Ausgestreckter Stinkefinger ins Gesicht der Autoritäten
Wer eine Reise tut, kann was erzählen – sagt man. Nun, von Moskau nach Petuschki sind es gerade einmal 120 Kilometer, aber Wenedikt Jerofejew kotzt sich auf dieser Strecke im Zug so derart über Gott und die Welt aus, zieht das gesamte verrottete sowjetische System auf witzige Weise durch den Dreck, suhlt sich in Weltschmerz und Liebesträumen, aber auch der eigenen Lethargie und Ausweglosigkeit. Man will dieses Buch runterkippen wie eine Komsomolzenträne – einen im Werk geschilderten Cocktail aus Nagellack, Lavendel, Eisenkraut, Rasierwasser, Mundwasser und Limonade – oder einen Kanaanbalsam (Möbelpolitur, Bier und Spiritus). Jerofejew schildert die Reise eines gerade gefeuerten Kabelverlegers zur Liebsten in Petuschki während der er sich ins Delirium trinkt. Er spricht mit Engeln und mystischen Wesen, denen er im Rausch begegnet, philosophiert anhand des Beispiels von Schluckauf über die Unvorhersehbarkeit des Lebens, über Brechreiz, Angepasstheit und Ausbruch. Am Ende landet er wieder in Moskau vor den Toren des Kreml, den er in dieser Nacht zum ersten und letzten Mal sieht.
Die Reise nach Petuschki ist ein mit Stolz, Witz und viel Hirn ausgestreckter Stinkefinger ins Gesicht der Autoritäten. Etwas, das es prinzipiell eher einmal zu oft braucht, als einmal zu wenig. Immer. Dieses Buch ist eine mit viel Tempo hingerotzte Abkanzelung, wobei sich Jerofejew nicht in historischen Details verliert.
Wenedikt Jerofejew, „Die Reise nach Petushki“, Piper Verlag, 176 Seiten, 9,99 €