Kurier

„Im Herzen sind wir beides“

Kroaten in Österreich. Gekommen und geblieben: Das Leben mit zwei Identitäte­n

- VON ANKICA NIKOLIĆ

Wir-Gefühl, Zuversicht, Stolz – Schlagwört­er, die oft in Gesprächen mit in Österreich lebenden Kroaten fallen, aber nur schwer zu erklären sind. Doch manchmal, da werden sie auch sichtbar. Etwa, wenn Großereign­isse wie die Fußball-Weltmeiste­rschaft einige hundert Kroaten auf heimische Straßen strömen lässt. 1,6 Millionen Zuschauer haben den Finaleinzu­g der Mannschaft rund um Zlatko Dalić vor den TVGeräten mitverfolg­t. Insgesamt leben 91.788 Kroaten in Österreich. Sehr viele haben mitgefiebe­rt und ausgelasse­n gefeiert.

Herkunft

Viele der Familien sind im Zuge der Gastarbeit­erwelle Anfang der 1960er-Jahre oder der Flüchtling­swelle in den 1990er-Jahren gekommen und danach geblieben. Mit im Gepäck die Identität ihrer Heimat, die sie an die zweite und dritte Generation weitergebe­n. Warum Stolz und die viel zitierte nationale Bindung so stark ausgeprägt sind, wird oft hinterfrag­t, beantworte­n lässt sich das jedoch nicht so leicht.

Abraham Miškić ist in Wien geboren und hier aufgewachs­en. Seine Eltern stammen aus Rijeka. „Die Herkunft meiner Eltern ist mir genauso wichtig wie die Tatsache, dass ich mich auch als Österreich­er sehe. Wir sind österreich­ische Kroaten. Es geht nicht so sehr darum zu ergründen, weshalb wir so empfinden. Beim Fußball geht es nicht um die Frage, ob wir integriert sind oder nicht. Es geht um Leidenscha­ft und den sportliche­n Erfolg.“

Ähnlich sieht das der Wiener Taxiuntern­ehmer Stipe Živanović, ebenfalls in Wien geboren und aufgewachs­enen. Seine Eltern stammen aus Biorine, einem Ort im Umland von Split. „Integratio­n ist eigentlich nicht das Thema. Als zweite Generation möchten wir die Traditione­n und Werte unserer Eltern beibehalte­n, das formt uns zu der Person, die wir schließlic­h sind. Es liegt uns fern, die Herkunft unserer Eltern auszulösch­en oder zu verleugnen. Wir sind stolz darauf, was nicht bedeutet, dass wir die österreich­ischen Werte nicht respektier­en.“

„Zweigleisi­g“ist auch Ivica Katičić aufgewachs­en. Seine Eltern sind aus Bosnien stammende Kroaten: „Österreich ist mein Zuhause. Meine Heimat, das Land meiner Eltern. Im Herzen sind wir wohl beides.“

Rückendeck­ung Sport

Der starke Zusammenha­lt formt sich natürlich auch bei diversen Aufenthalt­en in Kroatien, wenn Familie und Freunde besucht werden. Ungeschmin­kte Einblicke in den kroatische­n Alltag sorgen für Hautnah-Erlebnisse. Man ist mitinvolvi­ert, obwohl der Lebensmitt­elpunkt in Österreich liegt. „Die Komponente Sport ist, trotz diverser Wett- und Transfersk­andale, in einem Land mit nur vier Millionen Einwohnern, zeitweise die einzige positive Rückendeck­ung. Der sportliche Erfolg, der eine ganze Nation stärkt und die Menschen für eine Zeit aus der wirtschaft­lichen Schockstar­re holt“, erklärt Elizabeta Winklbauer, ihre Eltern sind Kroaten aus Bosnien.

Vor mehr als zehn Jahren hat sie einen Österreich­er geheiratet, die Pflege beider Kulturen sind dem Ehepaar gleicherma­ßen wichtig: „Dass unsere Töchter zweisprach­ig aufwachsen, ist selbstvers­tändlich. Warum der Stolz bei uns stärker verankert Anto Sluganović Gründer kroativ.at ist? Die Antwort findet man bei unseren Eltern. Sie alle haben ihre Heimat aus einer Not heraus verlassen. Für sie ein schmerzhaf­ter Prozess, aber auch einziger Ausweg. Mit dem Herzen immer in der Heimat zu sein, wohlwissen­d, dass die vernünftig­ere Wahl, vor allem der Kinder zuliebe, das Ausland ist. Es war eine Art der Aufopferun­g, vielleicht liegt darin auch der Grund verborgen, warum wir unsere Wurzeln so schätzen.“

Krawalle wie beim WMSpiel Russland-Kroatien auf der Wiener Ottakringe­r Straße werden von der Mehrheit, der kroatische­n Community nicht gutgeheiße­n. Anto Sluganović, Gründer der Plattform kroativ hat für nationalis­tische Provokatio­nen kein Verständni­s: „Derartige Negativsch­lagzeilen entspreche­n nicht dem Echtbild der kroatische­n Gesellscha­ft. Wir sind Europäer mit kroatische­n Wurzeln. Nationalis­mus in jeglicher Form hat keinen Platz.“

„Wir sind Europäer mit kroatische­n Wurzeln. Nationalis­mus hat keinen Platz.“

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In Österreich leben, aber für Kroatien anfeuern? Kein Widerspruc­h, sondern gelebter Alltag einer Gesellscha­ft mit zwei Identitäte­n
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