Zeit für gute Geschichten
Feiern wir das Sommerfest der Bücher! Schreien wir in die Welt, welche Erzählungen uns gerade faszinieren! Bringen wir den Kindern die Freude am Lesen wieder! Versinken wir in Hörbüchern und Serien. Wir empfehlen, welche es sein könnten.
Keine guten Nachrichten sind das: Jeder Fünfte liest nicht einmal seinen Mietvertrag, und Karl-Heinz Grasser hat in seinem Prozess verkündet, er habe Dinge unterschrieben, ohne sie zu lesen.
Die Meldung, wonach wenigstens Pferde im Gesicht der Menschen LESEN, ist keine wirkliche Beruhigung.
Vor allem die 20- bis 49Jährigen (Menschen) lesen so wenig wie nie zuvor.
Von Seiten des Buchhandels hört man: „Die Menschen sind abends zu erschöpft.“Und eine Bibliothek daheim ist nicht mehr modern. Ist das der Grund, warum bei der Caritas am Wiener Mittersteig u.a. folgende UNGELESENE Romane abgegeben wurden und vorige Woche um zwei bis drei Euro zu erwerben waren?
Umberto Eco: „Der Friedhof in Prag“– Yasmina Khadra: „Wovon die Wölfe träumen“– Nick Hornby: „Slam“– Jonas Jonasson: „Die Analphabetin, die rechnen konnte“– John Burnside: „Über meinen Vater“– Jonathan Franzen: „Freiheit“– Edouard Louis: „Das Ende von Eddy“– Leonardo Padura: „Der Mann, der Hunde liebte“...
Gebrauchsanweisung
Bestimmt ist es auch ein Platzproblem.
Obwohl es doch kaum Gesünderes gibt, als sich daheim auf dem Weg zum Staubsauger an einem Bücherstapel mit Thomas Bernhards Werken die Zehen anzuhauen.
Literatur soll ja weh tun. Manchmal. Sie muss doch – berühmtes Zitat von Kafka – wie eine Axt sein für das gefrorene Meer in uns.
Die deutsche Verlegerin Felicitas von Lovenberg (Piper Verlag) hat in ihrer eben erschienenen „Gebrauchsanweisung fürs Lesen“zusammengefasst:
„Wer liest, ist nicht allein. Lesen bildet, unterhält und informiert. Es macht einfühlsamer, trägt zur seelischen Stabilität bei, vergrößert den Sprachschatz und fördert das kritische Denken. Es verankert uns in uns selbst wie in der Welt.“
Trotz des Käuferrückgangs seit 2012 ist sich die Branche sicher: Nach wie vor bestehe eine tiefe Sehnsucht nach dem Buch.
Die erste Hälfte von insgesamt 30.000 neuen Romanen und Erzählbänden des heurigen Jahres ist im Handel. Es wird Zeit, das Lamentieren zu beenden und das Sommerfest der Bücher zu feiern.
Höchstnoten
Der KURIER hat auf den folgenden Seiten eine Menge Lesetipps für den Urlaub zusammengestellt. Verschiedene Vorlieben wurden berücksichtigt.
Davon abgesehen: In den bisherigen 180 Buchbesprechungen 2018 im KURIER wurde in acht Fällen die Höchstnote vergeben. Zuletzt für den italienischen Familienroman „Alle, außer mir“von Francesca Melandri, für „Das Feld“von Robert Seethaler und für „Die Unruhigen“von Linn Ullmann, über das Verschwinden / Altwerden ihres Vaters, des berühmten schwedischen Regisseurs Ingmar Bergman.
In der Erstveröffentlichung seiner ersten Erzählungen „Wo die Schakale heulen“hat Amos Oz begonnen, Röntgenstrahlen auf die israelische Seele zu werfen ... auf Menschen, die sich zwar nicht berühren lassen, aber von Umarmung träumen.
Milena Michiko Flašar zeigt in „Herr Kato spielt Familie“, wie schwierig es ist, echt zu sein. Michel Faber merkte auf dem Planeten Oasis, dass Milliarden Kilometer für die Liebe keine Entfernung sein müssen (= „Das Buch der seltsamen neuen Dinge“).
Arno Geiger erzählt „Unter der Drachenwand“vom Töten im Weltkrieg, indem er vom Leben redet, vom Überleben, vom Wunsch, Schönes zu erleben.
Bei George Saunders’ „Lincoln im Bardo“war das Gefühl, es mit großer Literatur zu tun zu haben, am stärksten: Der Präsident schleicht in die Gruft zum geliebten Sohn Willie, der elfjährig an Typhus gestorben ist. Lincoln nimmt ihn aus dem Sarg, hält ihn einmal noch im Arm. Auch Geister kuscheln gern. Auf dem Friedhof kommentiert ein Chor der Verstorbenen, die noch nicht tot sein wollen, die noch nicht wahrhaben, dass es für sie aus ist, ohne im Leben etwas hervorgebracht zu haben ... Noch nie hatte ein Roman einen solchen Klang.
Es gilt auch nach den Urlaubstagen: Bücher sind immer für einen da, wenn man sie braucht. Sie schnarchen nicht, und niemals pinkeln sie auf die Klobrille.