„DIE POSITIVE ENTWICKLUNG DER AKTIENMÄRKTE HAT ÜBERRASCHT“
Monika Rosen, Vizepräsidentin der Österreich-Amerikanischen Gesellschaft und Finanzmarktexpertin, beleuchtet im Interview das Börsenjahr 2024 und identifiziert Frauen als weltweit bedeutendsten „Emerging Market“.
» Die Weltwirtschaft steht vor großen Herausforderungen. Finanzexpertin Monika Rosen gibt im Interview eine Einschätzung zur aktuellen Situation und einen Ausblick auf 2024.
Trotz schwieriger Rahmenbedingungen zeigen viele Indizes an den Börsen positive Entwicklungen. Warum haben höhere Zinsen nicht auf den Aktienmärkten durchgeschlagen, insbesondere in Amerika?
Monika Rosen: Obwohl die steigenden Zinsen den Anleihenmarkt unter Druck gesetzt haben, wirkten sie sich nur begrenzt auf den Aktienmarkt aus. Insbesondere in den USA trieben die „Magnificent Seven“– dominierende Tech-Unternehmen wie Apple, Microsoft, Tesla, Alphabet, Amazon, Meta und Nvidia – den Aktienmarkt an. Während der Großteil des Marktes kaum steigt, sind es gerade diese Tech-Giganten, die signifikant herausstechen.
Hätte man angesichts steigender Zinsenund hoher Inflation nicht mit sinkenden Aktienmärkten rechnen müssen? Ja, unter normalen Umständen könnten diese Faktoren zu fallenden Aktienmärkten führen. Das Jahr 2022 war jedoch bereits herausfordernd, sodass die Aktienmärkte von einer niedrigeren Basis aus starteten. Trotz der Zinserhöhungen in fast allen westlichen Ländern und einer enttäuschenden Konjunktur in China – besonders nach dem abrupten Ende von Chinas „Zero-Covid“-Politik – hat die positive Entwicklung der Aktienmärkte in diesem Jahr viele überrascht.
Ist 2023 noch eine Jahresendrallye möglich?
Die FED hat die Anleger auf eine mögliche Zinsanhebung noch in diesem Jahr eingestimmt. In der Eurozone hat Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank, jedoch signalisiert, dass weitere Zinserhöhungen
vorerst nicht geplant sind. Sollten die Unternehmens zahlen in den nächsten Wochen nicht zu sehr enttäuschen, dann könnte es durchaus sein, das seine Jahresend rallye kommt.
Muss man befürchten, dass die Zahlen enttäuschen?
In den USA sehen wir aktuell zwar keine generelle Rezession, aber eine Gewinnrezession ist erkennbar. Für das anstehende dritte Quartal weist die Prognose im S&P 500 erneut negative Werte auf. Sollte dies eintreten, wären es vier aufeinanderfolgende Quartale mit sinkenden Gewinnen. Dies könnte jedoch für Anfang 2024 von Vorteil sein, da die Erwartungen dann niedriger angesetzt sind. Dadurch wäre es einfacher, diese Zahlen zu überbieten und eine positive Gewinndynamik zu erzeugen. Somit könnte diese Entwicklung paradoxerweise für das nächste Jahr günstige Voraussetzungen schaffen.
Das Bild in den USA ist also sehr durchwachsen. Können wir für die europäischen Märkte optimistischer sein?
In Europa ist die Wirtschaftslage nicht so rosig, unter anderem wegen eines schwächeren Euro und steigender Ölpreise, die die Inflation in der Eurozone stärker ankurbeln, da Öl in Dollar gekauft wird. Europas Gewinne waren zuletzt enttäuschend und im Vergleich zu den USA fehlt hier die starke Präsenz im Tech-Sektor. Stattdessen setzen wir in Europa auf Luxusaktien, die stark vom chinesischen Tourismus beeinflusst werden. Aber die jüngsten Quartalsergebnisse waren auch hier enttäuschend. Mit dem Abflauen von Covid und der immer noch hohen Inflation wurde der Sachkonsum zuletzt deutlich gedämpft, derzeit stehen eher Dienstleistungen wie Reisen im Fokus der Konsumenten.
Experten erwarten 2024 eine Rezession bei gleichzeitiger Inflation in Europa und den USA. Sind das gute Voraussetzungen, um die Zinsen wieder zu senken? Goldman Sachs hat die Wahrscheinlichkeit einer US-Rezession von 35 Prozent im Sommer 2023 auf aktuell 15 Prozent reduziert. Der Markt vertraut darauf, dass der US-Notenbank eine sanfte Landung gelingt. Aber die US-Notenbank hat gleichzeitig signalisiert,dassdieZinsenlängerhochbleiben könnten – „Higher for longer“. In der Eurozone sind die wirtschaftlichen Aussichten deutlich schlechter. Insbesondere Deutschlands Abhängigkeit von China wirkt sich negativ aus. Gleichzeitig machen hohe Inflationsraten und steigende Energiepreise auch in der Eurozone eine schnelle Zinssenkung unwahrscheinlich.
Wird die Inflation nächstes Jahr weiterhin so hoch bleiben?
Obwohl die Inflation in der Eurozone überraschend zurückgegangen ist, war Österreich stärker betroffen. Besonders kritisch betrachte ich den jüngsten Anstieg des Ölpreises, der sich der 100-Dollar-Marke annähert. Zum Vergleich: Nach dem Konfliktausbruch in der Ukraine erreichte er 130 Dollar, fiel jedoch im Sommer auch einmal auf unter 70 Dollar.
Was ist die Ursache dafür?
Der Ölpreis ist aktuell wieder stark von geopolitischen Faktoren abhängig. Der Gewaltausbruch im Mittleren Osten und die damit verbundene Angst vor Produktionsausfällen haben zu Preisanstiegen geführt. Hinzu kommen Förderkürzungen in Saudi-Arabien und Russland. Dies dürfte mittelfristig die Inflation beeinflussen, insbesondere in der Eurozone aufgrund der EuroSchwäche gegenüber dem Dollar. »
Die hohen Inflationsraten in der Eurozone machen eine schnelle Zinssenkung wenig wahrscheinlich.
Monika Rosen
Welche Sektoren könnten 2024 eine interessante Investmentchance bieten? In den USA gilt derzeit „Tech versus everybody else“. Die Frage ist nun, ob wir eine Markt rotation erleben werden, bei der andere Branchen wie Konsum aufholen können. Oftmals zeigen Titel aus dem Bereich Einzelhandel rund um Weihnachten eine stärkere Performance, wenn ihre Geschäftszahlen besserals erwartet ausfallen. Einsteigender Ölpreis könnte zudem Ölaktien beflügeln. Sollte die Konjunktur jedoch enttäuschen, könnten defensive Branchen wie Gesundheit oder defensiver Konsum in den Fokus rücken.
Die Nebenwerte haben in den USA und Europa ziemlich Federn gelassen. Ist das jetzt die richtige Zeit, um in diese Märkte einzusteigen?
Eine steigende Flut hebt nicht alle Boote. In Europa spüren wir derzeit Konjunktur pessimismus, weshalb es fraglich ist, ob jetzt der richtige Zeitpunkt für den Kauf von Nebenwerten ist, auch wenn sie preiswert erscheinen. Bewertung allein ist nicht immer ein Indikator für den richtigen Kaufzeitpunkt. Trotz ihrer Attraktivität können sie weiterhin günstig bleiben. In den USA hingegen sind Nebenwerte im Vergleich zum S&P 500 besser gegen den starken Dollar abgesichert, da sie weniger international ausgerichtet sind.
Aber eines ist sicher: Anleihen sind nach den Zinsanstiegen wieder interessant. Lohnt sich ein Einstieg in diesen Markt wieder?
Ja, insbesondere die 10-jährigen Renditen in Amerika und Deutschland sind rasant gestiegen. In den USA wird die Verschiebung hin zu Anleihen besonders diskutiert, da diese auch enorme Auswirkungen auf die Aktienmärkte haben können. Pensionisten könnten derzeit dazu neigen, ihre Aktienbestände zu verringern und stattdessen in langlaufende Staatsanleihen zu investieren, da sie dort stabile Erträge ohne Währungsrisiko erwarten. Das könnte für die Aktienmärkte problematisch werden, da dies zu großen Mittelabflüssen führen könnte.
Andererseits ist noch sehr viel Geld nicht für den Kapitalmarkt mobilisiert. Welche Potenziale sind hier zu heben?
Der Kapitalmarkt, insbesondere in Europa, bietet noch viel Potenzial. Der bevorstehende Wealth Transfer ist besonders für Frauen relevant, da sie aufgrund ihrer höheren Lebenserwartung und einer Umkehrung der Bevölkerungspyramide häufiger erben werden. Trotzdem sollten alle, unabhängig von ihrem erwarteten Erbe, sich mit dem Kapitalmarkt auseinandersetzen, um ihre finanzielle Zukunft abzusichern.
Frauen haben oft deutlich weniger Geld zur Verfügung als Männer. Kommt daher das Desinteresse am Kapitalmarkt? Selbstverständlich ist Altersarmut ein besonders hohes Risiko für Frauen. Gleichzeitig wird das weibliche Geschlecht auch in Finanzfragen leider oft sträflich unterschätzt. Laut letzten Erhebungen kontrollieren Frauen mittlerweile rund ein Drittel des globalen Vermögens. In den USA sind es sogar 37 bis 40 Prozent, während es in Westeuropa etwa 30 Prozent und in Osteuropa 22 Prozent sind. Interessanterweise werden Frauen oft als der „größte Emerging Market“der Welt bezeichnet, insbesondere im Kontext des Kapitalmarkts. Regionen wie Asien und Lateinamerika zeigen dabei die größten Vermögenszuwächse.
Laut letzten Erhebungen kontrollieren Frauen rund ein Drittel des globalen Vermögens. Frauen werden oft als der „größte Emerging Market“der Welt bezeichnet, insbesondere im Kontext des Kapitalmarkts. Regionen wie Asien und Lateinamerika zeigen dabei die größten Vermögenszuwächse.
Monika Rosen
Warum zögern dann besonders Frauen in Österreich, sich mit dem Kapitalmarkt auseinander zusetzen?
Frauen unterschätzen oft ihre finanzielle Power. Aber angesichts derPens ions lücke und des unter kapitalisierten Pensionssystems ist es entscheidend, dass Frauen sich mit dem Kapitalmarkt auseinandersetzen. Trotz der Wahrnehmung, es sei ein trockenes und komplexes Thema, können bereits Basis kenntnisse helfen. Es geht nicht um große Investments, sondern um ein schrittweises Her antasten. Unabhängig vom Vermögensstand sollte jede Frau über die Möglichkeiten des Kapitalmarkts informiert sein. Denn sowohl für den langfristigen Vermögensaufbau als auch beim Erben größerer Summen ist fundiertes Know-how von Vorteil.
Welches Motto würden Sie Anlegern 2024 mit auf den Weg geben?
Es ist wichtig, das langfristige Ziel stets im Blick zu behalten, unabhängig von den aktuellen Börsenschwankungen. Ein durchdachter Plan und Disziplin sind dabei entscheidend.
– STEPHAN SCOPPETTA