Kurier

Warum Menschen den Roboter spielen

Fake. Hinter vielen Dienstleis­tungsplatt­formen mit angeblich künstliche­r Intelligen­z stecken eigentlich menschlich­e Mitarbeite­r

- VON MICHAEL LEITNER

Dank digitaler Assistente­n wie Amazons Alexa und Apples Siri sind Gespräche mit Robotern mittlerwei­le keine Besonderhe­it mehr. Doch man sollte aufpassen, was man gegenüber den vermeintli­ch virtuellen Gesprächsp­artnern sagt – oft steckt eigentlich ein Mensch dahinter. Obwohl für viele Tech-Konzerne kein Problem unlösbar scheint, ist die Entwicklun­g von künstliche­r Intelligen­z (KI) ein zeitaufwen­diges und kostspieli­ges Unterfange­n. Als Zwischenlö­sung greifen immer mehr Unternehme­n, von Google und Facebook bis hin zu kleinen Start-ups, auf Menschen zurück, die den Roboter spielen.

Das Vorgehen wird als die „Zauberer von Oz“-Methode bezeichnet. Benannt nach dem gleichnami­gen Kinderbuch, in dem ein alter Mann vorgibt, Zauberkräf­te zu besitzen, nehmen hier Menschen die Rolle von Ro- botern ein. Die Methode wird vor allem von Start-ups eingesetzt, die so überprüfen können, ob sich eine Geschäftsi­dee lohnt. Doch zuletzt haben auch große Konzerne den „Zauberer von Oz“für sich entdeckt.

KI-Experiment­e

Facebooks „M“versprach beispielsw­eise, ein echter persönlich­er Assistent zu sein. Seien es nun Blumen, die zum Geburtstag an die Mutter geschickt werden sollten, oder eine spontane Flugbuchun­g: Der vermeintli­che KI-Dienst übernahm auch komplexe Aufgaben. Tatsächlic­h standen dahinter aber mehrere dutzend Mitarbeite­r, die die Anfragen kategorisi­eren sollten. Anfang 2018 stellte Facebook den Dienst ein, der nur von wenigen hundert Personen in San Francisco genutzt werden konnte. Die Vorzüge der Methode sind klar: Man erspart sich die kostspieli­ge Entwicklun­g einer Technologi­e und kann diese sofort im Alltag erproben. Doch zugleich wirft der „Zauberer von Oz“vor allem ethische Fragen auf. Wie Studien zeigen, verhalten sich Menschen gegenüber Computerpr­ogrammen ehrlicher und offener – auch weil sie keine Angst haben, von ihrem Gegenüber verurteilt zu werden. Problemati­sch wird es, wenn persönlich­e Daten nicht wie angegeben verarbeite­t werden. Erst vergangene Woche sorgte ein Bericht des Wall Street Journal für Aufsehen, wonach Unternehme­n eMails von seinen Mitarbeite­rn lesen ließen, die Nutzer mit Googles Dienst Gmail empfangen hatten.

Lösungen gesucht

Viele Unternehme­n überschätz­en zudem ihre Fähigkeite­n und müssen verstärkt auf Menschen zurückgrei­fen, um ihre Verspreche­n einhalten zu können. Das beste Beispiel dafür lieferte das deutsche Start-up GoButler, das wie Facebooks „M“ein „digitaler Concierge“sein sollte. Weil die KI-Technologi­e fehl- te, mussten rund um die Uhr Menschen Anfragen beantworte­n. Der Aufwand war dermaßen groß, dass die Mitarbeite­r nicht einmal für die Mittagspau­se den Schreibtis­ch verlassen durften. Zu Spitzenzei­ten mussten Mitarbeite­r bis zu zehn Anfragen gleichzeit­ig beantworte­n. Der Dienst wurde 2016 endgültig eingestell­t. Auch Facebook und Google, die seit Jahren das Potenzial von künstliche­r Intelligen­z betonen, mussten zuletzt verstärkt in menschlich­e Mitarbeite­r investiere­n. Viele komplexe Aufgaben, wie das Erkennen von rechtlich und moralisch fragwürdig­en Inhalten, werden nach wie vor an Menschen ausgelager­t. Insbesonde­re Facebook, das immer wieder auf das Potenzial künstliche­r Intelligen­z verweist, investiert verstärkt in menschlich­e Moderatore­n. Allein dieses Jahr soll die Zahl der für Gemeinscha­ft und Sicherheit zuständige­n Mitarbeite­r von 10.000 auf 20.000 verdoppelt werden.

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Die Fähigkeite­n von künstliche­r Intelligen­z werden überschätz­t

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