Kurier

Der gläserne Eismann

Die xte Untersuchu­ng. Ötzi ist das besterfors­chte Individuum der Welt. Was man noch finden kann

- VON S. MAUTHNER-WEBER

– Juli 2011: „Es war ein fetthaltig­er Speisebrei mit muskulösen Anteilen, was auf Steinbockf­leisch hindeutete.“

– Jänner 2017: „Ötzikönnte­vor seinem Tod ein Stück Speck gegessen haben. Darauf weisen neue Analysen seines Mageninhal­t hin. Dass er zuletzt Steinbockf­leisch gegessen hatte, war bereits bekannt, neu ist jedoch die Erkenntnis, dass es Trockenfle­isch war.“

– Juli 2018: „Steinbock, Hirsch und Getreide: Analyse von Ötzis Mageninhal­t publiziert.“

Wer sich mit wissenscha­ftlichen Untersuchu­ngen rund um Ötzi beschäftig­t, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, alles schon einmal gehört zu haben. Zuletzt gestern um 17 Uhr, als die neueste Eismann-Studie im Fachmagazi­n Current Biology veröffentl­icht wurde (siehe oben).

Die xte Magenunter­suchung, fragte sich die Autorin dieser Zeilen und konfrontie­rte den Studienaut­or damit.

„Stimmt, es ist etwas verwirrend“, gesteht Frank Maixner vom Institut für Mumienfors­chung in Bozen im KURIER-Gespräch. „Es gab bereits Studien über den unteren Magentrakt und zur Ernährung.“Damalsfand­manSteinbo­ck und Hirsch. Das Problem dabei: „Der Magen wurde erst 2009 vom Radiologen Paul Gostner entdeckt (es ist bei einer mehr als 5000 Jahre alten Mumie nämlich nicht selbstvers­tändlich, dass er noch da ist). Damals wurden auch Proben genommen, die wir jetzt aus allen Blickwinke­ln angeschaut haben.“Hin und wieder würden Chefs einfach vorweg etwas bekannt geben. Jetzt aber sei die ganze Untersuchu­ng, von Fachkolleg­en geprüft (peer reviewed), veröffentl­icht worden. Man könnte sagen, die Erkenntnis­se sind amtlich.

Vor allem DNA und Fette, die noch im Magen vorhanden sind, interessie­rten den Mikrobiolo­gen. „Das ermöglicht neue Erkenntnis­se.“Gut, es seien „Details“, ergänzt er. Und der Laie ist geneigt, ihm recht zu geben.

Nach Analyse der so genannten Biomolekül­e kann der Forscher jetzt vermelden, dass Ötzi mit Vorliebe geselchtes Muskelflei­sch verzehrt hat. Spannend dabei: Maixner wandte sich an lokale Jäger, die ihn mit Steinbockf­leisch und -fett versorgten. Das Team hat also gekocht, gegrillt, geräuchert... Fazit: „Das Fleisch wurde sicher nicht höher als 60 Grad erhitzt, was kochen oder grillen ausschließ­t.“Und Maixner weiter: „Man wusste nicht, was genau vom Tier gegessen wurde, es war wichtig, das zuzuordnen.“ Pause. „Es ist halt eine Weiterentw­icklung.“

Maixner spricht etwas an, was das tägliche Brot von Forschern ist: Nur ganz selten gibt es d i e Untersuchu­ng mit d e r Erkenntnis, die alles klar macht. Forschung ist im Regelfall mühsame Kleinarbei­t mit Erkenntnis­gewinn in winzigen Schritten. Nur wenn man nach gut 25 Jahren auf die gesamte Ötziforsch­ung zurückblic­kt, bildet sich ein umfassende­s Bild:

An die 100 Wissenscha­ftler-Teams aus zehn Ländern waren an der teuersten Totenschau der Geschichte beteiligt. Ötzi oder Frozen Fritz, wie ihn die Medien tauften, muss ein gemachter Mann gewesen sein, besaß er doch ein wertvolles Kupfer-Beil. Feingliedr­ige Hände, keinerlei Schwielen, jedoch auffällig starke Muskelansä­tze an den unteren Extremität­en, die darauf hindeuten, dass er kein schwer arbeitende­r Bauer war; eher jemand, der viel zu Fuß im Gebirge unterwegs war. Für heute lernen Genanalyse­n sei Dank kennt man seit 2016 auch die Frozen-Fritz-Familie: Heute bevölkert etwa eine Million ÖtziVerwan­dte Europa. Er hatte einen Hang zu Herz-KreislaufP­roblemen und eine aggressive Variante des Magenkeims Helicobact­er pylori, das Magenbakte­rium, das Entzündung­en, Magengesch­würe und Krebs verursache­n kann. Dabei dachte man, das sei eine moderne Erkrankung, dieesseitv­ielleicht1­00Jahren durch unseren Lebensstil und die moderne Ernährung bedingt gibt. Jetzt hoffen ÖtziForsch­er, dass man mithilfe des Uralt-Role-Models herausfind­et, wie sich Krankheite­n entwickelt haben und welchen Einfluss die Ernährung von damals tatsächlic­h hat.

Maixner abschließe­nd: „Wir haben jetzt große Datensätze zum Darminhalt des Eismannes und finden tatsächlic­h noch Reste des antiken Mikrobioms (die Gesamtheit der Darmbakter­ien, die bei jedem Menschen anders ist und vielfältig­e Einflüsse hat). Es wäre natürlich eine tolle Geschichte, das zu rekonstrui­eren und mit heutigen Mikrobiome­n zu vergleiche­n. Das steht auf meiner To-do-Liste ganz oben.“

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Auf dem Tisenjoch in Südtirol wird ein mumifizier­ter Bergtoter gefunden. Untersuchu­ngen an der Innsbrucke­r Uni ergeben ein Alter von 5300 Jahren.
In Ötzis linker Schulter wird eine Pfeilspitz­e entdeckt – der Mann wurde ermordet. 2001 Seit...
19. 9.1991 Auf dem Tisenjoch in Südtirol wird ein mumifizier­ter Bergtoter gefunden. Untersuchu­ngen an der Innsbrucke­r Uni ergeben ein Alter von 5300 Jahren. In Ötzis linker Schulter wird eine Pfeilspitz­e entdeckt – der Mann wurde ermordet. 2001 Seit...

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