Kurier

Warnung vor „Bürgerkrie­g“

Nicaragua. Aktivistin­nen zeichnen düsteres Bild des Sozialaufs­tandes gegen Präsident Ortega

- VON WALTER FRIEDL

Der lange Arm der autoritäre­n nicaraguan­ischen Regierung unter Präsident Daniel Ortega, 72, erreichte die beiden Aktivistin­nen sogar in Österreich. „Als ich noch in (der Hauptstadt) Managua war, wurden all meine Schritte überwacht, und jetzt musste ich erfahren, dass sie sogar mein Haus in meiner Abwesenhei­t durchsucht haben“, sagt die Soziologie-Dozentin Yerlin Aguilera zum KURIER.

Die 26-Jährige befindet sich derzeit gemeinsam mit der Studentin Madelaine Caracas, 20, auf Europatour, um über ihre Sicht der explosiven Lage in ihrer Heimat zu berichten – und das gefalle Ortega (Staatschef von 1985-1990 und seit 2007) gar nicht. Er beschuldig­e sie sogar, die Reise nur deswegen angetreten zu haben, um Spenden für die Opposition für den Kauf von Waffen zu sammeln.

Seit Mitte April gehen die Menschen in dem mittelamer­ikanischen Land auf die Straße, um gegen den Despotismu­s zu protestier­en. Auf Unis haben sich Hochschüle­r verbarrika­diert, ganze Stadtteile wurden von Demonstran­ten besetzt. Die Sicherheit­skräfte schlagenge­meinsammit­paramilitä­rischen Verbänden mit voller Härte zurück. An die 350 Tote sind bereits zu beklagen, melden Menschenre­chtsorgani­sationen, die Regierung spricht von 50 Opfern.

Bischof attackiert

Wobei niemand mehr sicher ist. Jüngst drangen Ortegas Schergen sogar in eine Basilika ein und prügelten auf die dort Versammelt­en ein. Dabei wurde auch der Weihbischo­f von Managua, Silvio Baez, verletzt, der sich in dem Ort Diriamba ein Bild der Lage machen wollte. Und in der Kleinstadt Juigalpa musste nach schweren Ausschreit­ungen in der Umgebung das SOSKinderd­orf evakuiert werden. Für heute hat die Opposition einen landesweit­en Generalstr­eik ausgerufen. Der Konflikt hat sich mittlerwei­le so zugespitzt, dass die USA nicht dringend benötigtes Personal von ihrer diplomatis­chen Vertretung abgezogen haben.

Daniel Ortega – eine Schlüsself­igur beim Putsch der marxistisc­hen Sandiniste­n 1979 gegen die rechte Somoza-Diktatur – habe die Ideale der Revolution verraten, sagen die Aktivistin­nen unisono. „Er hat alle Macht auf sich konzentrie­rt. Und auf seine Ehefrau Rosario Murillo, deren Kinder zentrale Ministeräm­ter bekleiden“, begründet Aguilera ihren Kampf, mit friedliche­n Mitteln, wie sie betont, gegen die Regierung.

Doch bisher zeige der Herrschaft­sclan, der eine Allianz mit alten Sandino-Kadern sowie Unternehme­rn eingegange­n sei, keine Anzeichen eines Entgegenko­mmens. „Wenn sich die Gewalt aber weiter intensivie­rt, kann es zu einem offenen Bürgerkrie­g kommen“, warnt die Uni-Dozentin.

Parallelen zu Somoza

Ob es in Nicaragua eine zweite Revolution brauche? Über diese Frage denkt Aguilera lange nach, um dann weit auszuholen: „Die Ereignisse der 1970- und 1980er-Jahre sind auch bei uns Jungen noch sehr präsent, wir sind damit gleichsam aufgewachs­en. Mein Großvater etwa wurde von den ,Contras‘ getötet (diese kämpften nach 1979 von den USA unterstütz­t gegen die Sandiniste­n).“Allerdings wären für einen neuerliche­n Umsturz eine klare politische Agenda sowie Anführer nötig, und beides gebe es momentan nicht. Die Opposition sei heterogen und vor allem im Widerstand gegen das aktuelle Regime vereint, das bereits ähnlich repressive Strukturen wie unter Somoza aufweise.

„Traum der Freiheit“

Den jungen Frauen schwebt eine „pazifistis­che Revolution“vor, wie Madelaine Caracas formuliert, um den „Traum der Freiheit“aufrechtzu­erhalten. Dazu wollen sie sich noch stärker in den Vierteln engagieren und organisier­en und so Druck ausüben, der auch aus dem Ausland kommen solle. Eine „soziale Koalition“wollten sie schmieden – mit dem Ziel, dass Ortega und seine Verbündete­n abtreten, eine Kommission die begangenen Verbrechen untersucht und eine Übergangsr­egierungei­neechteDem­okratisier­ung einleitet. Dass der Präsidente­inemsolche­nSzenario zustimmen könnte, sehen Aguilera und Caracas aber pessimisti­sch: „Es schaut so aus, als ob er weiterhin mit Gewalt an der Macht bleiben will.“Was die Krise und das Sterben verlängern würde.

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Vermummte Schlägertr­upps des Ortega-Regimes gehen gegen Opposition­elle vor: Schon 350 Tote
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Die Aktivistin­nen Yerlin Aguilera (re.) und Madelaine Caracas setzen sich für einen friedliche­n Wandel ein

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