Arbeitszeit, Urlaub, Mutterschutz: Hickhack um Verschärfungsideen
„Gold-Plating“. Abbau von Schutzregeln oder „Lügenpropaganda“? Wirtschaftsideen regen auf.
In Österreich gibt es generell fünf Urlaubswochen (vielfach sogar sechs), die EU schreibt nur vier Wochen vor. Naheliegend, dass Wirtschaftsvertreter darüber nachdenken, ob es nicht auch mit weniger Urlaub geht, oder?
Auch in vielen anderen Bereichen des Arbeits- und Sozialrechtes, beim Umweltoder Konsumentenschutz, hat Österreich strengere Gesetze als die EU verlangt. Die türkis-blaue Regierung hat nun zusammengetragen, in welchen Belangen Österreich Musterschüler („Gold-Plating“) ist – sie will Überregulierungen abbauen. Viele der 489 Punkte haben Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung geliefert.
Betroffen sind teils wirklich heikle Materien wie die Arbeitszeit oder der Mutterschutz. SPÖ und ÖGB nehmen die ominöse Liste zum Anlass und warnen nach der hitzigen Debatte um den Zwölfstundentag vor weiteren massiven Verschärfungen und sogar vor der „Abschaffung“des Mutterschutzes.
Karlheinz Kopf
WKÖ-Generalsekretär
Faktum ist: Für werdende Mütter erlaubt die EU eine Beendigung des Dienstverhältnisses „im Rahmen einer Massenentlassung“. In Österreich wäre das nur bei der gänzlichen Stilllegung (oder Einschränkung) des Unternehmens möglich.
Oder die Arbeitszeit: Laut EU-Richtlinie wäre sogar ein 13-Stunden-Tag erlaubt, weil die EU nur die Ruhezeit von elf Stunden pro Tag vorgibt und sonst nichts.
ÖVP und FPÖ haben deshalb nun alle Hände voll zu tun, zu dementieren, dass tatsächlich an maßgebliche Verschärfungen gedacht ist. Die SPÖ betreibe Angstmache und „Lügenpropaganda“.
Der zuständige Justizminister Josef Moser schließt aus, dass Arbeitszeit, Urlaub und Mutterschutz überhaupt „Gold Plating“ist. Es werde nicht zum Abbau von Sozial- und Umweltstandards kommen, verspricht Moser. Die endgültige Liste aller Überregulierungen soll bis Jahresende fertig sein.
Das stärkste Argument der Regierung ist das gültige Verschlechterungsverbot, das seit dem EU-Beitritt gilt. Es besagt, dass Regelungen, die zum Zeitpunkt des EUBeitritts eines Mitgliedsstaates bereits galten, nicht auf den EU-Mindeststandard zurückgeführt werden dürfen. Das ist beispielsweise bei der Urlaubsregelung der Fall.
Auch der neue Generalsekretär der Wirtschaftskammer, Karlheinz Kopf, bestritt im Rahmen der KURIER-Gespräche „Warum eigentlich ...?“böse Absichten hinter dem Anti-Gold-PlatingVorhaben der Regierung.
Kopf sagt: „Jede Reform mussmiteinerAnalysebeginnen. Aber keiner dieser Punkte ist eine Forderung der Wirtschaftskammer.“Man habe vielmehr eine „völlig neutrale Auflistung“all jener Bereiche vorgenommen, wo Österreich über EU-Mindeststandards hinausgegangen sei.
Doch die Aufregung geht weiter. Neben der Parteien mischen auch Nichtregierungsorganisationen mit. So fordert etwa der WWF eine Einbindung in die „Gold Plating“-Initiative. Schutzstandards gehörten schließlich erhöht und nicht abgesenkt. Es ist einer jener regnerischen Morgen in Brüssel. „Mein Weg zur Schnellbahn führt durch matschiges Gelände“, sagt Evelyn Regner und zeigt auf ihre Schuhe. Robust-sportlich. Und trotzdem in perfektem Einklang mit ihrer stilsicheren Erscheinung. Sie wohne außerhalb der Stadt, mit ihren beiden Kindern, erzählt die Delegationsleiterin der fünf österreichischen SPÖ-Abgeordneten zum EU-Parlament. „Das ist auch gut so, es erdet mich, in größerer Entfernung zu den Glaspalästen in Brüssel zu leben.“
Heute stehen 13 Termine auf Regners Programm. Ruhige Abende daheim auf der Couch? Das gibt es fast nie. Abends ist in Brüssel die Zeit für Empfänge, für das in der europäischen Hauptstadt unerlässliche Netzwerken. Und da ist noch die mehrtägige, allmonatliche Reise nach Straßburg – der mühsame „Wanderzirkus“des gesamten Europäischen Parlaments. Den würde Regner gerne sofort abstellen.
Gewerkschaftsarbeit hat die studierte Juristin nach Brüssel geführt. Neun Jahre lang leitete sie hier das Büro des ÖGB. Ihre Themen, insbesondere der Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping, Gleichbehandlung von Frauen und für mehr Steuergerechtigkeit hat die 52-jährige Sozialdemokratin als Abgeordnete mit ins EU-Parlament genommen.
„Das ist eine völlig neutrale Auflistung. Keiner dieser Punkte ist eine Forderung der Kammer.“
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