Erzählerische Kunstgriffe, die nebenbei zu Tränen rühren
Ich habe Ljuba Arnautovic bei einer Lesung kennengelernt und war sofort von ihr und ihrer unsentimentalen, wunderschönen Sprache hingerissen. Arnautovic, geboren in der Sowjetunion und seit langem in Wien daheim, ist Journalistin und Übersetzerin, „Im Verborgenen“ist ihr Romandebüt. Sie beschreibt darin in beeindruckend präziser Sprache ihre Familiengeschichte.
Doch verlässt sie sich nicht auf die Dichte an Ereignissen, die diese zu bieten hat. Sondern verpackt sie geschickt in eine Dramaturgie, die anhand von Zeitsprüngen mehrere Geschichten gleichzeitig erzählt, die im Laufe des Romans zusammenfinden. Dass am Anfang ein vorgetäuschter und am Ende ein echter Selbstmord stehen, ist einer dieser schlauen erzählerischen Kunstgriffe. Der so ganz nebenbei zu Tränen rührt.
Die Heldin, im übertragenen wie im tatsächlichen Sinne, ist Ljuba Arnautovics Großmutter Genofeva, eine auf den ersten Blick unscheinbare Kanzleiangestellte, von der niemand ahnt, dass sie in ihrer Wohnung 1944 über Monate hinweg Juden versteckt hat. Und nur wenige wissen von der politischen Vergangenheit der zurückhaltenden „Tante Eva“. Dass sie wegen ihres Einsatzes für den Schutzbund gefoltert wurde, dass ihr Mann, ein jüdischer Schutzbundkämpfer, fliehen musste und dass sie, am allerschlimmsten, unter der Trennung von ihren Söhnen leidet, die beide nach Russland ins Exil geschickt wurden.
Nur einer dieser Söhne wird wieder zurückkehren: Es ist der Vater der Erzählerin, Karl Arnautovic. Wer glaubt, schon alles über Wien im Zweiten Weltkrieg gelesen zu haben, kann hier noch viel lernen. Abgesehen davon: Trotz oder gerade wegen der nüchternen Erzählweise ist „Im Verborgenen“ein zutiefst berührendes Buch. Mein Herzensbuch im Sommer 2018.
Ljuba Arnautovic, „Im Verborgenen“, Picus Verlag, 200 Seiten, 22 €