„KOMPLEXITÄT DER FINANZWELT AUFBRECHEN“
Gerda Holzinger-Burgstaller, CEO der Erste Bank Oesterreich, spricht über die steigenden Zinsen am Sparbuch, die Schwierigkeiten bei Immobilienkrediten und das steigende Interesse der Österreicher an Wertpapieren.
» Das Sparverhalten ändert sich und auch die Bedürfnisse der Bankkunden ändern sich. Gerda Holzinger-Burgstaller, CEO der Erste Bank Oesterreich, gibt einen Ausblick, wie neue Technologien wie etwa KI zu einer Steigerung der Servicequalität einer Bank beitragen können.
Die Europäische Zentralbank hat die Leitzinsen auf 4,5 Prozent hochgeschraubt. Dies scheint den Aktienmärkten zu schaden, aber die Anleihen werden wieder attraktiver. Was sollen Anleger jetzt tun?
Gerda Holzinger-Burgstaller: Es stimmt, die Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank haben den Aktienmärkten sicherlich nicht geholfen. Aber das bringt auch Chancen. Mit der aktuellen Zinssituation rücken Anleihen wieder stärker in den Fokus der Anleger. Besonders in einem Umfeld, in dem sowohl die Inflation als auch die Zinssätze ihren Höchststand erreicht zu haben scheinen.
Macht das nicht auch Sparbücher wieder attraktiv?
Die jüngsten Zinsanhebungen haben dem klassischen Sparkonto sicherlich neuen Auftrieb gegeben. Aber interessant ist, dass alternative Anlagen, die in der Nullzinsphase populär wurden, immer noch stark gefragt sind. Das unterstreicht die Umfrage, die wir anlässlich des Weltspartags durchgeführt haben.
Wie wichtig ist das Sparen in Österreich? Es hat einen enormen Stellenwert. Acht von zehn Österreicher: innen sagen, dass es ihnen wichtig ist, Geld beiseite zulegen. Das ist beeindruckend.
Gibt es Unterschiede im Sparverhalten nach Geschlecht und Generation?
Ja. Männer legen monatlich etwa 29 Prozent mehr zurück als Frauen. Bei den Altersgruppen spart die Generation Y mit durchschnittlich 353 Euro am meisten, gefolgt von Generation X, Z und den Baby Boomern.
Wie hat die Nullzinsphase das Verhalten Ihrer Kunden beeinflusst?
Viele haben aktiv Geld vom Giro- auf ein Sparkonto verschoben, um von höheren Zinsen zu profitieren. Aber viele sind auch noch in der Nullzinsmentalität und lassen ihr Geld unverzinst auf dem Girokonto.
Wertpapiere bleiben aber in Österreich weiterhin ein Minderheitenprogramm. Wie ist das erklärbar?
Das stimmt so heute nicht mehr. Das zeigt auch unsere letzte Umfrage. Produkte wie Aktien, Anleihen und Fonds sind mittlerweile populärer. Unsere Studie zeigt, dass sieben von zehn Österreichern diese mittlerweile als gute Ergänzung zum Sparkonto sehen.
Gleichzeitig fehlt hier aber noch immer das Wissen, wie Kapitalmarktinstrumente funktionieren.
Genau, sechs von zehn Befragten finden diese schwer verständlich. Viele fühlen sich bei Finanzthemen unwohl. Und wir sehen es als unsere Aufgabe, Finanzwissen zugänglich zu machen. Wir haben erst kürzlich eine FinanzKI, den „Financial Health Prototype“vorgestellt, um genau das zu tun. Es ist ein Tool, das Finanzwissen 24/7 einfach zugänglich macht.
Was kann diese künstliche Intelligenz leisten?
Mit dem Financial Health Prototype möchten wir die Komplexität der Finanzwelt für unsere Kunden aufbrechen. Dieser textbasierte Chatbot ermöglicht es den Nutzern, rund um die Uhr Antworten auf finanzbezogene Fragen zu erhalten. Dies ist ein weiterer Schritt in unserer 200-jährigen Mission, finanzielle Gesundheit zu fördern. Man kann ihn ganz einfach unter erstebank.ai ausprobieren. Er ist kostenlos und steht allen Menschen zur Verfügung, egal ob Kund:in oder nicht.
Wie wichtig wird in Zukunft das Thema KI für die Finanzbranche?
KI bietet sicherlich enorme Möglichkeiten, insbesondere in Bereichen wie dem Kundenservice und der Informationsbereitstellung. Dennoch kann und sollte sie den menschlichen Faktor nicht ersetzen. KI kann das Finanzwissen vereinfachen und zugänglicher machen, aber das Vertrauen und das persönliche Verhältnis zwischen Bank und Kunde bleibt unerlässlich.
Europa richtet in der Finanzwelt den Fokus verstärkt auf Nachhaltigkeitskriterien. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Wir stehen vollkommen hinter dieser Initiative. Es ist der richtige Weg, um im Bereich der nachhaltigen Finanzen voranzukommen. Allerdings müssen wir sicherstellen, dass die Vorgaben klar und verständlich sind. Momentan fehlt beispielsweise eine einheitliche Vorgabe zur Berechnung nachhaltiger Investitionsquoten. Doch ich bin zuversichtlich, dass wir in naher Zukunft einen konsistenten Rahmen sehen werden.
Könnten diese europäischen Vorschriften gegenüber dem US-Markt einen Nachteil darstellen?
Ich sehe das nicht so. Tatsächlich beobachten wir, dass die europäische Regulierung auch international positive Beachtung findet. Was wir uns aber von den amerikanischen Vorgaben ab schauen sollten, ist der Fokus auf Anreize für die grüne Transformation. Die Überprüfung von bestehenden Anreizsystemen oder auch zusätzliche Incentives in einigen Bereichen müssen wir in Betracht ziehen.
Für viel Ärger bei den Banken, aber auch bei den Kunden führte 2023 die sogenannte KIM-Verordnung bei der Vergabe von Immobilien krediten. Welche Folgen hatte diese für die Erste Bank?
Es geht uns darum, die Menschen dabei zu unterstützen, Wohnraum zu schaffen, nicht zur Spekulation, sondern für eigengenützte Wohnungen und Häuser. Mit der KIM-Verordnung wird uns die Finanzierung von Wohnraum erschwert. Angesichts der steigenden Zinsen, der stagnierenden Immobilienpreise und der hohen Inflation gibt es keinen Grund mehr für diese Verordnung. Eigentum ist auf lange Sicht auch eine wesentliche Vorsorge komponente und leistet einen essenziellen Beitrag zur Prävention von Altersarmut.
Viele Kreditnehmer ächzen unter den enorm gestiegenen Kreditzinsen. Müssen sie um ihr Eigenheim fürchten? Viele Kreditnehmer stehen vor der Herausforderung, die gestiegenen Kreditzinsen zu bedienen. Bei der Erste Bank Oesterreich haben jedoch mehr als drei Viertel der Kunden während der Niedrigzinsphase fixverzinste Kredite abgeschlossen und sind damit unserem Rat gefolgt.
Wie sollten angesichts der komplexen weltpolitischen Lage Anleger 2024 ihr Portfolio gestalten?
Die Anpassung des Portfolios hängt von individuellen Faktoren wie Risikobereitschaft, Veranlagung s horizont und Einkommen ab. Obwohl die Aktienmärkte momentan teilweise hoch bewertet wirken, haben Investitionen in Aktienfonds oder gemischte Fonds, insbesondere mit einem langfristigen Blickwinkel, durchaus ihre Berechtigung in einem diversifizierten Portfolio. Wichtig ist aber, sich hier beraten zu lassen.
– STEPHAN SCOPPETTA