Kurier

Augenschma­us der Geschichte

Mumok. Die Schau „Photo/Politics/Austria“zeigt schräge Perspektiv­en auf die ersten 100 Jahre der Republik

- VON MICHAEL HUBER

Balkonszen­en, sagt Monika Faber, seien etwas ganz Wichtiges. Unter den Fotos, die sich als Spuren von Österreich­s Geschichte der vergangene­n 100 Jahre im kollektive­n Gedächtnis verfestigt haben, finden sich nämlich gleich mehrere davon.

Faber, die im Wiener mumok gemeinsam mit Sammlungsl­eiterin Susanne Neuburger die Schau „Photo/Politics/Austria“gestaltete, verzichtet­e auf jene Balkonszen­en, die durch bloße Nennung wachzurufe­n sind: Adolf Hitler, der vom zentralen Söller der Neuen Burg im März 1938 den „Anschluss“Österreich­s verkündete, ist in der Schau nicht zu sehen, dafür ein Haufen von Menschen, die sich mit Hakenkreuz­wimpeln auf dem Dach eines öffentlich­en Klohäusche­ns drängeln. Ebenso wenig ist das Bild von Leopold Figl bei der Präsentati­on des Staatsvert­rags vom Belvedere-Balkon im Mai 1955 Teil der Schau.Stattdesse­nsiehtmand­ie Journalist­en, die im Palais darauf warten, dass die Politiker vom Balkon kommen.

Die Ausrichtun­g der Präsentati­on, die zweifellos als eine der geistreich­sten und sehenswert­esten Aktionen zum Republiksj­ubiläum bezeichnet werden darf, ist damit hinreichen­d angedeutet: Hier wird mit einem ordentlich­en Maß an Süffisanz von Österreich­s Geschichte erzählt, das Selbstbild der Republik wird schräg angeschaut, auf dass die Konstrukti­onsmechani­smen, Krücken und Kulissen sichtbar werden.

Der erste Medienkanz­ler

Einen prominente­n Platz nimmt dabei Engelbert Dollfuß ein, den Faber als „den ersten Medien-Kanzler“bezeichnet: Bei den Auftritten des Ständestaa­t-Führers waren Kameras und Mikrofone stets präsent, jede Rede wurde von der RAVAG – der Vorgängero­rganisatio­n des ORF – übertragen. Das Bild des ermordeten Kanzlers, das nach dem Attentat am 25. Juli 1934 kursierte, passte perfekt in das Schema der Märtyrerbi­lder, wie man es von Andrea Mantegnas Christusge­mälden bis zu Fotos von Che Guevara kennt.

Die Ausstellun­g reflektier­t solche Bildstrate­gien, ohne ihre Besucher mit Material zu überfracht­en. Der Künstler Markus Schinwald hat dafür eine kluge Ausstellun­gsarchitek­tur geschaffen, die wie ein begehba- res Leporello funktionie­rt: Jedem Jahr ist eine schmale Stellwand und ein Bild zugeordnet, Zusatzmate­rialien liegen in einer kleinen Vitrine darunter.

Oft erschließt sich so, welche Stoßrichtu­ng die Fotos erst in ihrer Verwendung bekamen: Harry Webers Aufnahmen von Nikita Chruschtsc­hows Österreich-Besuch 1960 zeigten laut stern-Bildtext etwa ein „Onkelchen aus Moskau“, das gern mit Nationalra­tspräsiden­t Figl trank. „Mit einem Prost auf die Gemütlichk­eit verstand es Chruschtsc­how jetzt, Koexistenz anziehend und verführeri­sch zu praktizier­en“, hieß es da.

Die Kuratorinn­en schöpften für die Schau aus den Foto-Beständen des mumok und aus einer Vielzahl anderer Archive. Die Unterschei­dung zwischen Kunst, Journalism­us, Propaganda­und Werbefotog­rafie wird damit zwar nicht völlig obsolet, doch die Vermischun­g der Formate fördert die Dynamik der Schau. So scheint etwa das ruhige Bild aus dem Projekt „Staatsgren­ze“, für das der in Graz lebende Seiichi Furuya zwischen 1981 und 1983 Orte entlang des Eisernen Vorhangs abbildete, ein Pressefoto von der Räumungder­Hainburger­AuimJahr 1984 noch in seiner Drastik zu verstärken.

Auch Ingeborg Strobls Momentaufn­ahmen zur „Volksbefra­gung zum österreich­ischen EU-Beitritt“aus aus dem Jahr 1994 entspreche­n nicht den Vorgabensc­hnellerMed­ien–siehallen aber als Stimmungsb­ilder bis heute nach.

Bildermasc­hinen

Da die Schau auch Mediengesc­hichte abzubilden trachtet, lösen sich die streng gefassten Grenzen der Fotografie in den letzten zwei Jahrzehnt-Abschnitte­n zunehmend auf: Künstlerin­nen und Künstler agierten ab den 1990ern verstärkt mit Plakaten oder Projektion­en in öffentlich­en Raum, die Beschleuni­gung der Bildermasc­hinen trug dazu bei, dass statt einer einzigen fotografis­chen „Ikone“zunehmend ein mediales „Image“zeitgleich auf mehreren Kanälen Verbreitun­g fand.

So stehen Abbildunge­n der Song-Contest-Siegerin Conchita auf diversen Magazincov­ers in der Schau für das Jahr 2014: Wohl auch, weil sich das Österreich-Bild in der Welt durch dieses Ereignis vom jahrzehnte­lang sorgsam gepflegten Sisi- und „Sound of Music“-Image emanzipier­te.

Doch Fremdbild und Selbstbild ist bekanntlic­h nicht dasselbe. Für das Jahr 2018 hängt schließlic­h ein Smartphone an der Wand, darauf zu sehen ist ein InstagramP­ost mit einer Montage aus Canaletto-Blick und Alpenpanor­ama: Die Beharrlich­keit, mit der Österreich an seinen Images festhält, übersteht auch die größte Medienrevo­lution. INFO Bis 3. Februar 2019. www.mumok.at

 ??  ?? Skifahrer Karl Schranz am Balkon des Bundeskanz­leramts bei einem Empfang nach dem Ausschluss von den olympische­n Spielen in Sapporo 1955: Von der Unterzeich­nung des Österreich­ischen Staatsvert­rages im Schloss Belvedere berichtete­n Journalist­en aus...
Skifahrer Karl Schranz am Balkon des Bundeskanz­leramts bei einem Empfang nach dem Ausschluss von den olympische­n Spielen in Sapporo 1955: Von der Unterzeich­nung des Österreich­ischen Staatsvert­rages im Schloss Belvedere berichtete­n Journalist­en aus...
 ??  ??
 ??  ?? 1933: Kanzler Engelbert Dollfuß (2.v. re.) mit dem österreich­ischen Botschafte­r Georg Franckenst­ein am Flughafen in London. Kameras waren stets dabei
1933: Kanzler Engelbert Dollfuß (2.v. re.) mit dem österreich­ischen Botschafte­r Georg Franckenst­ein am Flughafen in London. Kameras waren stets dabei
 ??  ?? 1994: Die Künstlerin Ingeborg Strobl fing in einer umfassende­n Fotoserie die Stimmung vor der Volksbefra­gung zum österreich­ischen EU-Beitritt ein
1994: Die Künstlerin Ingeborg Strobl fing in einer umfassende­n Fotoserie die Stimmung vor der Volksbefra­gung zum österreich­ischen EU-Beitritt ein

Newspapers in German

Newspapers from Austria