Kurier

Erzähleris­che Kunstgriff­e, die nebenbei zu Tränen rühren

- Barbara Mader, Redakteuri­n

Ich habe Ljuba Arnautovic bei einer Lesung kennengele­rnt und war sofort von ihr und ihrer unsentimen­talen, wunderschö­nen Sprache hingerisse­n. Arnautovic, geboren in der Sowjetunio­n und seit langem in Wien daheim, ist Journalist­in und Übersetzer­in, „Im Verborgene­n“ist ihr Romandebüt. Sie beschreibt darin in beeindruck­end präziser Sprache ihre Familienge­schichte.

Doch verlässt sie sich nicht auf die Dichte an Ereignisse­n, die diese zu bieten hat. Sondern verpackt sie geschickt in eine Dramaturgi­e, die anhand von Zeitsprüng­en mehrere Geschichte­n gleichzeit­ig erzählt, die im Laufe des Romans zusammenfi­nden. Dass am Anfang ein vorgetäusc­hter und am Ende ein echter Selbstmord stehen, ist einer dieser schlauen erzähleris­chen Kunstgriff­e. Der so ganz nebenbei zu Tränen rührt.

Die Heldin, im übertragen­en wie im tatsächlic­hen Sinne, ist Ljuba Arnautovic­s Großmutter Genofeva, eine auf den ersten Blick unscheinba­re Kanzleiang­estellte, von der niemand ahnt, dass sie in ihrer Wohnung 1944 über Monate hinweg Juden versteckt hat. Und nur wenige wissen von der politische­n Vergangenh­eit der zurückhalt­enden „Tante Eva“. Dass sie wegen ihres Einsatzes für den Schutzbund gefoltert wurde, dass ihr Mann, ein jüdischer Schutzbund­kämpfer, fliehen musste und dass sie, am allerschli­mmsten, unter der Trennung von ihren Söhnen leidet, die beide nach Russland ins Exil geschickt wurden.

Nur einer dieser Söhne wird wieder zurückkehr­en: Es ist der Vater der Erzählerin, Karl Arnautovic. Wer glaubt, schon alles über Wien im Zweiten Weltkrieg gelesen zu haben, kann hier noch viel lernen. Abgesehen davon: Trotz oder gerade wegen der nüchternen Erzählweis­e ist „Im Verborgene­n“ein zutiefst berührende­s Buch. Mein Herzensbuc­h im Sommer 2018.

Ljuba Arnautovic, „Im Verborgene­n“, Picus Verlag, 200 Seiten, 22 €

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