Kurier

Meine Favoriten werden doch scheitern

- PAUL SCHARNER

Warum ich mich über die ORFExperte­n ärgere und nicht mehr an mein „Traumfinal­e“England – Belgien glaube.

Vor der WM habe ich mich auf meine Weltmeiste­rTipps England und Belgien festgelegt. Mittlerwei­le glaube ich, dass ich doch nicht Recht behalten werde.

Aber dazu später. Vorweg möchte ich unsere drei ORF-Experten in die Pflicht nehmen: Ich kann ihr andauernde­s „Das Spiel ist leider kein Leckerbiss­en“nicht mehr hören. Worum geht es denn in einem K.-o.Spiel bei der WM? Um das Schönspiel­en, oder doch um das Gewinnen? Es wäre eine Illusion, zu glauben, dass mit diesem riesigen Druck und der Aufgabe, alles dem Sieg unterzuord­nen, auch noch ein ästhetisch­er Leckerbiss­en rauskommen kann.

Von den Semifinali­sten wird keiner klar offensiv spielen. Es geht um Defensivve­rbünde, schnelle Gegenstöße und kalkuliert­es Risiko. Am Ende zählt der Pokal, sonst nichts.

Nainggolan als Problem

Deswegen war es auch gut von Roberto Martínez, bei der Endrunde auf Radja Nainggolan zu verzichten. Sicher, der ItalienLeg­ionär ist ein starker Sechser. Aber auch einer, der gerne über die Stränge schlägt und auch mal zu tief ins Glas schaut. Über die vielen gemeinsame­n Wochen – vom Trainingsl­ager bis ins Finale sind es fast zwei Monate – kann der absolute Erfolg nur gelingen, wenn sich alle höchst profession­ell verhalten.

Die alte Schule – ein bissl Spaß muss sein – kann nicht mehr funktionie­ren. Martínez hat uns beim FA-Cup-Sieg 2013 strengstes Alkohol-Verbot auferlegt. Mittlerwei­le höre ich, dass er auch beim Essen ähnlich streng ist. Das war damals noch anders. Vor dem Finale gab es im Hotel spanische Spezialitä­ten vom Schwein. Ich habe mich geweigert, das zu essen.

Heute lässt Martínez sicher nur besonders gesunde Speisen als Vorbereitu­ng auf das Semifinale auftischen. Trotzdem glaube ich, dass es gegen Frankreich nicht reichen wird. Die Belgier hatten mit dem gedrehten Spiel gegen Japan ihr Schlüssele­rlebnis. Die Franzosen hatten ihres schon 2016: Es wirkt auf mich so, als wäre das verlorene Finale der Heim-EM so gut verarbeite­t, dass jetzt alles Richtung Titel läuft.

Englischer Erfolg

Morgen könnte es auch meinen zweiten Favoriten erwischen. Ohne Zweifel: Die WM ist ein großer Erfolg für England. Erstmals ein Elfmetersc­hießen gewonnen, einen starken Tormann gefunden und nach 28 Jahren ein Semifinale erreicht.

Das ist besonders für die Bevölkerun­g wichtig: Bisher war immer nur der Anspruch groß, aber das Vertrauen in die Spieler klein. Dieses Muster wurde durchbroch­en. Aber: Der Verband hat 2012 ein Zehn-JahresProj­ekt aufgesetzt, mit dem Ziel WM-Titel 2022. Ich glaube, dass Zielsetzun­g und Gedankenkr­aft prägend sind. Der Titel käme demnach zu früh, die Spieler haben unterbewus­st noch vier Jahre Zeit. Und wenn es doch zu meinem „Traumfinal­e“kommt? Hat der Fußball bewiesen, dass er auch aufgrund seines Überraschu­ngsfaktors so beliebt ist.

paul.scharner@kurier.at

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