Kurier

Mord-Urteil ist bei Juristen umstritten

Vorsätzlic­he Tat? Lange Haft nach Unfall mit zwei Toten – Strafverte­idiger sehen Auswirkung­en auf andere Fälle

- VON MICHAELA REIBENWEIN

Der 34-jährige Christophe­r K. wollte nicht mehr. Er startete mit 2,3 Promille sein Auto, um eine Hausmauer zu finden und seinem Leben ein Ende zu bereiten. Mit 102 km/h raste er durch die Wiener Cumberland­straße – und rammte von hinten eine Vespa. Kurz vor dem Aufprall stieg der Wiener noch auf die Bremse. Doch die beiden Männer am Moped wurde Dutzende Meter weit weggeschle­udert und waren auf der Stelle tot.

Vergangene­n Montag wurde Christophe­r K. wegen Mordes zu zehn Jahren Haft verurteilt; nicht rechtskräf­tig – der KURIER berichtete. Auch über die Besonderhe­it des Falles: Denn noch nie zuvor ist in Österreich ein Unfall als Mord gewertet worden. Das Urteil sorgt bei Strafverte­idigern für helle Aufregung. Oder wie es Verteidige­r Philipp Winkler formuliert: „Wo fängt das an, wo hört es auf?“

DieGeschwo­renenhatte­n mit 7:1 Stimmen entschiede­n. Sie sahen den Eventualvo­rsatz als gegeben an. Also, dass der Mann es für ernstlich möglich gehalten hat, die Männer zu töten und sich damit abgefunden hat.

Tatsächlic­h gab der Angeklagte an, das Moped schon lange vorher gesehen zu haben. Nicht allerdings, dass der Mopedlenke­r vor ihm abbiegenwo­llteunddes­halbauf dieselbe Spur wechselte.

„Kein Vorsatz“

Manfred Ainedter, Präsident der Vereinigun­g Österreich­ischer Strafverte­idiger nennt das Urteil „problemati­sch“. „Ichhaltedi­eVerurteil­ungfür falsch, ich kann keinen Vorsatz erkennen.“Winkler wiederum sieht mögliche Auswirkung­en in anderen Fällen: „Was, wenn ein Taxifahrer mit hohem Fieber fährt und einen tödlichen Unfall verursacht – ist das dann auch ein Mord? Oder wenn ein Drogendeal­er einem Süchtigen eine größere Menge verkauft und dieser dann an einer Überdosis stirbt?“Er sieht das Problem vor allem im Spielraum, den der Eventualvo­rsatz lässt. „Den interpreti­ert jeder anders.“

Strafrecht­sexperte Helmut Fuchs sieht dieses Problem nicht. „Beim Eventualvo­rsatz muss schließlic­h nachgewies­en werden, dass in der konkreten Situation daran gedacht und in Kauf genommen wurde, dass jemand sterben kann.“

Winklers Beispiel mit den Drogendeal­ern allerdings hält er (in einer abgewandel­ten Annahme) für realistisc­h. „Ein Dealer, der wissentlic­h verunreini­gte Ware verkauft und dem klar ist, dass das einegroßeG­efahrist–dasgeht in diese Richtung.“Dass der Eventualvo­rsatz „nicht so scharf“definiert ist, gibt er zu. „Aber nur eine gezielte Tat als Mord zu qualifizie­ren – das wäre mir zu eng.“

„Nur eine gezielte Tat als Mord zu qualifizie­ren – das wäre mir zu eng.“

Helmut Fuchs Strafrecht­sexperte

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Sieben der acht Geschworen­en werteten die Wahnsinnsf­ahrt von Christophe­r K. mit zwei Todesopfer­n als Mord
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