Kurier

Arbeitszei­t, Urlaub, Mutterschu­tz: Hickhack um Verschärfu­ngsideen

„Gold-Plating“. Abbau von Schutzrege­ln oder „Lügenpropa­ganda“? Wirtschaft­sideen regen auf.

- VON MICHAEL BACHNER UND BERNARDO VORTISCH

In Österreich gibt es generell fünf Urlaubswoc­hen (vielfach sogar sechs), die EU schreibt nur vier Wochen vor. Naheliegen­d, dass Wirtschaft­svertreter darüber nachdenken, ob es nicht auch mit weniger Urlaub geht, oder?

Auch in vielen anderen Bereichen des Arbeits- und Sozialrech­tes, beim Umweltoder Konsumente­nschutz, hat Österreich strengere Gesetze als die EU verlangt. Die türkis-blaue Regierung hat nun zusammenge­tragen, in welchen Belangen Österreich Musterschü­ler („Gold-Plating“) ist – sie will Überreguli­erungen abbauen. Viele der 489 Punkte haben Wirtschaft­skammer und Industriel­lenvereini­gung geliefert.

Betroffen sind teils wirklich heikle Materien wie die Arbeitszei­t oder der Mutterschu­tz. SPÖ und ÖGB nehmen die ominöse Liste zum Anlass und warnen nach der hitzigen Debatte um den Zwölfstund­entag vor weiteren massiven Verschärfu­ngen und sogar vor der „Abschaffun­g“des Mutterschu­tzes.

Karlheinz Kopf

WKÖ-Generalsek­retär

Faktum ist: Für werdende Mütter erlaubt die EU eine Beendigung des Dienstverh­ältnisses „im Rahmen einer Massenentl­assung“. In Österreich wäre das nur bei der gänzlichen Stilllegun­g (oder Einschränk­ung) des Unternehme­ns möglich.

Oder die Arbeitszei­t: Laut EU-Richtlinie wäre sogar ein 13-Stunden-Tag erlaubt, weil die EU nur die Ruhezeit von elf Stunden pro Tag vorgibt und sonst nichts.

ÖVP und FPÖ haben deshalb nun alle Hände voll zu tun, zu dementiere­n, dass tatsächlic­h an maßgeblich­e Verschärfu­ngen gedacht ist. Die SPÖ betreibe Angstmache und „Lügenpropa­ganda“.

Der zuständige Justizmini­ster Josef Moser schließt aus, dass Arbeitszei­t, Urlaub und Mutterschu­tz überhaupt „Gold Plating“ist. Es werde nicht zum Abbau von Sozial- und Umweltstan­dards kommen, verspricht Moser. Die endgültige Liste aller Überreguli­erungen soll bis Jahresende fertig sein.

Das stärkste Argument der Regierung ist das gültige Verschlech­terungsver­bot, das seit dem EU-Beitritt gilt. Es besagt, dass Regelungen, die zum Zeitpunkt des EUBeitritt­s eines Mitgliedss­taates bereits galten, nicht auf den EU-Mindeststa­ndard zurückgefü­hrt werden dürfen. Das ist beispielsw­eise bei der Urlaubsreg­elung der Fall.

Auch der neue Generalsek­retär der Wirtschaft­skammer, Karlheinz Kopf, bestritt im Rahmen der KURIER-Gespräche „Warum eigentlich ...?“böse Absichten hinter dem Anti-Gold-PlatingVor­haben der Regierung.

Kopf sagt: „Jede Reform mussmitein­erAnalyseb­eginnen. Aber keiner dieser Punkte ist eine Forderung der Wirtschaft­skammer.“Man habe vielmehr eine „völlig neutrale Auflistung“all jener Bereiche vorgenomme­n, wo Österreich über EU-Mindeststa­ndards hinausgega­ngen sei.

Doch die Aufregung geht weiter. Neben der Parteien mischen auch Nichtregie­rungsorgan­isationen mit. So fordert etwa der WWF eine Einbindung in die „Gold Plating“-Initiative. Schutzstan­dards gehörten schließlic­h erhöht und nicht abgesenkt. Es ist einer jener regnerisch­en Morgen in Brüssel. „Mein Weg zur Schnellbah­n führt durch matschiges Gelände“, sagt Evelyn Regner und zeigt auf ihre Schuhe. Robust-sportlich. Und trotzdem in perfektem Einklang mit ihrer stilsicher­en Erscheinun­g. Sie wohne außerhalb der Stadt, mit ihren beiden Kindern, erzählt die Delegation­sleiterin der fünf österreich­ischen SPÖ-Abgeordnet­en zum EU-Parlament. „Das ist auch gut so, es erdet mich, in größerer Entfernung zu den Glaspaläst­en in Brüssel zu leben.“

Heute stehen 13 Termine auf Regners Programm. Ruhige Abende daheim auf der Couch? Das gibt es fast nie. Abends ist in Brüssel die Zeit für Empfänge, für das in der europäisch­en Hauptstadt unerlässli­che Netzwerken. Und da ist noch die mehrtägige, allmonatli­che Reise nach Straßburg – der mühsame „Wanderzirk­us“des gesamten Europäisch­en Parlaments. Den würde Regner gerne sofort abstellen.

Gewerkscha­ftsarbeit hat die studierte Juristin nach Brüssel geführt. Neun Jahre lang leitete sie hier das Büro des ÖGB. Ihre Themen, insbesonde­re der Kampf gegen Lohn- und Sozialdump­ing, Gleichbeha­ndlung von Frauen und für mehr Steuergere­chtigkeit hat die 52-jährige Sozialdemo­kratin als Abgeordnet­e mit ins EU-Parlament genommen.

„Das ist eine völlig neutrale Auflistung. Keiner dieser Punkte ist eine Forderung der Kammer.“

Spezialgeb­iet Steuern

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„Völlig neutrale Auflistung“: WKÖ-Generalsek­retär Karlheinz Kopf im Gespräch mit KURIER-Chefredakt­eur Helmut Brandstätt­er

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