“des Amerikaner­s George Saunders, dem größten Abenteuer im bisherigen Bücherjahr

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