WORUM SICH ALLES DREHT: ZINSEN, ZINSEN, ZINSEN
Heuer war es selbst mit ordentlichen Renditen schwierig, die Inflation zu schlagen. Doch 2024 stehen die Chancen weit besser: Die Teuerung geht zurück, die Zinsen sind hoch und auch die Unternehmen können anders als heuer wieder mit deutlich steigenden Ge
» Lange Jahre haben sich Sparer nach höheren Zinsen gesehnt. Jetzt gibt es endlich wieder etwas für das Ersparte. Doch die Freude ist nicht ungetrübt. Angesichts einer Jahresinflation von 7,7 Prozent sinkt die reale Kaufkraft des Vermögens. Die hohen Zinsen sorgen außerdem bei vielen Kreditnehmern für Probleme und drücken weite Teile der Wirtschaft in eine Rezession. Dementsprechend gemischt fällt die Börsenbilanz Ende Oktober aus: Seit Jahresbeginn 2023 konnten EuroAnleger im Durchschnitt mit einem Weltaktiendepot einen Gewinn von immerhin 5,9 Prozent verbuchen. Europa blieb allerdings mit 1,5 Prozent deutlich zurück. Die Börse Wien rutschte sogar 3,4 Prozent ins Minus, ähnlich ernüchternd fiel der Verlust mit Schwellenländeraktien aus. Hauptsorgenkind war hier China durch eine allgemeine Wachstumsschwäche,
politische Risiken und vielen Immobilien unternehmen am Rand eder Pleite. China-Aktien gehörten heuer mit einem Verlust von elf Prozent zu den Schlusslichtern. Zu viele Investoren zogen das Geld nicht zuletztaus Sorgen um eine Eskalation des Konflikts zwischen der USA und China ab. Ein Teil des Kapitals floss in den Ho ff nungs markt Indien, dort liegt der Index acht Prozent im Plus.
KI DOMINIERT. Wirklich gut schnitten vor allem große US-Technologiewerte ab. Durch die erstaunlich leistungsfähige Software ChatGPT zur Erstellungvon Textenbe feuert, war seitdem Frühjahr die künstliche Intelligenz (KI) das dominierende Thema. Klar ist, dass KI in den kommenden Jahren in vielen Bereichen zu einschneidenden Umwälzungen führen wird. Welche Unternehmen langfristig die Hauptgewinner sein werden, bleibt offen. Jedenfalls stieg der US-Tech-Index Nasdaq 100 seit Jahresbeginn 2023 um 30 Prozent. Nvidia, ein Hersteller schneller Rechen-Chips, die für KI benötigt werden, schnellte als bester Nasdaq-Wert sogar 177 Prozent nach oben. Der Internet-Konzern Meta folgt dahinter mit 147 Prozent. Während KI die Fantasie beflügelt, treten die Unternehmensgewinne im weltweiten Durchschnitt auf der Stelle, ähnliches gilt für europäische Aktien. Auf der Gewinnerseite stehen heuer vor allem Branchen, die von höheren Zinsen profitieren wie Banken und Versicherungen. In vielen Branchen macht sich dagegen der Mix aus Inflation, hohen Kreditzinsen und Konjunkturflaute deutlich negativ bemerkbar. Stark zu kämpfen haben generell kleinere Unternehmen aus der zweiten Reihe, die ihr hohes »
Das ständige Auf und Ab der Zinsen verlangt von Anlegern Weitsicht
Wachstum durch enorme Schulden finanzieren. Das gilt ganz besonders für Start-ups, deren Geschäftsmodell rein auf Hoffnung besteht, deren erste Gewinne aber noch auf sich warten lassen. Oft ist fraglich, ob die nächste erforderliche Finanzierungsrunde noch gelingt. Heftig erwischt es heuer in Europa die Branchen Rohstoffe, Chemie und Immobilien mit geschätzten Gewinnrückgängen zwischen 32 und 45 Prozent. Die schwierige Lage am Immobilienmarkt zeigt auch der Ende Oktober verkündete zeitweise Stopp von Verkaufsaufträgen für den österreichischen Immofonds LLB Semper Real Estate. Offenbar sorgte eine Welle von Abflüssen der Investments der Anleger für eine Liquiditätsklemme, weil die Immobilien im Fonds nicht schnell genug verkauft werden konnten. Derartige Fondsschließungen waren zuletzt in Folge der Finanzkrise 2008/2009 vorgekommen. Damals hatte es lange gedauert, bis die Fonds wieder Geld zurückzahlten, viele Fonds mussten sogar aufgelöst werden.
Klar ist jedenfalls: Die Hürde für einen realen Vermögenszuwachs ist nach Abzug der Teuerung im kommenden Jahr leichter zu überspringen als heuer. So erwarten die Wirtschaftsforscher des WIFO für Österreich im Jahr 2024 einen Rückgang der Inflationsrate auf vier Prozent. Im Jahr 2024 sollen auch die Unternehmensgewinne wieder kräftiger sprudeln. So rechnen die Analysten für die Unternehmen im Weltaktienindex MSCI World mit um fast zehn Prozent höheren Profiten, bei der US-Tech-Börse Nasdaq sogar mit rund 17 Prozent. Auch für Europa werden wieder bessere Unternehmensgewinne erwartet, diese fallen allerdings mit einer Steigerung von durchschnittlich sieben Prozent pro Aktie eher verhalten aus. Favoriten der US-Investmentbank Goldman Sachs für das kommende Jahr sind zum Beispiel die Branchen Banken, Energie, Gesundheitswesen und Technologie.
POLITIK DER NOTENBANKEN. Doch das Auf und Ab der Gewinne spielt derzeit an der Börse nur die zweite Geige. Entscheidend wird 2024 wie auch schon heuer die Entwicklung der Zinsen und die weitere Politik der Notenbanken sein. Die Inflation samt den darauf reagierenden Zinsen sind nicht nur ein Kostenfaktor für die Unternehmen und vermiesen den Konsumenten die Kauflaune. Sie relativieren auch die Erträge jeder Veranlagung. Was sich bei Nullzinsen noch lohnte, ist bei zum Beispiel knapp fünf Prozent als sicherem Ertrag für zehnjährige US-Staatsanleihen nicht mehr attraktiv. Auch bei Aktien wird deshalb nicht mehr jede teure Bewertung zukünftiger Gewinne akzeptiert, dementsprechend sinkt ihr durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis( KG V ). Ganz extrem ist das etwa in Wien mit einem durchschnittlichen KG V von 6,7 und in Hongkong von 4,8. Weil die Zinsen derzeit die mit Abstand wichtigste Rolle spielen, werden Äußerung von EZB-Chefin Christine Lagarde und ihrem US-Kollegen Jerome Powell auf jeden Hinweis geprüft, ob die Zinsen weiter steigen oder doch schon 2024 mit ersten Zinssenkungen zu rechnen ist. Sobald die Anleger glauben, dass die Zinsen rutschen, könnte das sowohl bei Aktien als auch Anleihen zu deutlichen Kursgewinnen führen. Für Sparer heißt es dann aufpassen. Sie können derzeit gute Zinsen für gebundene Einlagen erzielen. Die Frage ist nur: wie lange?
COMEBACK DER ANLEIHEN. Klar ist, dass Anleihen im kommenden Jahr nach langer Durststrecke wieder lohnend sind, zumal man sich das aktuelle Zinsniveau für Jahre sichern kann. Constantin Veyder-Malberg, Vorstand der Schelhammer Capital Bank: „Lange Jahre musste man Aktien kaufen, um Erträge zu erzielen. Heute gibt es mit Anleihenwieder gute Alternativen. Es gibt z.B. Beispiel beider Bank Burgenland für Wohnbankanleihen rund vier Prozent Zinsen, was einer KESt-pflichtigen Anleihe von über fünf Prozent entspricht. Auch US-Staatsanleihen sind
interessant, wenn man das Währungsrisiko akzeptiert.“Für Anita Frühwald, Österreich-Chefin der Fondsgesellschaft BNP Paribas Asset Management, sind Fix zinspapiere der Favorit :„ Wir gewichten Anleihen derzeit höher als Aktien. Wir mögen Euro-Staatsanleihen, solide Euro-Unternehmens anleihen und US-Staatsanleihen .“FürRai ff eisen Chef volkswirtGunt er Deuber sind Anleihen auch auf Sicht der nächsten fünf Jahre viel versprechender als Aktien. „Wir erwarten in den kommenden fünf Jahren für ein breit gestreutes Anleihedepot aus Zinskupons und Kursentwicklung insgesamt zwischen acht bis neun Prozent Rendite pro Jahr, bei den Aktien sehen wir eher sechs bis sieben Prozent.“Bessere Chancen sieht Deuber bei wachstumsstarken Aktien. Damit Deubers optimistische Rechnung für Anleihen aufgeht, muss das Renditeniveau entsprechend sinken. Rein rechnerisch bedeutet ein Zinsrückgang von einem Prozent bei einer Anleihe mit zehn Jahren Laufzeit einen zusätzlichen Einmal-Kursgewinn von rund 10 Prozent. Auch für viele weitere Experten sind solide Unternehmens anleihen für das Jahr 2024 besonders vielversprechend. William Davis, Investmentchef der Fonds gesellschaft ColumbiaThreadne edle :„ Auf dem jetzigen Stand bieten Unternehmens anleihen gute Gelegenheiten. Auch wenn es anden Aktienmärkten derzeit nervös zugeht ,»
Viele Themenfonds wie für Wasser, die Energiewende und bahnbrechende Technologien haben langfristig Potenzial. Auch wenn es heuer bei Alternativen Energien nicht so gut lief, setzen wir weiter voll auf Nachhaltigkeit.
Anita Frühwald, Country Head Österreich BNP Paribas
bieten doch die stabilen Unternehmensgewinne eine gute Unterstützung .“Was sind die größten Risiken für das kommende Jahr? Neben einer unerwartet zähen Inflation zähltThreadne edle Investment chef Davis da zuvor allem geopolitische Spannungen wie diez wischenden USA und China :„ Eine weitere Verschlechterung der Beziehungen würde die Wachstums aussichten für die Weltwirtschaft verschlechtern und die Inflat ions erwartungen erhöhen. Außerdem sorgen die US-Präsidentschaftswahlen 2024 für Unsicherheit. Und Unsicherheit ist nie gut für die Märkte .“
KURZER EINFLUSS DER POLITIK. Erfahrungsgemäß haben aber politische Ereignisse meist nur einen kurzfristigen Einfluss auf die Börsen. Deshalb sollte man langfristige Trends im Auge behalten. BNP-Paribas-Expertin Frühwald: „Viele Themenfonds wie für Wasser, die Energiewende und bahnbrechende Technologien haben langfristig Potenzial. Auch wenn es heuer bei Alternativen Energien nicht so gut lief, setzen wir weiter voll auf Nachhaltigkeit. Solche Zukunftsthemen eignen sich auch gut für Fondssparpläne.“Spannend bleibt, ob die Koalition doch noch vor den Neuwahlen im Jahr 2024 ihr Versprechen aus dem Regierungsübereinkommen einlöst, den Kapitalmarkt zu stärken. So war im Koalitionspakt unter anderem die Rede von einer KESt-Befreiung von ethischökologischen Investments. Aktueller Stand ist, dass es für Investments bis zu einer gewissen Höhe eine KESt-Befreiung für eine z. B. zehnjährige Behaltefrist geben könnte. Die Grünen wollen aber im Gegenzug die Verabschiedung des Klimaschutzgesetzes. Klar ist, dass die private Vorsorge seit Jahren ein Stiefkind ist. Eric Samuiloff, Obmann der Wiener Finanzdienstleister: „Besonders krass ist das Beispiel der durch die Befreiung von Steuern und Sozialabgaben doppelt begünstigten Zukunftssicherung. Seit Einführung des Euros liegt der Höchstbetrag unverändert bei 300 Euro im Jahr. Hier wäre zumindest eine Inflationsanpassung erforderlich.“
FAZIT: Anleger können mit Optimismus auf das Jahr 2024 schauen. Sowohl mit Anleihen als auch Aktien können mit etwas Glück wieder Erträge jenseits der Inflationsrate erzielt werden. Und vielleicht sorgt ja auch Finanzminister Brunner für steuerlichen Rückenwind. – MARTIN KWAUKA
Auf dem jetzigen Stand bieten Unternehmensanleihen gute Gelegenheiten.
William Davis, Investmentchef Columbia Threadneedle