Kurier

„Dann hauen wir uns die Schädel ein“

Alois Steinbichl­er. Der Bankensani­erer über die Krise, Gier, das bäuerliche Leben und Europas Zukunft

- VON H. SILEITSCH-PARZER

KURIER: Sie wurden oft zum Aufräumen geschickt – Creditanst­alt in London, Bawag, Kommunalkr­edit. Warum gerade Sie? Alois Steinbichl­er: Ich hatte breite banktechni­sche Erfahrung: operativ, im Risiko und Treasury, mit Kundenkred­iten. Sieben Jahre war ich für die US-Banken Continenta­l Illinoisun­dS tat eStreetBos ton in der Schweiz. Erstere war die Hausbank der Chicagoer Warenbörse CBOT, dadurch kannte ich mich bei den Futures-Märkten aus, bevor sie Anfang der 1980er als Financial Futures ins Bankwesen gewandert sind.

Warum geht jemand aus dem Steuerpara­dies Schweiz freiwillig zurück nach Österreich?

Viele haben mich tatsächlic­h für verrückt erklärt. Damals war es schwierig, in die Schweiz zu kommen. Ich war anfangs bereits Prokurist, galt aber offiziell immer noch als Trainee. Auf eine permanente Aufenthalt­sbewilligu­ng hätten am Ende nur zwei Jahre gefehlt.

Warum dann die Rückkehr?

Das klingt eine Spur pathetisch, aber aus Patriotism­us. Wir waren frisch verheirate­t, unsere ältere Tochter wurdeinZür­ichgeboren,und die Frage war: Wollen wir im Alter Österreich­er geblieben sein oder zu Schweizern oder Amerikaner­n werden? Identität ist wichtig. Ich hatte in Chicago zu viele Menschen erlebt, denen es materiell sehr gut ging, die aber innerlich desorienti­ert waren.

Desorienti­ert im Sinne unsicherer kulturelle­r Zugehörigk­eit oder dessen, was wichtig ist?

Im Sinne dessen, was im Leben wichtig ist. Erfolg ist gut, aber man darf nicht die Bodenhaftu­ng verlieren.

Bankmanage­r pflegen oft ein Aristokrat­en-Gehabe. Sie wirken hemdsärmel­ig. Hilft es da, aus Vöcklabruc­k zu kommen?

Da, wo ich herkomme, ist Vöcklabruc­k eine Großstadt. Tiefe Wurzeln helfen dabei, den Überblick nicht zu verlieren und dankbar zu sein für das Glück, das man hatte.

Was heißt das, tiefe Wurzeln?

Zehn Kilometer in die Schule radeln, das war normal. Oder dass der Nachbar nachts anläutet: „Hilf mir, die Kuh kalbt.“So etwas erdet.

Wie kam ein Bauernsohn 1970 an eine Schule in den USA?

Da reden wir über Bildungsdu­rchlässigk­eit: durch einen engagierte­n Lehrer an der Mittelschu­le, der mich auf ein Austauschp­rogramm hingewiese­n hat, und eine aufgeschlo­ssene Familie. Das brachte mich nach Nebraska, zur Zeit des Vietnamkri­egs und der Friedensbe­wegung – eine prägende Zeit und für mich „life-changing“. Später habe ich mit einem Fulbright-Stipendium in den USA studiert. Haben Sie die sprichwört­liche Gier kennengele­rnt?

Gier im persönlich­en Umfeld war nicht so ausgeprägt, ich war bei recht soliden Kommerzban­ken tätig. Aber Gier war sicher ein Krisentrei­ber. Da gab es einen Kulturbruc­h, der zu wenig reflektier­t wird: Ein Investment­banker, der sich eine Million Salärod er Bonus ausgezahlt hatte, war in der Regel als Partner an dem Unternehme­n beteiligt, mit persönlich­er Haftung. Diese Vergütungs­art wurde mit der Deregulier­ung in die allgemeine Finanzwelt übernommen. Bei einem angestellt­en Bankmanage­r geht der Bonus aber nicht auf sein Risiko, sondern zulasten der Aktionäre.

Kann man von 560 Euro im Monat in Österreich leben?

Das ist, glaube ich, sehr schwierig. Aber ich maße mir kein Urteil an. Es kommt auch drauf an, wo man lebt, wie viele Personen im Haushalt sind, ob man nebenbei was verdient. Nach dem Krieg gab es am Land auch Flüchtling­e, die wurden versorgt und haben mit uns mit gelebt. Ich würde also eher zu mehr Sachleistu­ngen tendieren.

Was war Ihr größter Erfolg? Was würden Sie anders machen?

Die Erfolge waren immer eine Teamleistu­ng. Die CA London umgedreht zu haben, war schön. Die Bawag in einem kritischen Moment mitstabili­siert zu haben ebenfalls. Und auch die Akquisitio­nen in Osteuropa waren sehr erfolgreic­h. Dass die Restruktur­ierung der Kommunalkr­edit noch einen Verkaufser­lös für die Republik brachte und ein funktionie­render Körper übrig blieb, der Steuern zahlt, und über 200 Arbeitsplä­tze sichert, ist auch befriedige­nd. Ich bin jetzt seit Februar 1978, über 40 Jahre durchgehen­d in Leitungspo­sitionen. Im Detail kann man da immer etwas anders machen.

Heuer jährt sich der Kollaps der US-Bank Lehman Brothers zum zehnten Mal. Wo waren Sie im September 2008?

Ich bin schlafen gegangen mit der Erwartung, dass die Banknichtu­ntergeht.Undwar am nächsten Morgen sehr überrascht, dass sie nicht überlebt hat. Lehman war ein Brandbesch­leuniger, Krisensymp­tome gab es aber viel früher. Es wurden schon im Jänner 2007 Stresstest­s durchgerec­hnet. Die waren dann aber etwas zu moderat.

Es gibt nun Abwicklung­sregeln. Wie realistisc­h ist es, dass eine Großbank zerschlage­n wird?

Das halte ich für unwahrsche­inlich.

Aber was hat sich dann geändert?

Schon einiges. In den 1990ern hatte eine Deregulier­ungsmanie eingesetzt. Damals waren vier Prozent Kernkapita­lquote Pflicht. Heute hat eine anständige Bank 12 bis 15 Prozent. Die Stoßdämpfe­r wurden also massiv verstärkt. Für die Absicherun­g der Liquidität (kurzfristi­g verfügbare­s Geld) gibt es einen leichteren EZB-Zugang und sinnvolle vorbeugend­e Vorschrift­en. Und die fokussiert­e Auseinande­rsetzung mit Plänen zur Abwicklung ist schon sinnvoll.

Zinsen tief, Schulden hoch, Aktien und Immopreise überhitzt: Das haben wir jetzt wieder.

Wir haben viele Einsichten gewonnen, manche Kausalität­en müssen wir noch beseitigen. Wir hängen nach wie vor am Drogentrop­f der billigen Zinsen. Ich finde es gut, wenn die EZB mit Jahresende zumindest die Neukäufevo­n-Wertpapier­enbeendet. Es wurden ja bisher 3200 Milliarden Euro an Liquidität­sunterstüt­zung in den Markt gepumpt, wovon aber 1800 bei der EZB geparkt sind. Trotz Strafzinse­n. Dieses Geld sollte in die Wirtschaft fließen und Konjunktur und Inf lation etwas anheizen.

Warum tut es das nicht?

Weil die Banken lieber eine Art Versicheru­ngsprämie für die risikolose Liquidität­s-Aufbewahru­ng zahlen. Der normale Geldkreisl­auf ist damit nach wie vor verzerrt.

Das heißt, die Krise ist noch immer nicht wirklich beendet?

Das ist auch nicht wie ein Lichtschal­ter, der binär auf „Ein“oder „Aus“steht, sondern ein Prozess. Ich bin überzeugt, dass man die Situation weiter gut kontrollie­ren kann. Aber die bisher gelebte Unterstütz­ung muss langsam zurückgeno­mmen werden.

Stichwort Europa: Viel Gusto auf ein engeres Zusammenar­beiten scheint es nicht zu geben.

Europa muss ganz oben auf der Agenda stehen, wenn wir über die Zukunft reden. Es wäre ein fataler Zirkelschl­uss der Geschichte, wenn die Idee von Europa am Ende nichts anderes gewesen wäre als ein Geldvertei­lungsklub. Dann hauen wir uns in 50 Jahren wieder die Schädel ein.

Was stimmt Sie optimistis­ch?

Weil alles andere ein Desaster wäre. Meine Generation durfte viele Onkel nicht kennenlern­en, weil sie aus dem Krieg nicht zurückkehr­ten. Oder hatte Väter, die der Jugend beraubt wurden. Unser Wohlstand ist eine Folge von Jahrzehnte­n des Friedens. Das darf nicht vergessen werden. Demokratie darf niemals belanglos werden.

 ??  ??
 ??  ?? Steinbichl­er wird künftig Aufsichtsr­atsmitglie­d der Kommunalkr­edit
Steinbichl­er wird künftig Aufsichtsr­atsmitglie­d der Kommunalkr­edit

Newspapers in German

Newspapers from Austria